Nachruf Käthe

Es gibt Momente im Leben, die wir alle irgendwann erleben müssen.
Der Verlust von geliebten Wesen, seien es Menschen oder Tiere, ist eingeschrieben in unsere Lebensstränge. Er ist Teil von uns, mit allem, was dazu gehört. Oft werden wir schon sehr früh mit dieser Normalität konfrontiert. Allerdings muss ich von mir sagen, dass ich mich nicht daran gewöhnen kann.

Gestern ist ein Hund gestorben.
Es gibt so viele, also warum sollte das eine Meldung wert sein?
Käthe ist eine Meldung wert, weil dieses Lebewesen nun einmal ein großer Teil einer Lebensgemeinschaft war, eine Art Mittelpunkt, Ruhepol. Und sie war ein Geschöpf, dass viel mehr zurückgegeben als es genommen hat.
Käthe. Wohl ein Schäferhund-Mischling mit interessanter, wenn auch nicht einfacher und in Teilen kaum nachvollziehbarer Geschichte.

Sie war Spanierin.
Woher sie stammte, weiß kein Mensch. Schließlich gibt es keine Dokumente für Hunde. Geboren wurde sie wahrscheinlich auf der Straße, die Eltern hatten kein zu Hause, so wie wir das kennen. Dort also, irgendwo, wuchs sie auf. Und lernte zu überleben. Ein Straßenhund wie Tausende. Oft lernen Hunde in solch einer Umgebung, eher mit Menschen zu leben. Sie lernen es, ihnen zumindest soweit zu vertrauen, wie es ihre angeborene Vorsicht zulässt. In unserer heutigen, vom Menschen dominierten Gesellschaft, der sich alles Leben unterordnen muss, eine überlebenswichtige Angewohnheit.
Ich weiß nicht, ob Käthe Menschen allgemein jemals als etwas Gutes kennengelernt hat. Ich fürchte nicht. Keiner weiß, was sie wirklich erlebt hat. In jedem Fall aber hat sie den Menschen eher als etwas Bedrohliches empfunden. Vielleicht lag das an ihrer Größe, denn sie war ein stattliches Wesen, kräftig und eindrucksvoll. Menschen, die sich einem solchen Geschöpf gegenübersehen, haben oft Angst. Ich hätte es jedenfalls. Ein Instinkt, der sicherlich angeboren ist.

Irgendwann wurde Käthe von einem der Todeskommandos aufgegriffen, die in südlichen Ländern Europas die Straßen von Streunern säubern, diese erst einmal in ein Tierheim bringen, das erst versucht zu vermitteln, dann aber das tut, was Menschen eben machen, wenn zu viele Tiere vorhanden sind, die keinen natürlichen Nutzen für Menschen haben: Töten.
Wie Käthe aus diesen Klauen der unmenschlichen Maschinerie entkam, wissen wir nicht. Irgendein kleiner Tierschutzverein im Osten Deutschlands hat sie jedenfalls aufgenommen. Ich weiß nicht, wie sie hierher kam. Aber sie lebte lange Zeit in einem heruntergekommenen Haus, wohl in Einzelhaltung. Viele Jahre lang.
Diese Einsamkeit tat ihr nicht gut.
Aber dann kam eine Rettung, mit der Käthe wohl selbst nicht mehr gerechnet hatte:
Sie wurde von Übersetzerin Kristina und Handwerker Klaus adoptiert.

Wer jetzt denkt, dass alles gut wurde, hat nicht genau gelesen.
Käthes Misstrauen Menschen gegenüber schien grenzenlos. Sie knurrte, wenn man sich ihr näherte, bellte, wenn man auch nur in der Tür stand. Anfangs musste Klaus immer zwischen dem Hund und uns stehen. Als menschlicher Schutzwall. Aber so grenzenlos kann diese Aggressivität, die aus Angst geboren war, nicht gewesen sein, denn Käthe lebte sich einigermaßen in ihrem neuen Zuhause in Berlin-Tegel ein.
Und es geschahen noch Wunder.
Denn mit der Zeit, mit den Jahren, wurde sie wirklich zutraulicher. Jetzt knurrte sie nicht mehr oft, vor allem wenn wir daran gedacht hatten, ihr ein paar Leckerli mitzubringen. Es gab allerdings Instinkte, die sie nie ganz abgelegt hat. Wenn ich in der Tür stand, d.h. im Fluchtweg, wurde sie unruhig. Dann knurrte sie erst, gefolgt von einem markerschütternden Bellen. Das waren Warnungen, denn gebissen hat sie nie. Aber schimpfen konnte sie, dass einem das Blut in den Adern gefrieren konnte. Wie gesagt, ein respekteinflößender Hund.

Aber sie beruhigte sich wirklich allmählich. Wurde ruhiger. Normaler. Sie schien das Leben jetzt wirklich zu genießen.
Ich erinnere mich an ihre Ohren, die fröhlich wippten, wenn sie vor uns herlief. Auch fuhr Käthe gerne Auto, schaute dabei aus dem Fenster, so als ob sie genau wusste, dass sie genau an dem Ort war, wo sie in diesem Augenblick hingehörte.
Käthe grub auch gerne, mit Vorliebe in meinen gerade angelegten Beeten in Gräbendorf. Und sie verscheuchte auch gerne mal diverse Tiere in Seen, in denen sie gerne Alt-Damen-Runden schwamm. Nicht zu weit heraus.

Vor anderthalb Jahren schien ihre Zeit gekommen zu sein. Sie knickte in der Hüfte ein. Alle rechneten damit, dass sie nun ihren letzten Gang gelaufen war. Aber eine Operation half ihr zurück ins Leben. Es schien ein kleines Wunder. Doch nach all den schlimmen Erlebnissen in ihrem früheren Leben hatte sie diese Extra-Runde verdient.
Sie kämpfte sich danach öfter zurück. Ein „Quitter“ war sie tatsächlich nicht. Nierenprobleme, Durchfall, all das beeindruckte sie nicht sehr.
Gestern aber war es dann doch so weit. Was es genau war, weiß ich nicht. Jedenfalls litt sie sehr. So sehr, dass es Zeit war, ihren Schmerzen ein Ende zu setzen. Eine humane Geste einem Tier gegenüber, die wir todkranken Menschen übrigens nicht zugestehen.
Jetzt geht sie woanders Gassi
Mir bleiben nur noch zwei Dinge, die ich sagen will:
Farewell, my dear.
I might see you around one day. And if not, thank you for … well … just being you.
That was more than enough.

Und noch etwas:
Überall in der Welt gibt es Streuner, die keiner haben möchte, die jedoch trotzdem unsere Hilfe brauchen. Und die nicht viel anders sind als Käthe. Seit einiger Zeit schon folge ich einem Youtube-Kanal, Orphan Pet, deren unglaublich einfühlsame Redakteurin Valia Orfanidou so viel tut, um tierisches Leid zu mindern. Es ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Und doch muss ich immer an Käthe denken, wenn ich die teilweise schlimmen Videos ansehe, die ich oft nicht bis zum Schluss durchhalte.
Hier also mal ein Video von einem Hund, dessen Geschichte gut ausgeht. Es gibt auch andere. Leider.
Es sind letztlich Lebewesen, alle mit eigenem Charakter und eigener Geschichte. Und alle sind es wert, gerettet zu werden.
So wie Käthe.
Um wieder gerne zu leben.
Und auch die Freude zu spenden, die ein Haustier spenden kann, wenn man sich darauf einlässt.