Voll im Rausch
Ich gebe es zu.
Bis zum Jahr 2018 hatte ich ein echtes Problem. Ich war süchtig. Abhängig. Konnte nicht ohne.
Meine Tage begannen bereits morgens mit einer gewaltigen Dröhnung. Verschwendete Stunden. Und, noch schlimmer, wenn die Wirkung nachließ, führte das zu Kopfschmerzen und zittrigen Gliedern.
Ich habe etwas mit mir gerungen, ob ich so etwas schreiben kann, möchte ich doch echte Drogenabhängige weder verhöhnen noch deren Süchte verharmlosen.
Trotzdem handelte es sich bei mir ebenfalls um eine Art Sucht. Nämlich der nach schlechten Nachrichten in einer außergewöhnlichen Zeit.
Dabei ähnelten sich die Morgende wirklich gewaltig. Erst schaute ich mir auf Youtube die neuesten Nachrichten von CNN und MSNBC an, danach dann die Comedie-Shows von Trevor Noah, Jimmy Kimmel, Seth Meyers und noch anderen. Es war ein Kick, der keine positiven Wirkungen erzielte. Eher Herzrasen und Depressionen.
Fakt ist: Trump war nun wirklich überall. Er schaffte es, jeden Skandal in teils atemberaubenden Tempo immer wieder mit anderen zu überbieten, legte dabei die Messlatte immer weiter nach unten.
Deshalb bekam ich täglich eine gehörige Ladung an unglaublichen Nachrichten ab. Am Anfang noch wartete ich darauf, dass dieser Alptraum in den USA irgendwann beendet sein müsste. Doch mit jedem Tag, der verging, mit immer surrealeren Nachrichten, sank diese Hoffnung, wohl auch, weil es noch andere Menschen wie mich gab, die diese ebenfalls mit gewisser Hingabe verfolgten. Denn die Verkaufszahlen für Zeitungen wie z.b. die liberale Washington Post gingen in die Höhe. Ebenso die Zuschauerzahlen für MSNBC und CNN. Aber auch die andere Seite feierte Erfolge. Denn Fox-News, das zu einer Art Propaganda-Sender für Trump wurde, wuchs ebenfalls. Insgesamt wurden die Diskussionen heftiger, die Gräben immer tiefer.
Nach einigen Jahren verstand ich, was vorging. Ich würde es mit dem Anschauen von Horrorfilmen vergleichen. Am Anfang ekelt man sich, kann kaum hinsehen wegen des gruseligen Terrors. Dann aber beginnt man, die Dosierung zu steigern. Bis man Horrorfilme braucht.
Der Witz ist, ich habe keine Ahnung, wovon ich rede, denn ich mag keine Horrorfilme. Nur Horror-Nachrichten. Trotzdem denke ich, dass es ähnlich ist.
Das habe ich irgendwann verstanden. Dass es mir ähnlich ging. Dass ich diese Nachrichten brauchte wie die Luft zum Atmen.
Ich war süchtig. Und diese Erkenntnis war der erste Schritt, den ich in Richtung Besserung gegangen bin.
Ich war also einer Gewöhnung zum Opfer gefallen, die sich Trumpism nennt.
Trumpism.
Das Wort muss neu definiert werden. Es bedeutet nicht: America first oder irgendeine politische oder ökonomische Ausrichtung. Es bedeutet die Entertainisierung der Politik: Politainment. Was wir seit 2016 bekommen haben, war eine improvisierte Reality-Show. Mit einem Antagonisten, der sich nicht zu schade war, immer neue Ekeligkeiten zu erfinden, nur um seine Geschichte weiterschreiben zu können.
Was macht man also, wenn man keine Lust mehr auf eine Reality Show hat?
Man stellt den Fernseher ab.
Und genau das habe ich getan.
In meiner Youtube-Kanal-Liste sanken die einst favorisierten Kanäle immer weiter nach unten. Diese Liste wird so geführt, dass der meistbesuchte Kanal immer oben ist. Sobald CNN und MSNBC u.Ä. in den Niederungen verschwunden waren, kam ich nicht mal mehr auf die Idee, sie zu besuchen.
Zwei Jahre dauerte meine Quasi-Abstinenz.
Zwar war ich natürlich weiterhin informiert über die wichtigsten Ereignisse, vertiefte diese aber nicht weiter.
Erst am Oktober begann ich wieder, die Geschichte dort etwas intensiver zu verfolgen. Die Wahlnacht am 4.11.2020 dann verbrachte ich so wie früher. Mit Nachrichten-Überfluss. Vier Tage lang.
Seither allerdings nehme ich wieder ein bisschen Abstand.
Ich bin noch nicht ganz sicher, ob Trumpism als solcher wirklich wieder verschwinden wird. Es deutet sich allerdings an. Schon werden die Online-Diskussionen ruhiger. Trolle verschwinden, die Nachrichten selbst scheinen bereits jetzt objektiver und weniger schrill.
Und ich?
Ich schaue nur ungläubig zurück auf diese Zeit.
Und hoffe inständig, dass sie vorbei ist.
Denn Trump hat Leben zerstört. Leben, die er für seine tägliche Horror-Show gebraucht hat. Rassismus, Xenophobie, Frauenfeindlichkeit – Alle Register in allen Bereichen hat er gezogen. Aufregung und Angst waren es, die er bis zum Abwinken schüren musste, um im Gespräch zu bleiben.
Nun hoffe ich, dass die Medienunternehmen das machen, was ich in 2018 getan habe: Trump-Abstinenz.
Und wenn Twitter noch mitmacht, dann haben wir sogar eine Chance, Erfolg zu haben.