Voll Brexit? Think again, bloody furiner
Heute hätte der Tag gekommen sein sollen, an dem endlich hätte entschieden werden müssen, ob es einen „Deal“ gegeben haben könnte. Man merkt schon an der verqueren Ausdrucksweise, dass nichts so gekommen ist, wie es hätte sein sollen.
Für diejenigen, die sich nicht mit dem Thema beschäftigen: Viereinhalb Jahre nach dem Brexit-Referundum in Großbritannien fuhr gestern Abend der britische Premierminister, dessen Namen ich nicht nennen möchte, nach Brüssel, um dort mit Ursula von der Leyen, deren Namen ich nennen möchte und die EU-Komission ist, gemeinsam zu dinieren und schließlich und unendlich auszuloten, ob doch noch ein Deal möglich ist.
Natürlich ist nichts dergleichen geschehen. Es ist ein Déjà vu, das ich schon oft hatte. Viel zu häufig schon dachte ich, dass es das jetzt gewesen sein muss. Entweder in die eine oder in die andere Richtung. Wieder aber gab die EU den etwas ratlosen Briten vier Tage Zeit, sich doch noch zu entscheiden. Sonntag also ist der nächste Termin. Ich bin aber sicher, dass es nicht der Letzte sein wird. Und selbst wenn, dieses ruchlose Spiel wird weitergehen, denn auch wenn ich es inzwischen gerne sehen würde, Großbritannien wird nicht vom Kontinent ablegen, um in den Atlantik hinauszudriften. Sehr schade. Aber so ist es nun einmal.
Ich hätte nie gedacht, dass es einmal so weit kommen würde. Wobei mich an dieser Geschichte ganz andere Dinge faszinieren. Und diese Dinge ziehen sich wie rote Fäden durch sämtliche von Populisten regierte Länder hindurch.
Wovon rede ich?
Ich rede von der für mich beinahe unglaublichen Kunst, arme und vielleicht auch nicht besonders gut gebildete Menschen zu überzeugen, vollkommen gegen ihre Interessen zu stimmen. Und noch besser: Es sind immer reiche Menschen, die diese Überzeugungskraft nutzen. Ich weiß gar nicht, wie oft ich mir schon am liebsten den Kopf an der Wand angehauen hätte. Ein Beispiel ist besagter Brexit. Besonders im Norden Englands wurde er unterstützt, in den ärmsten Gegenden. Viele davon übrigens unterstützt von der EU. Unterschwellig geht es dabei übrigens weniger um Souveränität, wie oft behauptet wird. Sondern um das, was Menschen oft bewegt: offener Rassismus und Xenophobie. Denn einer der vier Grundpfeiler der EU ist folgender: Free movement of labour, im Volksmund Personenfreizügigkeit genannt, die aber im eigentlichen Sinne eine Freizügigkeit ist, überall in der EU arbeiten zu können. Das ist wichtig, weil es eben nicht bedeutet, es sich in Sozialsystemen gemütlich machen zu können.
Aufgrund dieses Ausländerhasses also haben es die reichen Briten geschafft, die Armen davon zu überzeugen, für den Brexit zu stimmen. Indem sie ihnen vorgaukelten, dass EU-Ausländer ihnen die Arbeit wegnehmen würden. Das war natürlich von vorne bis hinten gelogen. Denn die Jobs, die Ausländer in Großbritannien ausführen, setzen oft besondere Ausbildungen und Talente voraus, die viele arbeitslose Briten eben nicht mitbringen. Eine davon, aus eigener Erfahrung: Sprachkenntnisse.
Das Gleiche haben wir übrigens auch in den USA erlebt. Die Mauer in Mexiko war nichts anderes, eine xenophobe Idee, die genügend Leichtgläubige dazu veranlasst hat, einen selbsternannten Milliardär zu wählen, der sich noch nie für Armut und Hilflosigkeit interessiert hat.
Aber das ist weit weg.
Wir in Europa haben es mit dem Brexit zutun.
Jeden Tag übrigens warte ich darauf, dass sich diesbezüglich eine Art Vernunft beginnt auszubreiten. Seit mehr als vier Jahren. Aber das ist noch nicht geschehen. Vor dem Referendum konnte ich mir nicht vorstellen, dass eine Nation so dämlich sein würde, um sich selbst den Zugang zum größten Binnenmarkt der Welt, den sie auch noch dominierte, zu versperren. Well, think again, stupid German, we do exactly that.
Sonntag ist also die nächste Chance.
Und dort ist noch eine klitzekleine Hoffnung in mir, dass selbst die Tories einsehen, dass das alles Blödsinn war und sie ihren Ausstieg rückgängig machen.
Diese klitzekleine Hoffnung wird immer winziger. Aber ärgerlicherweise verschwindet sie nie ganz.
Warten wir also ab. Den Sonntag. Oder den danach. Und dann vielleicht mal ein Montag.
Ich glaube, es wird niemals enden.