Aufgerafft und durchgezogen.
Es ist so heiß geworden, dass die kalten Nächte von vor einigen Tagen im Landesinneren praktisch vergessen sind. Ich schlief fast nackt, so wie ich es bevorzuge, trotzdem war es warm. Es ist ungewohnt. Aber es ist ja auch schon Juni, der Frühsommer steht vor der Tür. Die Nacht war trotzdem unruhig, ich bin auf einem Fahrrad-Camping untergekommen, ab halb sechs herrscht hier also schon Aufbruchstimmung, denn viele Leute brechen früh auf.
Würde ich auch, wenn ich radeln würde. Für meine Verhältnisse tat ich das auch, trödelte aber trotzdem etwas. Yoga, Frühstück, dann langsames Vorbereiten. Es war nicht besonders schlimm, denn meine Tagestour würde nicht sehr ausladend und anstrengend werden.
Gegen neun brach ich in Richtung Vienne auf. Eigentlich hatte ich dort unterkommen wollen, hatte aber keinen Campingplatz gefunden. So kann es gehen. Also stand mein Zelt in Condrieu.

Die Strecke entlang der Rhone ist sehr schön, der Fluss ist breit und sah friedlich aus. Keine Ahnung, ob das immer so ist. Man kann sich auch nicht verfahren, der Radweg ist gut ausgeschildert, mit einigen Picknickplätzen, die sehr schön im Schatten liegen.
Das war auch nötig, denn es war ausgesprochen heiß. Am Ende sollen es hier 33 Grad gewesen sein, die Dank eines robusten Windes auszuhalten sind und waren. Ich erreichte die Stadt nach einer knappen Stunde gegen zehn. Auf der rechten Seite war nichts los. Also gar nichts. Ich sah einen alten Turm aus rotem Backstein, hatte eigentlich eine Altstadt erwartet, aber die gab es nicht. Zumindest nicht auf dieser Seite.
Ich schloss das Rad an und überquerte auf einer Fußgängerbrücke die Rhone. Und da war sie dann, die Altstadt. Irgendwer hatte mir gesagt, dass auch auf der anderen Seite ältere Gebäude zu besichtigen wären, aber vielleicht habe ich das falsch verstanden.
Das Beste war: Es war Markttag. Auf dieser Seite des Flusses stapelten sich die Menschen an den Ständen, sodass ich erst einmal von der Stadt nicht viel mitbekam. Mir macht so etwas nichts aus, denn ich mag Märkte. Dieser hier hatte definitiv einen eher orientalischen Charakter. Viel Kleidung, Gewürze, natürlich Gemüse und Obst, aber auch Stoffe. Ich mochte es, mir die Sachen anzusehen. Und es war voll. Sehr voll. Das gab mir die Gelegenheit, alles genau zu betrachten.
Die Stadt selbst spielte also erst einmal nur die zweite Geige. Aber als ich den ausufernden Markt verlassen hatte, entdeckte ich tatsächlich eine außerordentlich südländische Stadt mit sonnigem Charakter. Alte Häuser, enge Gassen, manchmal schmucke Häuserfassaden. Und Ruinen. Vienne war eine wichtige römische Stadt, hier, direkt an der Rhone. Wahrscheinlich auch eine wichtige Gallische, das weiß ich noch nicht. Jedenfalls sah ich einen Park, der gänzlich aus Ruinen bestand, auf denen Leute sich ausruhten.
Ich aber suchte nach dem römischen Theater, das ich erst fand, als ich OsmanD bemühte. Immer den Berg hoch.
Es ist noch in Betrieb, von außen sah ich die Bühnenaufbauten Ich ersparte mir allerdings den Eintritt. Kennste eines, kennste alle.
Nun, so ist es natürlich nicht unbedingt, aber ich weiß aus Erfahrung, dass man ein antikes Bauwerk nicht unbedingt betreten muss. Ich kenne das aus Orange, wo man vom Hang über dem Theater einen wesentlich besseren Blick darauf hat als drinnen.

