Was für ein Tag. Was für eine Anreise.
So mache ich das jedenfalls nicht noch einmal.
Aber der Reihe nach.

Um acht machten wir, Ehefrau Nina und ich, uns auf den Weg zum Hauptbahnhof. Ich war mir zu 90 % sicher, dass der Zug auch am Südkreuz, also ganz bei uns in der Nähe, halten würde, aber ganz sicher war ich mir nicht. Gebucht hatte ich jedenfalls ab Hauptbahnhof. Die Fahrt dorthin war schon eigenartig, denn erst fuhr die S-Bahn ab Friedrichstraße mit gehöriger Verspätung, dann schienen sämtliche Aufzüge am Hauptbahnhof defekt oder unendlich langsam. Letztlich aber war ich irgendwann im Zug. Und tatsächlich fünf Minuten nach Abfahrt am Südkreuz.
Aber das ist nur eine Nebengeschichte.

Die Reise nachts glich letztlich einer Tortur. Erst wurde die ganze Nacht das Licht nicht ausgeschaltet, schien also taghell. Dann kamen ständig Durchsagen der Schaffner. Kein Wunder, der Zug hielt auch relativ oft auf dem Weg durch die Republik. Am Schlimmsten aber waren die Sessel. Wahre Folterinstrumente. Zwar kam ich irgendwann zur Ruhe, aber das Schlafen war unruhig, von ständigem Ziehen in der Rückenmuskulatur unterbrochen. Und letztlich ging mir auch die ganze Zeit durch den Kopf, dass ich ja in Mannheim um 3:30 aussteigen musste. Natürlich hatte der Zug keine Verspätung. Ich schlich mich also in Mannheim aus dem Zug. Und wusste nicht, was ich mit mir anfangen sollte.
Es war nicht vollkommen einsam, Leute liefen herum, der Bahnhof schien lebendig. Zwar kamen die Züge nur selten, aber immerhin regelmäßig. Nicht, dass ich Angst gehabt hätte, aber ein ständiges Kommen und Gehen beruhigt doch.
Irgendwann setzte ich mich auf den Boden, lehnte ich an ein Geländer und nickte ab und zu ein. So wie das viele machten, die hier auf Anschlusszüge warteten. Es war nicht sehr angenehm, aber wie es mit der Zeit so ist: Sie vergeht.

Und schließlich war es halb sieben, Zeit für die Weiterfahrt. Auch dieser Zug war relativ leer, mein zusammengefaltetes Fahrrad stellte ich einfach neben mich, blockierte damit zwei ganze Plätze. Es störte letztlich niemanden. Schlafen konnte ich auch nicht mehr richtig. Es war ja auch nicht mehr Zeit dazu. Die Nacht war vorbei. Ob ich nun geschlafen hatte oder nicht. Ich kenne das. Ich kann immerhin noch etwas machen, irgendwann am Tag aber bekomme ich einen ernsthaften toten Punkt. Und der geht auch nur selten wieder weg.
Aber ich wusste, dass ich in Paris wenigstens ein paar gute Stunden verbringen konnte. Um zehn kamen wir pünktlich an. Ich gab mein Gepäck auf, weil ich erst gegen 14 Uhr in die Wohnung konnte, und fuhr vom Gare de l’Est in Richtung Innenstadt. Es war ein wenig merkwürdig und ich brauchte ein wenig Zeit, um mich an die ungeschriebenen und geschrieben Regeln zu gewöhnen. Zebrastreifen gelten nicht viel. Es sei denn, sie gelten doch, wenn man es mit entschlossenen Fußgängern zu tun hat. Ich aber war eben auch noch damit beschäftigt, mir die Stadt anzusehen, Eindrücke zu sammeln. Ich war sicher ein schönes Verkehrshindernis. Aber mir war es egal.

