Voll Dispair

Ich würde mir ein bisschen Hoffnung wünschen.
Es ist ein seltener Augenblick voller Verzweiflung, in der ich spüre, wie unglaublich sinnlos eine einzelne Existenz sein kein. Ich habe im Moment den Eindruck, dass alles auf uns niederstürzen könnte. Und zwar ohne dass wir auch nur den Hauch einer Chance haben, diese Entwicklung zu beeinflussen. Es ist eine Ohnmacht, die ich noch nie in dieser Form empfunden habe.
Ich habe heute Nacht wachgelegen, etwas, das eigentlich selten vorkommt. Dabei kam in mir die Frage auf, wie sich Menschen in den 20ern gefühlt haben, als sie merkten, dass sie gegen die braunen Fluten nicht würden siegen können. Dass sie die einmalige Form der Demokratie in Deutschland, die erste und demokratischere als unsere jetzige, nicht würden halten können.

So sehr sie sich auch bemüht hatten, die eklatanten Klassenunterschiede zu beseitigen, die schmachvolle Niederlage des Ersten Weltkrieges zu ertragen, die Wirtschaftskrise durchzustehen, irgendwann muss es für jeden halbwegs gemäßigten und intelligenten Menschen den Augenblick gegeben haben, in dem er begriffen hat, dass alles umsonst gewesen ist. Dass er vollkommen machtlos gegenüber den Ereignissen war, die die Welt erneut in Schutt und Asche gelegt haben.

Diesen Augenblick, oder so etwas in der Art, habe ich heute Nacht erlebt.
Wahrscheinlich war es nur ein Alptraum, der mich zu sehr beeinflusst hat, den ich allerdings vergessen habe, dessen Nachwirkungen aber immer noch zu spüren waren. Nachts sind schreckliche Gedanken ja ohnehin noch finsterer als tagsüber, vielleicht weil unsere Schutzmechanismen des Verdrängens und Relativierens dann nicht funktionieren.
Ich denke, die größte Gefahr, die uns auf dieser Welt droht, ist nicht nur das Virus. Es ist die zunehmende Verblödung und Emotionalisierung großer Teile der Gesellschaft. Natürlich kann es sein, dass diese Gesellschaft immer schon so war. Nur hat sie in den letzten Jahrzehnten kaum Ausdruck gefunden. Politik wurde nur von den Leuten gemacht und verfolgt, die auch in der Lage waren, sie ansatzweise zu begreifen, ein Unterfangen, das schon in normalen Zeiten schwierig genug ist. Heute aber redet jeder mit. Auch wenn er eben nichts begreift. Und jeder teilt sich mit, findet durch die zunehmende Vernetzung Möglichkeiten, sich auszudrücken. Und genau dort liegt das große Problem. Die Niemande der Welt ermutigen sich plötzlich gegenseitig.
Ich habe mich in den letzten vier Jahren gefragt, wann das endlich zu Ende sein wird, wann der Verstand endlich wieder übernehmen kann, die Ratio, die Vernunft. Aber letzte Nacht habe ich begriffen, dass das nicht ohne Weiteres geschehen wird. Leute, die ohne diese Ratio auskommen, werden das auch in Zukunft tun. Man schaue sich die Vereinigten Staaten an, wo es Leuten vollkommen egal zu sein scheint, dass der Präsident kaum eine Stunde mal nicht lügen kann. Auch wenn es viele anständige Amerikaner gibt, ist doch die Rate von 40% plus an Leuten, die kaum moralische Vorstellungen kennen, nahezu alptraumhaft hoch. Auch wenn diese nicht die Mehrheit darstellen, sind sie doch verdammt nahe dran. Und oftmals ist auch die Mehrheit nicht notwendig, um an die Macht zu kommen und diese dann auch zu behalten. Das beste Beispiel ist Adolf Hitler, der in einer Präsidial-Demokratie mit parlamentarischem Mehrparteiensystem nie die absolute Mehrheit bei Wahlen erringen konnte. Und trotzdem eines Tages zum Kanzler gemacht wurde. Womit das rasche Auseinandernehmen demokratischer Strukturen begann.

Dienstag kann es geschehen, dass sich diese Geschichte wiederholt. Trump wird nicht erneut vier Jahre verschwenden, sollte er wiedergewählt werden. Er wird, so denke ich, endgültig seinen autokratischen Instinkten nachgeben und von der alles andere als festen Demokratie in Amerika nichts zurücklassen.
Es ist die letzte Chance, dieses Land und mit ihr auch die westliche freie Welt in eine andere Richtung zu lenken.
Selbst wenn Trump verliert, bin ich nicht sicher, ob das auch bedeutet, dass er nicht an der Macht bleibt. Zu tief ist er bereits gesunken, zu tief verstrickt in seinem Wahn.
Und das Schlimmste: Über 40% der Amerikaner jubeln ihm noch immer zu. Trump hat verstanden, dass es nicht die Ratio ist, nicht die Vernunft, die Menschen entscheiden lässt. Es sind rohe Emotionen.
Und es sind diese Erkenntnisse, die mich im Moment schlecht schlafen lassen. Denn es wäre so leicht, wenn man nur einen Kopf einer Bewegung abschlagen müsste, um sie zu zerstören. Doch das Problem sitzt unendlich viel tiefer.
Wie weit sind wir als Menschheit noch entfernt davon, wirklich zu einer höheren Lebensform zu werden.
Sehr weit.
Wie die letzten vier Jahre bewiesen haben.
Und die Länge des Weges dorthin könnte sich am Dienstag noch verdoppeln.