Was für ein schöner Tag.
Er begann etwas früher als gestern, wahrscheinlich weil es ein wenig kühler geworden ist. Auch hat der Wind aufgefrischt. Der Schlaf war jedenfalls wesentlich besser, immer ein guter Anlass, früher aufstehen zu können.
Gestern am Bahnhof hatte ich mich mit Absicht noch kein Ticket für einen Zug nach Lucca erstanden, sodass ich heute spontan zu der mir genehmen Zeit ein Ticket kaufen konnte. Es wäre am Ende egal gewesen, denn es sind Tagestickets, die eben irgendwann an diesem Tag eingelöst werden können. Einen Zug verpasste ich um eine Minute, nachdem ich nach Pisa geradelt war. Eine halbe Stunde später aber ging schon der nächste. Es ist wirklich ideal, Lucca liegt tatsächlich nur eine halbe Stunde entfernt von Pisa. Ich hatte eigentlich vorgehabt, den Campingplatz zu wechseln, aber die beiden Plätze bei Lucca sind unverschämt teuer. Eine Nacht hätte, wenn ich es richtig gelesen habe, um die 40 Euro gekostet. Ich meine, wir reden hier von Campingplätzen. Das machen Leute, die sich kein Hotel leisten können oder wollen. So also konnte ich diese Preisschlacht umgehen. Ideal. Und günstiger. Der Preis für die Tickets fiel diesbezüglich nicht weiter auf.

Um kurz nach zehn war ich also in Lucca. Der Bahnhof liegt direkt vor den Ramparts, also der Stadtverteidigung, die heute begehbar und im Grunde ein großer Park sind. Als ich vor fast 30 Jahren das erste Mal in Lucca war, hat mich diese Befestigung fasziniert. Heute sind es andere Dinge, die mich in ihren Bann ziehen.
Im Grunde sind es diese Städte hier selbst. Alles riecht nach Geschichte, der Staub hier könnte nicht nur mittelalterlich sein, sondern auch antik. Und man kann genau hinsehen, dann fällt es auch auf. Lucca war schon Römerstadt, mit allem drum und dran. Die Zeugen dieser Römerstadt sind noch da, 2000 Jahre Geschichte, verschmolzen mit einer jüngeren Vergangenheit und auch mit der Gegenwart.
Erst einmal aber genoss ich es, einfach durch die Straßen zu wandern. Aus den Bars drang der intensive Espressoduft zu mir, die meisten Leute waren noch dabei zu frühstücken. Ich hingegen würde bald an einen leichten Lunch denken müssen.
Dom und/oder Kathedrale betrachtete ich nur von außen. Es sind herrliche Gebäude mit marmornen Fassaden, prächtigen Statuen und Skulpturen. Innen wollte ich sie mir nicht ansehen, es kostet mittlerweile Eintritt. Durch den Zehnten finanziert, vom Volke, nun also muss das Volk auch weiter für den Unterhalt aufkommen. Na ja, oder so ähnlich. Fakt ist, dass mich Kirchen bei weitem nicht mehr so interessieren wie früher.

