Wieder in Italien. Nun, das galt natürlich gestern schon, heute aber konnte ich wieder eine Stadt erkunden, die ich noch nicht kannte.
Das Sommergefühl in Italien um diese Zeit ist komplett anders als in Griechenland. Die trockene, staubige Hitze ist verschwunden, stattdessen herrscht eher eine feuchte. Etwas kühler, aber aufgrund der Feuchtigkeit nicht weniger anstrengend. Anders eben. Die Nacht war etwas kühler, und angenehmer. Die Betriebsamkeit der griechischen Hochsaison-Campingplätze fehlte, nur die nahe Straße verbreitete etwas Lärm. Ich schlief wie ein Stein, fast zumindest. Erst gegen halb sieben wachte ich auf, nachdem ich bereits gegen halb zehn eingeschlafen war. Komatös. Es war wahrscheinlich notwendig. So ganz hatte ich aber die offensichtlich anstrengende Überfahrt noch nicht überstanden, denn den ganzen Tag lang spürte ich eine bleierne Müdigkeit. Es ist schwer zu beschreiben, sie äußert sich nicht gerade körperlich. Eher geistig. Es fehlte mir an Forschungsdrang und Energie. Aber ich machte trotzdem, was ich mir vorgenommen hatte und was ich auch machen wollte.
Ich radelte nach Vicenza. Ungefähr sieben Kilometer, auf gerader, aber befahrener Strecke. An einer toten Katze kam ich vorbei, was mich immer mitnimmt. Ihr herrliches schwarzes Haar glänzte in der Sonne. Wahrscheinlich fehlt einem Katzenliebhaber nun sein Begleiter. Das macht mich immer traurig.
Nach einer halben Stunde hatte ich die Stadt erreicht, stellte mit schlechtem Gewissen mein Rad ab und schloss es an. Die Campingplatzbetreiberin hatte mir mitgeteilt, dass in der Stadt viele Räder gestohlen werden. Und mir vorgeschlagen, lieber den Bus zu nehmen. Sie hat es gut gemeint, mir aber Unsicherheit eingepflanzt. Und mal ehrlich, worin besteht denn der Ansatz, ein Rad zu haben, es aber nicht zu benutzen, weil es sonst eventuell gestohlen werden könnte? Geht man nicht wandern, weil man sich ein Bein brechen könnte? Kann man machen, dann erlebt man aber die Wanderung nicht. Lebt man denn dann überhaupt, wenn man nichts mehr erlebt, weil es einen Grund gibt, etwas nicht zu tun? Ein Rad ist ein Ausrüstungsgegenstand, eine Möglichkeit der Fortbewegung. Auch eine Wahl. Ich mag mein Rad. Liebe ich es? Nein. Es ist ein Stück Ausrüstung, das ich pfleglich behandele und es so sicher wie möglich abstelle. Trotzdem käme ich nicht auf die Idee, es stehenzulassen. Es ist nicht so, dass es sich bei Vicenza um eine gefährliche Gegend handelt. Schlimmer als Berlin ist es sicher nicht. Wahrscheinlich das Gegenteil.
Trotzdem war der Samen der Unsicherheit gesät. Und ich musste den ganzen Tag daran denken. Erst stellte ich das Rad an der Ponte San Michelle ab, dann aber, nachdem ich den Piazza delle Biade entdeckt hatte, ging ich zurück und holte es. Der Piazza war belebt, das schien mir sicherer.
Vicenza mochte ich auf Anhieb. Der Fluss Retrone kommt einem immer mal wieder in die Quere, kleine oder größere Brücken führen herüber. Das Schönste aber sind die Plätze. Den Piazza dei Signori habe ich erwähnt, es ist der Größte, der in den Piazza delle Biade übergeht. Zwei Säulen an seinem Anfang strecken sich in die Höhe, auf einem davon der venezianische Löwe. Ungeahnte Weiten erstrecken sich danach, viel Platz für das Zentrum der Stadt. Prachtbauten an allen Ecken, Kirchen, natürlich der Dom, der ein wenig an eine gigantische Markthalle erinnert. Drin war ich nicht, ich hätte ein Ticket lösen müssen. Zu viele Kirchen. Und überhaupt war mir mehr danach, einfach durch die Stadt zu flanieren. An diesem Sonntag war es einfach. Viele Italiener waren unterwegs, die Restaurants füllten sich später, erst aber die Cafés. Ein Ziel hatte ich nicht, ich ließ mich einfach treiben. Überall standen Informationstafeln. Zu den Dutzenden Palazzi aus Renaissance-Zeiten. Aber auch zu römischen Resten, die kaum sichtbar sind. Die römische Stadt befindet sich unter der jetzigen. Anders als anderswo ist sie tatsächlich fast verschwunden. In Kellergewölben sollen noch Reste zu sehen sein, aber die sind privat. Ein paar Glasplatten zeigen die Grundmauern eines Aquädukts, ich glaube am Corso Andrea Palladino. Es ist kaum etwas zu erkennen. Aber die Stadt ist da. Nur versteckt. Faszinierend.