So war es heute auch ein wenig, denn ich stieg höher, immer in Richtung der Kirche, die über der Stadt zu thronen scheint, Notre Dame du Pipet. Ein wundervoller Aussichtspunkt über Vienne und über dem Rhônetal. Auch ohne Theater lohnt es sich.
Das Theater war indes nur halb zu sehen. Zumindest die Sitzreihen schienen mir recht gut erhalten, die Aufbauten, die das Theater aber ausmachen, sah ich nicht. Wahrscheinlich sin aus deren Steinen die umliegenden Häuser errichtet. Ich sah auch das Odeon, ein kleineres Theater für erleseneres Publikum. Davon ist allerdings kaum etwas übrig, ich weiß auch nicht, ob man es betreten kann.
Hier oben verweilte ich lange. Es war schön, die Aussicht genießen zu können. Die Berge sind voller Weinpflanzen und den dazugehörigen Châteaus, wobei selbst ein Bauernhaus Château heißt, wenn es zu einem Weinhang gehört. Muss man wissen. Auch eine Burgruine nahm ich wahr. Sie gibt der Stadt noch zusätzliche Romantik.
Irgendwann aber wagte ich den Abstieg. Und landete mitten in der Stadt direkt vor einem fantastisch erhaltenen römischen Tempel, von dem ich gar nicht wusste, dass er existiert. Hätte ich mal etwas mehr gelesen. Aber hier war es herrlich. Und es gab mehrere Cafés. Echte Cafés, in denen man einfach nur einen Kaffee trinken konnte. Und das machte ich auch. Wirklich ein herrlicher Ort, die Franzosen läuteten hier ihr Wochenende ein, nicht wenige mit einem Bier oder sogar einer Flasche Rosé, die sie sich teilten. Ich fühlte, dass ich genau am richtigen Ort war. Solch ein Gefühl habe ich in letzter Zeit zu selten. Viel zu selten. Hier vergaß ich viele kleine Sorgen, lehnte mich zurück und sah dem Geschehen zu. Ich weiß wirklich nicht mehr, wann ich das letzte Mal getan habe. Früher sehr oft, heute viel zu selten. Und es war auch in Ordnung, einfach eine Stunde sitzen bleiben zu können. Niemand störte mich oder gab mir das Gefühl, meinen Platz zu brauchen. Es gab ja auch genug.

Nach dieser müßigen Stunde besuchte ich noch die Kathedrale. Pfingsten steht bevor, was sicher toll ist, wenn man nicht reist. Aber dazu morgen. Die Kathedrale besuchte ich nur kurz, zu viele Leute sorgten für eine zu emsige Atmosphäre. Ich denke, dass morgen hier einige Events stattfinden, Diskussionsrunden oder etwas Ähnliches, denn ich sah einige Stuhlkreise. Sollen sie machen. Taten sie ja auch schon.
Ich verließ das Gebäude jedenfalls wieder rasch. Und lief noch einmal durch die nun fast verlassenen Gassen. Wo vor zwei Stunden noch emsiges Treiben herrschte, wurden jetzt die Reste des Markttages beseitigt und aufgeräumt. Ich sah es als Zeichen an, auch meinen Besuch langsam zu beenden. Ich lief wieder über die Brücke, fand mein Rad unangetastet vor, immer wieder eine leichte Befürchtung meinerseits, dann radelte ich in der absoluten Nachmittagshitze zurück.
Und hier sitze ich, an meinem letzten Abend allein. Morgen kommt Ehefrau Nina für unseren gemeinsamen Urlaub. Ich bis so gespannt, wie es werde wird. Sicher sehr ruhig.
Körperlich habe ich mich übrigens bereits einigermaßen erholt. Noch vorgestern ging es mir nicht so gut. Vielleicht lag es auch am Wetter. Jedenfalls ist es jetzt besser.
So, ein neuer Abschnitt beginnt.
Und ich freue mich darauf.