Zwei Jahre habe ich gewartet.
Zwei Jahre, die mir vorkamen wie eine Ewigkeit.
Vor zwei Jahren hatte ich eine Art Sabbatical geplant, eine Reise. Damals in 2020 wäre Griechenland mein Ziel gewesen. Das hat aufgrund der Pandemie nicht geklappt. Das Leben stand damals still, alle blieben zu Hause.
Letztes Jahr hätte ich diese Reise vielleicht durchführen können, aber die notwendigen Impfungen hatte ich erst später im Jahr, für mich zu spät, um noch abzufahren. Das Risiko schien mir deshalb zu hoch.
Jetzt aber, Anfang Mai 2022, ist es an der Zeit zu reisen.
Nach Griechenland wollte ich jedoch nicht mehr. Ich war letztes Jahr einen Monat auf Kreta, das hat mir in dieser Gegend gereicht.
Also habe ich mich anders entschieden.

Frankreich!
Vielleicht Italien.
Im Grunde steht noch gar nichts fest. Nur, dass ich heute Abend am Hauptbahnhof in Berlin einen Zug besteige, der mich morgen nach Paris bringen wird. Ich habe den Zug dem Flugzeug vorgezogen, weil es einfacher ist, ein Rad damit zu transportieren. Letztes Jahr in Griechenland war das Tern nach dem Hinflug beschädigt, die Schaltung verbogen. Das wird im Zug hoffentlich nicht geschehen, auch wenn die Reise etwas beschwerlicher ist. Sei es drum, es wird schon gehen. Das einzige Manko an der Reise besteht in den über drei Stunden Aufenthalt in Mannheim, wo ich nachts um 3:30 ankommen werde, die Weiterfahrt beginnt aber erst um 6:30. Das ist unangenehm. Irgendwie hoffe ich aber auf die Deutsche Bahn und ihre notorische Unpünktlichkeit, sodass eventuell aus diesen drei Stunden nur zwei werden. Oder so ähnlich. Ich habe diese Verbindung gewählt, weil die anderen weniger Zeit zum Umsteigen gelassen hätten. So genau kann ich mich aber an die Buchung nicht erinnern. Mir schien es wichtig, früh in Paris anzukommen, um den Tag noch etwas nutzen zu können. Denn um zehn Uhr werde ich in der französischen Hauptstadt ankommen.

Ich möchte ein wenig über die Vorbereitungen auf die Reise schreiben.
Diese waren anders als bisher. Ich spreche nicht von der Zusammenstellung der Ausrüstung, die habe ich wie üblich akribisch betrieben. Ich habe einige neue Kleidungsstücke, ein neues Camping-Kopfkissen, habe mich reiseversichert, dabei an die Corona-Abdeckung gedacht, auch eine Unfallversicherung ist dabei. Also ist alles in Ordnung.
Aber meine Reise-Planungen die Route betreffend haben dieses Mal kaum stattgefunden. Ich habe ein paar Orte herausgesucht, die ich eventuell besuchen möchte. Aber festgelegt habe ich mich kaum. Auch habe ich anders als sonst wenig recherchiert. Ich weiß nur, dass ich nach meinem Besuch von Paris das Valée de la Loire besuchen werde, um am 13.5. zu meiner Freundin Laurence zu fahren. Bei ihr werde ich das Wochenende verbringen.
Danach aber bin ich in meinen Reiseentscheidungen frei.
Ich muss gestehen, dass mich diese Form der Ungewissheit dieses Mal reizt. Ich habe einige Eckpunkte, mehr aber auch nicht. Am 5.6. kommt Ehefrau Nina in Lyon an, wir werden unseren Jahresurlaub in der Provence verbringen. Was danach kommt und wie ich überhaupt dorthin komme, steht noch nicht fest. Vielleicht bleibe ich in Frankreich, vielleicht fahre ich weiter nach Italien, das ich auch zehn Jahre nicht besucht habe.
Das muss ich jetzt noch nicht entscheiden.