Ich lief den Corso zum Teatro Olimpico. Im Hof stehen Statuen um einen kleinen Park herum. Der Eintritt war mir an diesem Tag aber wirklich zu teuer, ich hätte ein Kombiticket nehmen können. Aber ich sparte es mir. Die Hauptsaison in Italien und meine leichte Schwäche brachten mich zu dieser Entscheidung. Ich glaube, es hätte sich gelohnt. Im Nachhinein und nach der Lektüre dieser einzigartigen Attraktion bereue ich es zutiefst, dieses Theater nicht gesehen zu haben. Es ist das erste überdachte Theater Europas, mit einzigartigem Bühnenbild. Ich werde nochmals herkommen, um es zu besichtigen.
Letztlich aber lief ich die Straßen und Gassen ab. Es ist kein labyrinthisches Gewirr, aber immer noch interessant. Die ockerfarbenen und leuchtenden Häuser gaben mir dieses typische Gefühl, das ich habe, wenn ich durch italienische Städte laufe. Dieses Gefühl, in einer anderen Zeit unterwegs zu sein. Praktisch ein Museum zu erleben. Und trotzdem den Alltag zu sehen.
Mehrere Türme aus, ich glaube, venezianischer Zeit sind noch erhalten, die sicher zur Mauer gehörten. Die roten Backsteine leuchteten in der Sonne. Auch die Gewölbe in den Arkaden um den Dom herum sind aus solchen Steinen gemauert. Überhaupt: Wie in Bologna gibt es zahlreiche Arkaden, unter denen man im Schatten wunderbar flanieren kann. So lief ich also durch die Gassen und ließ den Ort auf mich wirken. Leute saßen in den Cafés und Restaurants, tranken Wein oder Aperol Spritz. Um diese Tageszeit? Gut, es war Mittag, aber ist das nicht zu früh? Egal, sollen sie, es ist Sonntag.
Ich jedenfalls lunchte Focaccia in einem Park, gönnte mir ein wenig Ruhe. Unfassbar, dass diese Reise mich so angestrengt hat. Vielleicht habe ich auch genug? Reisemüdigkeit? Kann sein. Das ist dumm, aber nicht zu ändern. Es wäre irgendwie kein Wunder.
Nach dem Lunch gönnte ich mir in einem Café einen Espresso. Die Italiener machen einfach den besten Kaffee der Welt. Er ist einmalig.
Ich lief danach noch etwas durch die Stadt, bis ich merkte, dass ich genug hatte. Gegen halb drei machte ich mich wieder auf zum Platz, weil ich das nächste Ziel morgen noch nicht gefunden habe. Ich wollte recherchieren. Im Grunde weiß ich es jetzt am Abend aber immer noch nicht. Nun, wir werden morgen sehen. Es wird sich etwas ergeben.
Den freien Nachmittag nutze ich, um etwas zu tun, was ich schon immer mal machen wollte. Auf dem Platz befindet sich ein Feigenbaum. Und der trägt üppig Früchte. Ich erntete sicher 40 Feigen, die ich ausschabte und einkochte. Ein winziges Gläschen Feigenmarmelade kam heraus. Das wollte ich immer schon mal machen. Mal sehen, wie sie morgen zum Frühstück schmeckt. Und ob sie hält. Jedenfalls bin ich jetzt ziemlich zufrieden mit mir.
Und für die Weiterfahrt morgen wird sich schon etwas ergeben. Ich habe das Gefühl, tatsächlich an einer Art Ende angelangt zu sein. Das fühlt sich gut an. Keine Wehmut. Ich werde das jetzt langsam ausgleiten lassen.