Voll nervös

Es ist eine merkwürdige Stimmung im Lande. Nicht nur in Deutschland, sondern, wie ich meine, fast überall, wo ich meine Fühler hin ausstrecke. Das ist zugegebenermaßen eher die angelsächsische Welt, aber auch französische und mit Abstrichen italienische Nachrichten lese ich. Und bemerke eine ähnliche Anspannung.
Nun, die Franzosen haben sicherlich noch andere Probleme, seitdem islamistische Terroristen damit begonnen haben, normalen Bürgern die Köpfe abzuschneiden. Aber das ist eine andere Thematik, die ich hier kaum erfassen kann oder möchte.
Trotzdem gibt es ein Thema, das die meisten anderen Themen überschattet. Selbst Corona.
Ich spreche von den Wahlen in den USA.

Am Dienstag, 03.11.2020, ist es so weit.
Die Prognosen sind eindeutig. Die Umfragen, besser als noch 2016, zeigen in nur eine Richtung.
Und das heißt: Machtwechsel im Weißen Haus.

Kaum jemand hat sein eigenes Land und auch weite Teile der Welt so sehr gespalten wie der derzeitige Machthaber im Oval Office.
Ich will gar nicht mehr ins Detail gehen, das kann man alles nachlesen, wenn man meint, dabei den Verstand behalten zu können. Ich jedenfalls habe 2018 beschlossen, diesem Theater nicht mehr zu folgen. Und warte seither auf November 2020. Also bis jetzt. Ich war sozusagen im politischen Winterschlaf.

Trotzdem ist mir natürlich nicht entgangen, welche Wirkung die Ereignisse in den Staaten auf Europa und den Rest der Welt hatten.
Der Rechtsruck hat viele Länder erfasst. Auch Deutschland, wenn auch nicht so sehr wie die nicht mehr so Vereinigten Staaten.
Ich habe mich lange gefragt, woher das überhaupt kommt. Und komme nur zu dem Schluss: Es ist eine Mode-Erscheinung. Mal etwas anderes. Etwas, das man mal eine Saison oder zwei ausprobiert.
Dazu kommt aber doch noch etwas Psychologie. Denn Menschen möchten gerne auf der Gewinner-Seite stehen. Wenn es einen Ruck in der Gesellschaft hin zu etwas gibt, wollen Menschen dabei sein. Offensichtlich auch, wenn es in Richtung autoritärer Herrschaft geht. Ohne auch nur die geringsten Sorgen und Zweifel werfen Leute Errungenschaften wie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie über Bord und schließen sich Leuten an, die damit nichts am Hut haben. Man sagt es ihnen, doch der Drang, zu diesen Strömungen zu gehören, scheint größer. Und das alles nur, um zu den vermeidlichen Gewinnern zu gehören.
Dass ein gewisses Maß an Einfachheit – ich sage bewusst nicht Intelligenz – auch Teil dieser Entwicklung ist, liegt ebenfalls auf der Hand. Eine Entschuldigung ist es dennoch nicht.

Trotzdem geht es am Dienstag nächster Woche um alles.
Denn wird der Trend durchbrochen, verschwindet auch die Modeerscheinung mit ihr.
Wenn die Rechten verlieren, verlieren sie auch diejenigen, die einfach mal gewinnen wollten. Und ich denke, dass das nicht Wenige sind.
Wenn das geschieht, können sich auch andere Autokraten oder die mit autokratischen Tendenzen warm anziehen. Die Johnsons, die Erdogans, die Orbans, die Kaczynskis dieser Welt.
Es reichte offenbar nicht aufzuzeigen, dass diese Leute ohne Ausnahme des Kaisers neue Kleider tragen.
Es muss eine Niederlage, möglichst epischen Ausmaßes, her.
Die von Trump wäre der Supergau der Rechten. Ihr Waterloo sozusagen.
Diesen Rubikon müssen wir überschreiten.
Und deshalb bin ich so nervös. Denn was geschieht, wenn Trump doch wiedergewählt wird? Das amerikanische Wahlsystem ist alles andere als demokratisch. Schon 2016 hatte Hillary Clinton 3 Millionen mehr Stimmen als Trump. 46% schlugen 48%. Ich möchte jetzt nicht in die Einzelheiten des (undemokratischen) electoral colleges eintauchen.
Wer sagt also, dass das dieses Mal nicht extremer geschehen kann?
Auch weil Trump seit vier Jahren daran arbeitet, alle demokratischen Strukturen zu untergraben, die er finden konnte?
Eines ist sicher, ein Sieg Trumps hätte enorme Kosten. Ich denke nicht, dass die amerikanische Demokratie weitere vier Jahre überleben würde. Und, schlimmer noch, die Autokraten dieser Welt würden seinen Beispielen weiter folgen. Ungebremst, mit ähnlichen Stilmitteln.
Es ist die Herausforderung unserer Zeit. Der Kampf, den wir nicht verlieren dürfen.
Auch wenn wir in Deutschland relativ unverschont geblieben sind, würde ich nicht darauf wetten, dass diese unheilvolle Welle nicht doch noch zu uns hinüberschwappt.

Und deshalb bin ich nervös.
Weil das, was wir vor einigen Jahren noch für unmöglich gehalten haben, plötzlich wieder realistisch wird. Zu realistisch.
Eine rechtsautokratische Diktatur auf deutschem Boden. So wie 1933.
Geschichte wiederholt sich.
Ich hoffe nur, dass es die richtigen Teile der Geschichte sind.