Voll erste Runde.

Es ist geschafft. Zumindest für den Anfang.
Ich habe gerade die letzten Zeilen meines neuen Romans, der noch keinen Namen hat, geschrieben. 100.000 Worte, begonnen im Dezember, also recht gut. Die Geschichte ist bereits jetzt relativ homogen, es fehlen keine größeren Blöcke, sondern ist von vorne bis hinten einfach aufgeschrieben.
Ist sie also fertig?
Natürlich nicht. Weit davon entfernt. Und das liegt an der Art und Weise, wie ich arbeite.

Ich habe es mir angewöhnt, erst einmal anzufangen und zu schreiben, wenn ich eine Geschichte einigermaßen im Kopf habe. Diese neue Geschichte hatte ich komischerweise schon recht ausführlich im Gedächtnis, immer gut, denn das vereinfacht die Angelegenheit ungemein. Ich musste sie also nur noch aufschreiben. Das ist nach elf Jahren Übung leichter als viele denken würden.
Trotzdem: Es ist nicht mehr als eine grobe Umrandung. Jetzt nämlich beginnt die Feinarbeit, das Feilen, das tiefere Überlegen, und auch das Neuschreiben von ganzen Passagen, die inhaltlich oder linguistisch besser sein müssen. Und diese Arbeit fällt mir im Grunde immer schwerer als die reine kreative Arbeit des Erschaffens. Doch die ist natürlich ebenfalls Teil des Prozesses. Meist überarbeite ich einen Roman vier Mal, abhängig davon, was ich für ein Gefühl dabei habe, ob die Geschichte schon rund ist oder nicht. Fertig ist sie sowieso nie, von dieser Illusion habe ich mich schon vor Jahren verabschiedet. Bei jeder Durchsicht finde ich Nuancen, die ich verändere, somit besteht ab einem gewissen Zeitpunkt die Gefahr, ein Werk zu verschlechtern, weil ich mich nicht bremsen kann. Also ist nach der vierten Überarbeitung Schluss. Ich rechne also nicht damit, dass ich es vor dem Sommer geschafft haben werde.

Der Witz ist auch: Es gibt auch inhaltlich noch Details, die ich noch nicht weiß. Sie sind für die Geschichte drittrangig, doch würde mir kein Leser verzeihen, wenn ich nicht tiefer recherchieren würde. So werde ich vor dem Beginn der ersten Überarbeitung nächste Woche nun endlich einmal anfangen müssen, mich mit dem Beruf eines Buchhalters auseinanderzusetzen. Und auch in die Abgründe des Day Trading muss ich eintauchen. Erstaunlich. Beides interessiert mich nicht unbedingt, aber mein Protagonist ist anders gestrickt. Es hilft nichts. Er ist eben so, ich konnte ihn mir nicht aussuchen. Zum Glück ist das Internet schon erfunden. So muss ich nicht einmal die Wohnung verlassen, um zu recherchieren. Zu Coronazeiten also perfekt. Man muss es ja nicht übertreiben.

Es gibt ja Leute, die würden einen solchen Schritt, also die Beendigung einer solchen Etappe bei einem Projekt, mehr feiern als ich. Ich kann das nicht. Erstens ist der Roman noch lange nicht fertig, zweitens liegt es mir sowieso nicht. Der Witz ist dabei: Wenn der Roman dann endlich fertig sein wird, werde ich auch nicht feiern, weil er mir dann, nach der vierten Überarbeitung, derartig zum Hals heraushängen wird, dass ich ihn noch nicht einmal abends bei einem Wein erwähnt haben möchte. So erging es mir mit den Romanen vorher eigentlich immer. Vielleicht beraube ich mich so der Belohnung der Fertigstellung, aber ich empfinde es weder als heilig noch als außergewöhnlich, einen Roman geschrieben zu haben. Es sind Projekte, an denen natürlich mein Herz hängt, aber trotzdem Arbeiten, die eben irgendwann abgeschlossen sind. Ich denke, ich bin etwas zu emotionslos. Doch das kann ich nur schwer ändern.
In jeden Fall hat mich die Geschichte durch den anstrengenden Winter gebracht. Nun werde ich bis zum Schluss an ihr arbeiten. Und dann, wenn sie fertig ist, ist Corona vielleicht auch Geschichte.
Und darauf freue ich mich sehr. Auch wenn das nur ein simples Vergnügen ist.

PS: Beim Lesen dieses Artikels ist mir einmal wieder aufgefallen, was ich für ein eigenartiger Mensch bin.
Normal ist anders. Aber Normal ist wahrscheinlich auch langweilig. Auch für mich.