Es war furchtbar.
Ich weiß nicht, ob ich schon jemals eine schlimmere Nacht erlebt habe. Den Nachmittag verbrachten Ehefrau Nina und ich im 13 Quadratmeter großen Hotelzimmer, dessen Klimaanlage anfangs noch etwas funktioniert hatte. Das änderte sich aber im Laufe der Zeit, vielleicht in Anbetracht der 38 Grad, die draußen herrschten. Es wurde immer heißer und natürlich auch stickiger. Die Nacht dann verbrachten wir mit sperrangelweit geöffnetem Fenster, was aber nur wenig Linderung brachte, denn auch nachts kühlte es nur auf 27 Grad herunter. Wir duschten sogar in den frühen Morgenstunden. Und das mehrmals. Am Ende aber stand eine fast schlaflose Zeit. Irgendwann schrillte der Smartphonewecker, riss uns aus dem ungesunden Halbschlaf.
Und so begannen wir also den Reisetag, unter den schlechtesten Voraussetzungen.
Nach einem kurzen Frühstück schleppten wir uns also zum Gare TGV, dem modernen Bahnhof kilometerweit vor den Toren Avignons, der aussieht wie ein großer Walfisch. Ehefrau Ninas Zug kam als Erstes. Es war ein schneller Abschied. Dieser herrliche Urlaub ist nicht so zu Ende gegangen, wie wir es uns erhofft hatten. In Erinnerung wird uns aber das fantastische Ferienhaus in Apt bleiben. Vielleicht auch die höllischen Temperaturen, die wir immer mit einrechnen mussten.

Mein Zug fuhr gegen acht, eine gute Stunde nach Ehefrau Ninas. Sie war inzwischen in Lyon am Flughafen beim Einchecken. Meine Reise aber ging in die andere Richtung Marseille, das allerdings nur eine Zwischenstation sein sollte. Man kann es so beschreiben: Ich kam an, ich fuhr ab. Marseille werde ich mir sicher auch noch einmal irgendwann ansehen. Aber nicht auf dieser Reise. Ich habe es 2010 einmal besucht.
Meine Fahrt aber ging nach Toulon, von dort aus mit dem Rad weiter nach Le Pradet. Ich brauchte eine Weile, bis ich den Weg aus der Stadt auf dem Radweg gefunden hatte. Ich weiß noch nicht, wie ich meinen Tag morgen nutzen möchte. Ob ich nach Hyère oder nach Toulon will. Ich werde es kurzfristig entscheiden.

Heute nutzte ich also die Zeit, um mich erst einmal auszuruhen. Nachdem ich den Campingplatz erreicht und kurz einkaufen gewesen war, erlosch meine Energie. Die Nacht zuvor hatte ihre Wirkung hinterlassen. Keine Frage. Eine Stunde Nachmittagsschlaf und ich war noch fertiger als vorher. Um diese Zeit zu schlafen, ist nicht gerade gesund. Auch wenn es nur eine Stunde war. Zu lang. Ich raffte mich danach auf (nach einem Kaffee) und ging an den Strand unterhalb des Campingplatzes. Erst musste ich den mit Kiefern bewaldeten Hügel absteigen, dann erreichte ich das Meer. Ich hatte es schon aus dem Zug heraus gesehen, aber wirklich hier zu sein, am Mittelmeer, ist herrlich. Erfrischend.
Natürlich war es auch heiß, aber anders als gestern. Erstens sind es zehn Grad weniger, zweitens weht eine leichte Brise, drittens ist es feucht, was die Hitze intensiver macht. Trotzdem ist es erfrischender als gestern, als die Luft zu brennen schien.

Am Strand hielt ich es danach nur aus, weil ich ein schattiges Plätzchen gefunden hatte. Und weil ich noch das Hörbuch von Pascal Mercier hören konnte. Ein Wunder, wie man so viele Seiten füllen kann, mit einer Story, in der eigentlich nichts passiert. Faszinierend.
Nach einer Dreiviertelstunde hatte ich genug, lief wieder nach oben, suchte dann einen Küstenpfad. Ich fand mich irgendwann an einem anderen Strand wieder, dem ich folgte. Manchmal stieg ich dabei über schillernde Ockerfelsen, und das in Badeschlappen. Und dann endete der Weg im Meer. Ich sah den anschließenden Strand, aber fand keine Möglichkeit, dorthin zu gelangen. Keinen, der das Risiko wert war. Also lief ich weder zurück, landete irgendwann in Le Pradet. Ich weiß nicht, ob es einen Besuch wert ist. Der Küstenstreifen ist nett, aber die meisten Leute werden auf der Durchreise nach Hyère sein, denke ich mir. Es ist aber angenehm, weil nicht so viele Touristen herkommen. Überhaupt scheint es in dieser Gegend gerade sehr ruhig zu sein. Das kann sich natürlich ändern.
An meine alleinige Weiterreise habe ich mich jedenfalls sehr schnell wieder gewöhnt. Es ist etwas völlig anderes. So, als wenn zwei Dimensionen sich nicht einmal berühren. Gestern noch war ich in einem luxuriösen Ferienhaus mit Pool, heute sitze ich vor dem Zelt auf meiner zu einem Sitzkissen umfunktionierten Matratze und schreibe. Mein Bewegungsradius scheint wesentlich größer. Aber ich weiß, dass es der Unterschied zwischen Urlaub und Reise ist. Der Urlaub ist vorbei, ich habe mich prächtig erholt. Nun kann es also weitergehen. Und es wird weitergehen.
Der Sommer ist jedenfalls da. Was vor genau zwei Wochen, als ich aus Clermont abfuhr, noch nicht der Fall gewesen ist. Und ich bin am Meer, nachdem ich praktisch ganz Frankreich durchfahren habe. Übermorgen verlasse ich das Festland. Ich habe schon eine Idee, wie es weitergehen wird. Allmählich strickt sich ein Plan zusammen.
Aber dazu später mehr. Ich will ja nicht vorgreifen.