Voll verstörend

Und da ist er.
Der dritte November.
Wahltag in den USA.
Es ist schon etwas pervers, dass ich heute Morgen auf eine Weise beruhigt war, dass die Überschriften in den Tageszeitungen hier in Europa sich nicht mit diesem Ereignis beschäftigten, sondern mit dem feigen Terror-Anschlag in Wien.
Wirklich pervers. Denn diese Tat regt mich mehr auf als die Wahl, auch weil sie uns in Europa im Herzen trifft. Feinde unserer Lebensweise haben begriffen, dass sie uns dort packen können, wo wir am verwundbarsten sind: An unserer Einstellung, dass jeder das Recht hat, seine Meinung zu sagen und seine Religion auszuüben.
Ich kann den Islam nicht als Ganzes verdammen, weil es viel zu viele Gläubige gibt, die nichts mit dem Terror zutun haben, der sich im Augenblick durch unseren Kontinent zieht.
Und doch ist diese Glaubensrichtung ursächlich dafür, dass es den islamistischen Terror gibt.

Auch wir „Christen“ waren einmal ähnlich gestrickt Ich nehme mich aus, weil ich zwar christlich erzogen wurde, doch jegliche Religion und auch jeden Glauben strikt ablehne. Was nicht heißt, sich moralischen un ethischen Fragen zu entziehen. Es ist nicht so lange her, als sich die Kämpfer des Abendlandes aufgemacht haben, um gegen Ungläubige zu kämpfen. Oder die Kirche Wissenschaften behindert hat, weil diese herausgefunden hatten, dass nicht die Erde im Mittelpunkt des Sonnensystems steht, sondern … ja, die Sonne. Heißt ja auch so. Sonnensystem. Und nicht Erdensystem.
Oder Menschen anderen Glaubens hingerichtet haben.
Der einzige Unterschied: Wir hatten eine Reformation. Eine Abkehr von der Institution der katholischen Kirche, die sich jahrhundertelang als die unausgegorene Verkünderin der Wahrheit inszeniert hatte, was natürlich Blödsinn war. Diese Reformation hat Tausende das Leben gekostet. Hauptsächlich Christen übrigens. Aber sie wurde vollzogen. Und mit der evangelischen Kirche eine Institution geschaffen, die die Religion wieder ein Stück in Richtung der Menschen schob. Und die auch die teilweise blutrünstigen Geschichten im Alten und Neuen Testament nicht mehr so wörtlich nahm.

Und daran fehlt es beim Islam.
Denn diese Geschichten werden noch immer viel zu wenig kritisiert. Und noch immer viel zu oft bildlich und wörtlich genommen.
So wie in Wien gestern. So wie in Nizza. So wie in Paris, wo ein islamistischer Terrorist einem Lehrer den Kopf abgeschnitten hat, weil der es gewagt hat, eine Mohammed-Karikatur seiner Klasse zu zeigen, um anhand dieser die Meinungsfreiheit unter den Schülern diskutieren zu lassen.

Und das ist der Punkt, an dem wir nicht zurückschrecken dürfen.
Die Meinungsfreiheit.
Die Karikaturen sind allesamt ziemlich geschmacklos. Simpel, darauf aus, einen Teil der Menschen zu verletzen.
Und dennoch an sich ziemlich harmlos.
Insgesamt so wie Karikaturen eben sind.
Sie sind Ausdruck einer Meinung über eine Religion, die auch unbequeme Wahrheiten enthalten.
Das tut natürlich weh. Würde jeden wehtun, wenn er Opfer einer Karikatur wird.
Und trotzdem muss man das aushalten.
Man muss es aushalten, auch wenn religiöse Gefühle verletzt werden. Denn auch die sind nicht heilig und es ist hier nicht verboten, seine Meinung auf diese Weise darzustellen.
An dieser Stelle möchte ich Ricky Gervais zitieren:
„Just because you are offended, doesn’t mean that you are right.“
Muslime also, die hier in Europa leben wollen, müssen sich damit abfinden, dass es solche Verhöhnungen gibt. Sie müssen lernen, diese zu akzeptieren, was nicht heißt, dass sie sie unwidersprochen hinnehmen müssen. Meinungsfreiheit heißt nicht, dass Widerspruch ausbleibt. Karikaturisten müssen sich ebenfalls damit auseinandersetzen, wenn sie Gegenwind bekommen und sich dem Vorwurf der Islamfeindlichkeit stellen.
Denn das gehört eben auch zur Debatte.

Trotzdem geht es so nicht weiter.
Vor einigen Jahren hat der damalige Bundespräsident Wulff einmal gesagt: „Der Islam gehört zu Deutschland“.
Angesichts der Ereignisse der letzten Wochen empfinde ich diese Aussage als schwierig. Nein, ein Teil des Islams gehört nicht zu Europa. Nämlich der Teil, der säkularen Menschen verbietet, die Meinung zu äußern. Auch durch das Mittel der Karikaturen.
Es liegt also an Muslimen selbst, ob sie hier in Europa dazugehören wollen. Dazu müssen sie allerdings uneingeschränkt anerkennen, dass Mohammed-Karikaturen nicht verboten sind.

Ich bin mir sicher, dass der Islam sich diesbezüglich reformieren muss. Das wird nicht ohne Kampf vonstatten gehen. Und es ist ein Kampf, bei dem wir, die säkularen Europäer, kaum eingreifen können. Wir können nur unterstützen. Mehr nicht.
Trotzdem wird dieser Kampf in Teilen hier ausgefochten werden. Wo sonst? Nur hier kann eine freie Diskussion stattfinden, bei der muslimische Menschen nicht in Gefahr geraten, wenn sie sich von der „reinen Lehre“ abwenden möchten, um den Koran friedlicher auszulegen.
Und nur so geht es. Man muss sich über Schriften, die zu Beginn des Frühmittelalters geschrieben wurden, hinwegsetzen. Denn die Gesellschaften von damals gibt es nicht mehr. Und die Konflikte in der Form von damals ebenfalls nicht.
Was nicht heißt, dass man die spirituellen Teile der Schriften nicht als Inspiration nutzen kann.
Und nur so ginge es.

Es stehen in Europa stürmische Zeiten bevor.
Und es ist ausnahmsweise nicht der US-Präsident, der dabei das Problem darstellt.
Unabhängig davon, wer morgen das Rennen gemacht haben wird.