Lucca ist voll mit säkularen alten Gebäuden, auch viele Palazzi und Geschlechtertürme sind dabei. Einst Wehrtürme, die die Familien darin beschützten. Es muss eine bewegte Zeit gewesen sein. Damals ging man sich tatsächlich noch an die Gurgel. Heute auch noch, aber eher mit Worten.
Ich kenne die Namen der Türme nicht, aber einer ist mit Bäumen bewachsen. War er 1994 auch schon, als ich das erste Mal hier war. Schon beeindruckend. Man kann jeden erklimmen, wenn man möchte.
Ich aber suchte etwas anderes. Und zwar das antike Amphitheater.
Heute ist es beinahe verschwunden, aber dort, wo es sich befand, befindet sich der vielleicht schönste Platz Europas. Ach was, der Welt, auch wenn ich nicht alle kenne. Der Platz hat tatsächlich noch die Form der alten Unterhaltungsstätte. Und die ist im Grunde auch noch da. Wenn man genau hinsieht, kann man sie erkennen. Manchmal lugt ein Marmorblock aus dem Putz der Häuser heraus, die eine oder andere Säule ist auch noch da. Ich bin mir sicher, wenn man den Putz von den Wänden schlagen würde, könnte man es wesentlich besser erkennen. Es ist verschmolzen mit den mittelalterlichen Bauten. Und die sind wunderschön. Unterschiedlich hoch, ockerfarben, echt italienisch. Im Oval des Platzes befinden sich eigentlich nur Restaurants, Cafés, Gelaterien. Aber das passt auch irgendwie. Ich fand eine Bank und genoss den Anblick. Es war einfach nur wunderbar. Ich war jetzt hier, nach so vielen Jahren der Abstinenz. 2007 das letzte Mal. 15 Jahre. Wir waren gerade aus England nach Deutschland gezogen, mit allen Problemen, die das mit sich führte.
Die Restaurants heute schienen mir nicht besonders teuer. Wahrscheinlich auch nicht besonders gut. Jedenfalls belebt die Konkurrenz das Geschäft. Wenn ich mit Ehefrau Nina mal wieder herkomme, gehen wir hier eine Pizza essen.

Auch der Rest der Stadt, wenn man es so sagen kann, verdient näheres Hinsehen. Die Gebäude sind nicht symmetrisch, meistens zumindest nicht. Sie haben sich verändert. Was mir gestern auch in Pisa aufgefallen ist, bestätigte sich heute. Die alte Bausubstanz haben Leute immer wieder an ihre Bedürfnisse angepasst.
Es waren einige Touristen unterwegs, die sich aber meistens um eine Hauptstraße herum herumtrieben. Wenn man sich etwas weiter davon fortbewegt, wird es einsamer. Ich hatte mir keine Route ausgedacht, schlenderte einfach nur hierhin und dorthin. Ich entdeckte Kirchen, betrat sogar mal eine, hielt mich aber nicht lange auf. Man muss trotzdem genau hinsehen, denn wenn man sie von hinten betrachtet, wo sie nicht mit Marmorfassaden ausgestattet sind, sieht man die Marmorblöcke, die von antiken Gebäuden entwendet worden sind. Warum auch nicht? Die Antike war vorbei, also dienten deren Gebäude nun als Steinbrüche. Und trotzdem kann man hier und da noch die alten Strukturen erkennen. Denn Lucca ist ziemlich schachbrettartig angelegt. So wie eine perfekte Römerstadt. Ich bin mir sicher, dass unter der heutigen mittelalterlichen Stadt noch sämtliche Reste der römischen zu finden sind. Fundamente, Tempel, Wohnhäuser. Das ist es, was Italien so faszinierend macht. Es ist alles irgendwie noch da.
Ich suchte Fotomotive, Details von Gebäuden. Und ich fand sie. Immer wieder. Mit jeder dieser Städte könnte man sich bestimmt ein Leben lang beschäftigen, ohne dass einem langweilig wird. Ist das nicht großartig?
Und ich lebe in Berlin, das gerade einmal 150 Jahre alt ist. Aber irgendwie auch interessant, nur eben wesentlich jünger.

Und dann war es vorbei. Nach ein paar Stunden des Sightseeings, nach einem Stück Foccaccia und einem Espresso in einer Bar, lief ich zurück zum Bahnhof. Dieses Mal erwischte ich den Zug sofort und war tatsächlich innerhalb von 30 Minuten zurück in Pisa, wo mein Rad zum Glück unbehelligt angeschlossen am Bahnhof stand.
Morgen geht es nun endlich weiter, nach Montecatini Terme, das ich noch nicht kenne. Ich weiß nicht, ob es sich lohnt. Wir werden es einfach ausprobieren. Meine Route in Italien steht jedenfalls im Groben fest. Aber ich verrate noch nicht zu viel. Eins nach dem anderen, vielleicht kommt es ja auch ganz anders.
Es ist ein perfekter Einstand in dieses Land.
Ich war viel zu lange nicht hier.
Aber einen Cappuccino habe ich noch nicht getrunken.
So etwas aber auch!