Ausschlafen.
Es ist komisch, dass ich es gestern geschafft habe, so lange wach zu bleiben. Vielleicht lag es am schweren italienischen Wein. Heute Morgen jedenfalls wachte ich erst um sieben auf. Es war schon wahnsinnig heiß. Ich erinnere mich an meine Reisezeiten vor über 20 Jahren. Wohl eher fast 30. Als Student war ich oft im Juli und August unterwegs. Damals empfand ich es nicht als schlimm.
Heute ließ ich mir Zeit, zu viel. Erst gegen zehn machte ich mich auf den Weg nach Pisa. Wahrscheinlich viel zu spät.
Vor Pisa geriet ich selbst mit dem Rad in einen Stau. Im Gegensatz zu den Autofahrern kam ich aber langsam daran vorbei. Die schimpften sicherlich. Eine Straße war gesperrt, wurde jeweils nur für eine Seite einspurig freigegeben. Ich war innerhalb von wenigen Minuten daran vorbei.
Und dann hatte ich auch schon den Fluss erreicht. Erst zu diesem Zeitpunkt stellte ich fest, dass ich meine Digicam vergessen hatte.
Also Fotos mit dem Smartphone. Geht auch mal.

Schon jetzt spürte ich die Hitze. Und vertrug sie nicht besonders gut. Wahrscheinlich war der Wein gestern schlecht. Oder ich werde alt.
Es war trotzdem ein Genuss, wieder einmal in einer toskanischen Stadt spazieren gehen zu können. Ich habe das vermisst. Immer an den prächtigen Häusern vorbei, viele davon einstige Palazzi. Aber auch die „normalen“ Wohnhäuser aus vergangener Zeit sind oft eindrucksvoll. Vorbei lief ich am botanischen Garten, der auf den ersten Blick ziemlich vertrocknet wirkte. Es herrscht tatsächlich Trockenheit hier. So schlimm wie schon seit langer Zeit nicht mehr. Man merkt es.
Standesgemäß erreichte ich den Piazza dei Miracoli als Erstes. Irgendwie fängt hier jede Besichtigung an, wahrscheinlich für jeden Touristen. Es war ungemein voll. Der Platz ist aber auch ein eindrucksvoller Ort. Der Schiefe Turm widersetzt sich wirklich jeder Logik. Ich glaube nicht, dass es jemanden gibt, der sich nicht fragt, warum er noch steht. Auch ist er offensichtlich wieder für Besucher geöffnet, was ich faszinierend finde. Ich war noch nie darauf, als ich das letzte Mal hier war, wurde er gerade stabilisiert. Es ist schon sehr lange her.

Es ist so merkwürdig. Aber lange hielt ich mich nicht auf. Es war eher so, als würde ich einen alten Bekannten wiedersehen. Doch viel fiel uns nicht ein. Also entfernte ich mich wieder.
Pisa ist aber auch sonst sehenswert, das weiß ich noch. Die Straße vom Dom zum Fluss hin ist von touristischen Restaurants und Einrichtungen geprägt. Es war hier aber nicht übermäßig voll. Also wanderte ich durch die Gassen.
Was mir oft auffiel: Viele Häuser müssen einst Transformationen hinter sich gelassen haben. Da sind Bögen zu sehen, die im Nichts enden. Fenster, die nicht zum Gebäude passen. Türen, die versetzt erscheinen. Eigentlich ist es kein Wunder. Ansprüche ändern sich und wenn ein Haus mehrere Hundert Jahre steht, wird es eben verändert. Und hier in der Altstadt sind fast alle Häuser so alt. Würde ich hier wohnen, könnte ich mich sicher mehr und eingehender mit vielerlei Details beschäftigen.
Auch in Kirchen übrigens. Ich bin fasziniert davon zu beobachten, dass Baumaterialien von anderen Gebäuden oft wiederverwendet werden. Ich besichtigte also einige Kirchen und sah Säulen, die zwar hintereinander standen, aber vollkommen unterschiedlich waren. Auch die Kapitelle. So, als ob sie jemand irgendwo gefunden und mitgenommen und das Gebäude dann an diesen Schmuckstücken ausgerichtet hat. Ich denke, Italien ist voll von solchen Beispielen. Die Römer haben so viele Materialien hinterlassen, dass Italien noch heute davon profitiert. Alles ist in Bewegung, nichts bleibt ungenutzt.

Unterwegs nahm ich mir eine winzige Pizza mit. Ich kann nicht sagen, dass ich sie genoss, es war eher Hunger. Etwas trocken. Und dann derartig schwer, dass ich einen Energieabfall erlitt. Vielleicht war es auch die Hitze. Also es war auch die Hitze, wollte ich schreiben. Vielleicht sollte ich nur noch Bananen essen, wenn ich unterwegs bin. Oder Obst generell. Nicht auszuhalten.
Ich lief trotzdem weiter. Die meisten Touristen hatte ich hinter mir gelassen. Ich fand mich in einer breiten Straße wieder, mit Säulengängen, zumindest teilweise. Es ist positiv, wenn eine Stadt einen Touristenmagneten wie den Schiefen Turm hat. Dann bleiben die meisten Leute da. Ich aber genoss meinen Spaziergang.
Pisa ist auch Universitätsstadt. Bald schon befand ich mich in einer Gegend, in denen nur noch junge Leute verkehrten. Wahrscheinlich hätte ich hier meine Pizza kaufen sollen. So ein Blödsinn, ich hatte sie von einem Touristenstand.
Aber die Cafés waren einladend und nicht mehr geprägt von der Abzockmentalität im Zentrum. Ich bekam tatsächlich einen Espresso für einen Euro. Und durfte mich setzen. Die Pause war bitter nötig. Mir fielen fast die Augen zu.
Nach dem Kaffee ging es etwas besser, aber es war immer noch zu heiß. Ich glaube, mir fehlte auch Zucker. Nach einer kalten Limonade ging es mir erheblich besser. Keine Ahnung, wie das funktioniert. Jedenfalls ließ ich den Plan, einfach zum Campingplatz zu fahren und mich an den Pool zu legen, fallen und lief weiter. Über den Fluss hinüber, in Richtung Bahnhof.
Und hier war praktisch kein Tourist mehr. Es handelte sich um eine moderne Einkaufsstraße, auch wenn sich die Gebäude auf dieser Seite kaum unterschieden. Es war herrlich, hier langzulaufen. Hier, in der Verbindung aus alter Architektur und modernem Leben mit Geschäften. Das hat etwas. Die Stadt als Museum und auch als Lebensraum. Eigentlich geht es doch auch nicht anders.

Am Bahnhof recherchierte ich ein wenig an den Ticketautomaten. Und hier entschied ich, morgen nach Lucca zu fahren, aber nicht den Campingplatz zu wechseln. Ich radle nach Pisa und nehme dann einen Zug. Das ist leicht. Und am Tag darauf kann ich auch günstig nach Montecatini kommen. Ich muss also nicht mit dem Rad fahren. Die Straßen sind auch wirklich zu gefährlich, zumindest auf Dauer.
Jetzt, da sich langsam eine Tour herauskristallisiert, bin ich beruhigt. Es ist so schön.
Und ich frage mich, warum ich so lange nicht hier war. Es erscheint mir das natürlichste der Welt. Und ein bisschen Italienisch spreche ich auch. Das Verstehen geht sogar noch besser.