Im Grunde war es auch nur ein Katzensprung. Nur eine Viertelstunde nach meiner Abfahrt vom Bahnhof war ich schon an der Seine. Ich muss gestehen, dass mein letzter ernsthafter Aufenthalt in Paris bereits fast 20 Jahre her ist. Ich habe keine Ahnung mehr, wo sich was befindet. Nur rudimentär. Notre Dame aber fand ich gleich. Die prachtvolle Kathedrale, die vor ein paar Jahren gebrannt hat. Die Bilder an den Zäunen vom Brand ließen mich schaudern. Es ist ein Wunder, dass dieses wohl wichtigste französische Bauwerk noch steht. Ich glaube, dass es drei Jahre her ist, sie haben, so habe ich gehört, noch nicht einmal mit der Restaurierung begonnen, sind aber emsig dabei, diese vorzubereiten. Jedenfalls sieht die Kathedrale schon jetzt viel heller aus. Wahrscheinlich haben sie sie schon gereinigt. Es wird aber noch einige Jahre dauern, bis man wieder hineinkann.

Wenn ich Notre Dame erreiche, gehe ich danach immer durch die Île de Seine, also dem Ort, wo sich das antike Lutetia befunden hat. Daran konnte ich mich also noch erinnern. Das war gut. Ich hatte die Île allerdings ein wenig anders in Erinnerung. Chicer. Aber vielleicht war ich doch schon zu müde, um alles richtig zu beobachten.
Ich ließ mich danach einfach treiben. Schlug einen Bogen auf der anderen Seite der Seine und radelte zum Louvre und zu den Tuilerien. In den Gärten setzte ich mich ein wenig hin, ein großer Fehler. Denn jetzt merkte ich den fehlenden Schlaf. Es war wirklich eigenartig. Mir fielen jedenfalls fast die Augen zu. Es war so friedlich. Touristen waren auch unterwegs, aber auf dem großen Gelände verliefen sie sich.
Keine Ahnung, wie die Stunden verronnen waren, aber es war bereits kurz vor eins. Ich machte mich also wieder auf den Weg zum Bahnhof, sah von weitem das Centre Pompidou. Langsam bekomme ich wieder eine Idee von der Stadt, ihrer Struktur und Geografie. Es ist schön, sie wieder neu zu entdecken. Vom Bahnhof radelte ich mit Gepäck zur Péripherie, von dort noch ein paar Hundert Meter weiter. Meine kleinste Wohnung liegt in Montreuil, direkt vor einem Park. Sie ist nicht sehr luxuriös, wird aber reichen. Ich musste mich jedenfalls erst einmal für eine halbe Stunde hinlegen, bevor ich daran denken konnte, wieder etwas zu unternehmen. Viel machte ich nicht mehr.

Ich ging noch in besagten Park, weil es dort einen wundervollen Panoramablick auf die Stadt gab. Tatsächlich, es war wundervoll, auch wenn ich nur den Eifelturm erkennen konnte, keine anderen Wahrzeichen. Ich glaube noch das Pantheon. Aber sicher war ich mir nicht. Mittlerweile hatte sich auch die Sonne durchgesetzt und schien sehr, sehr heiß. Gefühlt war es der wärmste Tag des Jahres, auch jetzt noch gegen 18 Uhr sitze ich barfuß draußen, auch wenn es allmählich frischer wird. Es ist erst Frühling. Aber er ist hier jedenfalls angekommen.
Außer einem Einkauf bei Carfour geschah nichts mehr. Ich hatte nicht die Kraft, nochmal ins Zentrum zu fahren. Das muss bis morgen warten. Es ist auch gut, wie es ist. Morgen werde ich mich jedenfalls wieder einfach treiben lassen und mal die andere Seite der Stadt ansehen. Das Marais, Quatier Latin, Boulevard Haussmann. Alles mit dem Rad, was anders ist. Man begreift eine Stadt wesentlich besser, als wenn man nur Metro fährt. Und so groß ist Paris auch nicht, wenn man das touristische Zentrum betrachtet. Die Radwege sind auf jeden Fall besser als in Berlin. Es gibt sie eigentlich überall. Ich fühlte mich sicher.

So, jetzt noch eine kleine Yoga-Session. Und dann etwas Abendessen. Alt werde ich heute jedenfalls nicht. Aber das war auch nicht zu erwarten.