Carl Ruiz Zafón

Am 19.6. ist der Schriftsteller Zafón letztes Jahr gestorben. Diese Nachricht hat mich damals mehr als nur schockiert, war Zafón zu diesem Zeitpunkt doch erst 55 Jahre alt. Ich kannte einige Bücher von ihm, hatte auch mal einen Tag in Barcelona verbracht, um einige der Orte zu sehen, die er in seinen Schriften beschrieben hat. Barcelona, das muss man wissen, war immer der eigentliche Protagonist in seinen Werken. Ein eigener Charakter, der in jedem Buch dabei war.

Im Juni habe ich mir vorgenommen, seine Hauptreihe, bestehend aus vier Büchern zu lesen, angefangen mit „Der Schatten des Windes“, bis zum letzten Roman „Labyrinth der Lichter“. Streng genommen habe ich sie nicht gelesen, sondern gehört, Neuland für mich, der eigentlich eher liest. Aber es war ein schönes Erlebnis.
In diese Welt also konnte ich bis gestern Abend eintauchen, ca. 50 Stunden Hörbuchgenuss sozusagen. Eine Welt, die ich somit ein bisschen besser kennenlernen durfte, denn der größte Teil der Geschichte spielt während der Franco-Diktatur, die in Barcelona besonders viele Opfer gefordert hat und die die heutige Situation erklärt, in der Abspaltungsideen von Spanien langsam Form annehmen und die sich in der Zukunft kaum werden unterdrücken lassen. Aber das nur am Rande.

Barcelona an sich hat mir immer gut gefallen. Auch wenn ich erst zweimal dort war, ist es doch eine faszinierende Stadt. Mit einiger Wehmut musste ich auch irgendwann feststellen, dass mein letzter Besuch dort bereits fast elf Jahre zurückliegt, was ich mir in keiner Weise erklären kann. Wahrscheinlich hat mich Prag in den letzten Jahren mehr fasziniert, dort war ich sicher schon zehn Mal.
Aber Barcelona möchte ich jetzt wiedersehen. Und das ist problematisch, denn Barcelona ist heutzutage fast wie Venedig. Überlaufen, touristisch, vielleicht ein wenig kosmopolitisiert. Ein Trend übrigens, an dem auch Zafón nicht ganz unschuldig gewesen sein dürfte, wobei es schon ein bisschen lustig ist, hat er doch diese vier Bücher in Los Angeles geschrieben, wo er seit seinem 30. Lebensjahr gelebt hat. Seine Stadt hat er trotzdem einzigartig dargestellt. Und ich kann nicht erwarten, diese wiederzusehen, um dieses Mal etwas ernsthafter die verzauberten Orte zu entdecken, die auch in diesen Romanen vorkommen.

Wehmütig aber musste ich gestern wieder daran denken, dass ein solcher Schriftsteller, den man den Dickens Barcelonas nannte, schon so früh sterben musste. Erklären kann man so etwas sowieso nie. Was ich als besonders eindrucksvoll empfand, war die Tatsache, dass er sich auf den letzten Seiten des vierten Romans „Das Labyrinth der Lichter“ wie manch Maler auf seinen Werken auch ein bisschen selbst porträtiert hat. Ich glaube, dass einige biografische Erlebnisse in die Figur des Julian Sempere eingeflossen sind, was zumindest lustig ist. Viel ist ja nicht über den Privatmensch Zafón bekannt, aber das ist letztlich auch nicht so wichtig. Schließlich hat er sich selbst auf mehr als 2000 Buchseiten in diese Reihe eingebracht, ein Werk, das neben der Stadt auch die Schriftstellerei selbst thematisiert. Ich weiß gar nicht, wie viele Schriftsteller vorkommen, aber alle hinterlassen ihre Weisheiten, von denen ich einige, selbst Schriftsteller, nicht unbedingt teile, aber das ist ebenfalls vollkommen unwichtig.

Viel ist geschrieben worden zu dieser Buchreihe. Natürlich wurde sie beurteilt, von Leuten, die nicht annähernd an den Erfolg von Zafón herankommen werden, aber das ist wohl das Schicksal dieser Welt, in der oft Unwert das Genie beurteilt.
Ich selbst sehe diese Bücher als das, was sie sind: als grandiose Geschichten, auf die ich mich einfach gerne eingelassen habe. Mehr muss es doch oft nicht sein. Es sind Geschichten, die ich noch eine Weile, vielleicht sogar für immer mit mir herumtragen und an die ich mich gerne erinnern werde. Diese 50 Stunden also, die ich mit den Geschichten eines mir unbekannten Schreiberlings verbracht habe, waren köstlich und unterhaltsam. Und das, so finde ich, ist doch der eigentliche Wert von Literatur, die uns auf diese Weise begleitet und unser aller Leben bereichert.

Abschließen möchte ich mit einem Zitat aus Zafóns Büchern, ich bin mir gerade nicht sicher aus welchem, was nicht wichtig ist, denn es würde in jedes dieser Reihe passen:

„Jedes einzelne Buch hat eine Seele. Die Seele dessen, der es geschrieben hat und die Seele derer, die es gelesen und erlebt und von ihm geträumt haben.“
Somit bin ich also Teil dieser Bücher, habe ebenfalls ein Stück von mir dort hinterlassen. Das ist ein schönes Gefühl, erhebend und beruhigend.
Und bin trotzdem ein bisschen traurig, weil ich in Zukunft auf das Alterswerk des Schriftstellers verzichten muss. Aber feiern wir lieber das, was wir bekommen haben. Und das ist reichlich.
Aber was erzähle ich. Lest einfach. Damit ist genug gesagt.