Dieser Tag, an dem ich auf die Abfahrt warte, ist eigenartig. Alles scheint mir fremd, der nahe Abschied bestimmt meine Zeit. Ich habe schon mehrmals mein Gepäck durchgesehen und sichergestellt, dass ich an alles gedacht habe, was illusorisch ist, denn irgendetwas fehlt sowieso. Ich fahre nach Frankreich, nicht in den Urwald. Alles, was ich vergessen habe, kann ich bequem besorgen. Also halb so schlimm. Auch das Rad habe ich gecheckt, die Kette ist geölt, die Taschen ausgetauscht und neu, auch wenn sie eigentlich eher Zierde darstellen. Ich habe mich gegen richtige Fahrradtaschen entschieden, weil das Tern dafür ungeeignet ist. Größere und kleinere Taschen drücken auf die Gangschaltung. Das ist unangenehm und führte auf Kreta zum Herausspringen der Kette. Wahrscheinlich ist ein Faltrad sowieso für eine Reise wie diese ungeeignet, aber ich will es ausprobieren. Um das klarzustellen: Ich will nicht alle Strecken mit dem Rad absolvieren, sondern auch Busse und Bahnen nutzen. Dazu ist das Rad bestens geeignet. Trotzdem bin ich ein bisschen nervös, aber nicht so sehr wie vor einem halben Jahr in Griechenland. Es hat dort einigermaßen gut funktioniert, jetzt wird es sogar noch besser werden, weil ich die Schwächen dieser Reiseart kenne. Auch in Paris werde ich mit dem Rad einigermaßen sicher unterwegs sein, sicher vor Corona auf jeden Fall. Denn der Gedanke an eine mögliche Infektion reist natürlich immer mit. Aber auch hier beuge ich natürlich vor, vermeide Gruppenansammlungen, übernachte meistens im Freien auf Zeltplätzen. Es kann immer etwas geschehen, aber irgendwann müssen wir eben auch mal damit anfangen, wieder zu leben. Und ein weiteres Jahr wollte ich die Reise nicht verschieben.

Ich weiß, dass irgendwann der Moment kommen wird, wo mir die vollkommene Verrücktheit dieser Reise in den Sinn kommen wird, wahrscheinlich, wenn der Zug abfährt. Vier Monate. Wer macht denn so etwas? Ich weiß es nicht. Ich sage mir oft, dass es eben etwas ist, dass man zwei oder dreimal im Leben macht. Und irgendwie stimmt das auch. Meine letzte wirklich große Reise ist zwölf Jahre her, damals waren es mehr als zehn Monate, die ich unterwegs war. Die Zeiten jetzt sind jetzt andere. Pandemie, Krieg. Ich will mich in diesen Augenblick gar nicht damit auseinandersetzen, aber diese Sorgen fahren natürlich ebenfalls mit.
Mal davon abgesehen, dass mich Ehefrau Nina immer bestärkt hat, diese Reise zu unternehmen. Aber natürlich ist es auch für sie schwer. Im Grunde aber sind es nur fünf Wochen, bis wir uns wiedersehen. Um dann sicher eine wundervolle Zeit im Süden Frankreichs zu verbringen.

So, es ist jetzt fast 15 Uhr, meine Bahn geht erst um 21:30. Ich habe also noch Zeit zu duschen und das Schlafzimmer zu putzen. Solch alltägliche Aufgaben verkürzen gerade die Wartezeit. Anderenfalls würde ich vor Aufregung wahrscheinlich im Dreieck springen. Im Moment bin ich aber tatsächlich vollkommen ruhig.
Ich werde jetzt also den Rest meiner Zeit hier gut nutzen.
Um dann ein Reisekapitel aufzuschlagen, von dem ich noch lange erzählen werde, wahrscheinlich zum Leidwesen aller, die zuhören müssen.