Voll spannend

Heute ist ein entscheidender Tag.
Ähnlich wie am 5.11.2020 bin ich mit einem flauen Gefühl im Magen aufgewacht. Es war aber nicht so wie vor zwei Monaten, sondern viel entspannter. Ich habe lange aufgehört, mich zu fragen, wie solch ein 6. Sinn funktioniert. Es gibt ihn einfach. Leider funktioniert er nicht immer, aber oft. So auch heute.

Was also ist heute bzw. gestern geschehen, was diesen Tag so wichtig macht? Die Stichwahlen in Georgia für den amerikanischen Senat. Zwei Posten standen zur Disposition, beide mussten die Demokraten gewinnen, um einen Gleichstand im Senat zu erreichen, was bedeutet, dass die amerikanische Vizepräsidentin die entscheidende Stimme bekommt. Und das wird ab dem 20.1.2021 niemand anders sein als Kamala Harris, die demokratische Vizepräsidentin unter Präsident Biden.
Lange Rede, es sieht so aus, als ob die Wahlen diesen Erfolg für die Demokraten zementiert haben. Ein Posten ging bereits an den demokratischen Herausforderer Warnock. Beim zweiten Posten ist es etwas knapper, aber hier führt ebenfalls der Demokrat Ossoff vor dem bisherigen Amtsinhaber mit dem Namen Perdue, das französische Wort für „verloren“. Manchmal ist Schadenfreude schön. Es fehlen noch Stimmen aus Wahlbezirken, die mehrheitlich zu den Demokraten tendieren, ich denke also, dass die Demokraten wirklich den Senat erobert haben, was vor zwei Monaten nicht danach aussah.
Das ist mehr als nur ein Achtungserfolg, auch wenn man das natürlich in einem der Südstaaten als solchen bezeichnen kann. Oder besser: bezeichnen muss. Denn der einstmals tiefrote (republikanische) Staat von Sklavenhaltern ist jetzt blau (demokratisch). Schon das allein wäre ein Grund zum Feiern.
Es geht aber noch weiter: President-elect Joe Biden hat damit beide Kammern in Washington erobert, Congress and Senate. Die Chance also, dass seine Präsidentschaft zu einem Erfolg werden kann, ist damit grandios gestiegen.
Er wird dabei alle Hilfe brauchen, die er bekommen kann, denn beinahe sind die Vereinigten Staaten in den Extremismus abgerutscht. Es fehlte wirklich nicht viel.
Ein beängstigender Gedanke.

Heute übrigens werden von Congress and Senate die Stimmen des Electoral College zertifiziert. Mich macht dieser Termin noch ein bisschen nervös, Trump hat jeden Winkelzug probiert, um die Wahlen zu annullieren und Präsident zu bleiben. Heute wäre die letzte Gelegenheit dazu. Ich glaube nicht, dass er Erfolg haben wird, sicher aber kann man nie sein. Erst, wenn am 20.1.2021 Biden und Harris zu Präsident und Vize-Präsidentin gekürt werden, kann ich sicher sein.
Es wird bestimmt so kommen.
Ganz sicher.

Dieser Tag ist also ein Lichtblick in dieser düsteren Zeit. Gestern hat sich die Bundesregierung dazu entschlossen, eine Ausgangsbeschränkung von 15 Kilometer vom Wohnort für Gebiete mit mehr als 200 Krankheitsfällen pro 100.000 Einwohnern ins Spiel zu bringen.
Ich muss zugeben, dass mich diese Maßnahmen betroffen machen. Es ist allein die Vorstellung davon, dass ich mich nicht mehr weit von zu Hause entfernen kann. Dabei ist das natürlich nur ein Gedanke, denn ich mache es im Augenblick sowieso nicht. Ich bewege mich selten mehr als ein paar Hundert Meter weg von der Wohnung. An Reisen ist ohnehin kaum zu denken.
Trotzdem lösen diese Maßnahmen, so schwarz auf weiß, Widerstand in mir aus. Wir benehmen uns seit Monaten vorbildlich, vermeiden Kontakte, tun alles, um weder uns noch andere zu gefährden. Es daher ist es etwas deprimierend zu erleben, dass das alles nicht ausgereicht hat.
Gestern hat allerdings unser Gesundheitsminister verlauten lassen, dass er die Hoffnung hegt, dass bis Ende Mai alle Deutschen, die das wollen, geimpft werden können. Licht und Schatten folgen also oft kurz hintereinander. Damit könnte ich dann leben. Bis Mai sind es nur noch wenige Monate. Wenn dann alles vorbei ist, akzeptiere ich auch kurzfristig weitere Einschränkungen.
Ob diese nun legal sind oder nicht. Denn oft habe ich Zweifel daran, ob das überhaupt so einfach geht. Gänzlich ohne parlamentarische Absegnung. Denn das ist das Problem dabei: Im Augenblick wird quasi per Dekret entschieden. Und das sollte in einer Demokratie die absolute Ausnahme sein.