Voll anders

In den letzten beiden Tagen sind außergewöhnliche Dinge geschehen. Vorgestern haben Politiker damit begonnen, die zukünftige Verkehrspolitik zu umreißen. Das mag nicht ungewöhnlich sein, aber das Neue daran ist, dass sich der Schwerpunkt vom Auto auf das Fahrrad zu verschieben scheint. Endlich merken Politiker, dass Städte im Augenblick nicht auf die Zukunft vorbereitet sind. Sie sind verkehrstechnisch vollständig auf das KFZ ausgerichtet. Angesichts der Coronakrise scheint sich diesbezüglich aber einiges verschoben zu haben. Das Bewusstsein, dass man in Städten nun Fahrradfahrer und Fußgänger priorisieren muss, wächst langsam. In Berlin ist das ein quälend langsamer Prozess, vielleicht auch deshalb, weil die wenigen Fahrradwege im Grunde nur als Parkspuren von Autofahrern missbraucht werden. Das Einfädeln in den fließenden Verkehr gehört daraus folgend zu den nervenaufreibendsten Manövern. Und auch zu den gefährlichsten. Ich hoffe, dass sich in dieser Richtung bald etwas ändert.

Gestern nun die nächste Bombe. Das Bundesverfassungsgericht hat das Umweltschutzgesetz der Bundesregierung als verfassungswidrig eingestuft. Weil es nicht über das Jahr 2030 hinausgeht. Niemand, nicht einmal Umweltverbände, hatten mit diesem Urteil gerechnet. Insbesondere deshalb, weil die Richter rügten, dass die junge Generation vehement benachteiligt wird. Das ist neu. Ältere Menschen in Form der Richter haben nicht nur damit aufgehört, jüngere Menschen als Bittsteller hinzustellen, sondern ihnen ein Recht auf ein gesundes Leben zugesichert. Eine Selbstverständlichkeit, sollte man denken, aber bislang war es nicht so. Nun also müssen Politiker nachbessern, längerfristig planen. Ich hoffe, dass sie sich dabei etwas Zeit lassen, gerne bis September. Denn dann könnten andere, umweltbewusstere Parteien, diesbezüglich aktiver werden. Auch wenn die Angst der derzeit regierenden Konservativen vor einer immer grüner werdenden Bevölkerung umgeht und sie deshalb Zugeständnisse machen, denke ich, dass eine grüne Kanzlerin wesentlich weiter gehen wird. Aber, trotz allem Optimismus, daran wage ich kaum zu denken.

Wenn man etwas Positives aus den vergangenen Monaten ziehen könnte, dann das. Die Hinwendung zu etwas, das wichtiger ist als Kommerz und Konsum. Zu Lebensqualität, in der Umwelt und Natur wieder eine größere Rolle spielt. Und auch die Gesundheit, die körperliche und die geistige. Jetzt, da Kunst und Kultur daniederliegen, scheint auch die Hinwendung zum Schönen an sich wieder mehr in den Mittelpunkt zu rücken. Zumindest bemerke ich das bei mir. Fast ungehört kam gestern die Nachricht, dass die neue Nationalgalerie fertig ist. Das Prachtgebäude von Mies van de Rohe kann, so Corona mitspielt, irgendwann im Mai praktisch leer besichtigt werden. Nur als Kunst, als Architektur, ohne Ausstellung. Wir werden alles daran setzen, dieses Gebäude zu sehen. Nach dem Besuch in Bernau, bei den Gewerkschaftsbauten des Bauhauses, gehört die Nationalgalerie ebenfalls zu unserer Liste der dringendst zu besichtigenden Bauten. Neben der Villa Tugendhat in der Tschechei. Aber die scheint im Augenblick sehr weit weg zu sein.

Ansonsten ist es angenehm, dass auch andere Nachrichten einmal die Debatte bestimmen. Morgen ist der 1. Mai. Das ist natürlich in Berlin immer ein Thema, wenn auch selten ein Positives. Hinzu kommen noch Anti-Coronamaßnahmen-Demonstrationen. Was für ein Wort. Ich wünsche es eigentlich nicht mehr zu hören. Rechtsradikale eben. Mit denen werden wir es also auch in Berlin zutun bekommen.
Am Ende hoffe ich darauf, dass alles friedlich bleibt.

Im Augenblick bin ich noch in der Datsche in Gräbendorf. Der Frühling lässt weiterhin auf sich warten, schaut nur mal tageweise vorbei, bevor der Winter die letzten Versuche unternimmt, doch noch zu bleiben. Ich befürchte, dass dieses Jahr nicht so warm werden wird wie die Jahre zuvor. Das stimmt mich fast wehmütig. Aber dagegen kann man nun wirklich nichts machen.
Also hilft auch kein Jammern. Das sollten wir uns für andere Dinge aufbewahren.