Die Nacht war tropisch.
Kein Lüftchen, weit über 25 Grad. Keine Decke, nicht einmal ein T-Shirt.
Dann regte sich doch plötzlich ein Lüftchen und warf nachts um drei mein Rad um. Kann passieren.

Ich wusste, dass heute ein anstrengender Tag werden würde. Schließlich war ich nur wegen einer Sache hier: Korinth. Jeder kennt Athen und Sparta, aber die Korinther sind ein wenig vernachlässigt. Gut, bibelfeste Gestalten kennen die Geschichten von Paulus in Korinth. Ich übrigens nicht, aber ich weiß, dass er hier war. Ich rede aber eher von der Antike. Von der blühenden Zeit in Griechenland, die noch immer zu uns herüber strahlt. Vielleicht ist Korinth die drittwichtigste Stadt in dieser Epoche. Jedenfalls hat sie bei allen großen Begebenheiten eine Rolle gespielt. An den Perserkriegen hat sie teilgenommen, sowohl mit Schiffen als auch mit Hopliten. Während des peloponnesischen Krieges war sie auch nicht unwichtig.
So also wollte ich einmal die Stätte sehen, an der alles stattgefunden hat.

Akrokorinth schlug mir das Navi vor. Ich hatte noch kein Konzept von diesem Ort, sonst hätte ich es anders gemacht. So aber radelte ich die zwölf Kilometer bis zum Berg. Es war bis dahin schon kräftezehrend, denn heute war es windig. Und Wind kommt immer aus einer ungünstigen Richtung, wie jeder Radfahrer weiß.
Den Hügel, den ich erklimmen musste, hatte ich übrigens fast seit Beginn der Tour vor mir. Es ist eindeutig, es gibt einige Berge in der Gegend, aber keinen wie diesen. Er ist spitz wie ein Eckzahn. Und die Mauern oben erkennt man mit bloßem Auge aus zehn Kilometern Entfernung. Also kann ich nicht sagen, dass ich nicht zumindest ahnte, was auf mich zukam. Aber den Berg selbst erreichte ich noch relativ frisch. Was danach folgte, war dann aber doch anstrengend.
Lange Rede, ich schob mein Rad über drei Kilometer ca. 400 Höhenmeter nach oben. Das ist nun einmal der Preis für eine solche Besichtigung. Immer ein Stück weiter.
Als ich ins Tal unter mir schaute, mit dem Golf von Korinth im Hintergrund, wahrscheinlich sogar mit Blick auf Delphi, das dort irgendwo sein musste, entdeckte ich die Umrisse eines Tempels. Mir schwante, dass ich die Geografie des antiken Korinth lange nicht begriffen habe. Vielleicht selbst jetzt noch nicht.
Jedenfalls erreichte ich irgendwann erschöpft einen Parkplatz. Ich hatte es zumindest bis zur Festungsanlage von Akrokorinth geschafft. Das Rad stellte ich ab, zog meine Wanderschuhe an, die ich extra deshalb eingesteckt hatte, und machte mich auf den Weg.
Ich hatte eine Festungsanlage erwartet, die irgendwie antik aussah. Also eine, die die alten Griechen gebaut haben.
Ich wurde etwas enttäuscht. Im Grunde ist alles, was erhalten ist, byzantinisch, osmanisch oder fränkisch. So ist das in solch dominanten Orten, die seit Jahrtausenden bewohnt sind. Sie werden immer wieder nach neuesten Vorgaben befestigt. Und verändert. Natürlich entdeckte ich den einen oder anderen Marmorblock im Gemäuer, Zeichen, dass auch die alten Griechen hier gebaut hatten. Aber das meiste stammt eben aus späteren Zeiten. Ich machte mir nichts daraus. Es war auch so interessant. Durch drei Wehrpforten musste ich schreiten, auf rutschigen Steinen, immer steil nach oben. Ich war jedenfalls froh über die Wanderschuhe. Die Mauern schienen jedenfalls unüberwindbar.

In der Anlage selbst ist bis auf Grundmauern nicht mehr viel erhalten. Aber das reicht auch. Eine kleine Kapelle sah ich mit byzantinischer Malerei. Oder besser Resten davon. Bei solchen Bauwerken generell gilt aber, dass die Lage eigentlich die Attraktion ist. Ich folgte einem Pfad nach oben, in Richtung eines Burgfrieds, der von unten eindrucksvoll auf dem Hügel thront. Es ist ein fränkischer Turm. Und von hier, als ich ihn endlich erklommen hatte, genoss ich wundervolle Ausblicke. Ich betrachtete die Landschaft. Olivenhain grenzt an Olivenhain. Man erkennt sie selbst aus großer Entfernung, denn jeder Baum hat genug Platz, um sich etwas auszubreiten. Auf der Hinfahrt war ich auch an Obstplantagen vorbeigekommen. Und auch der Weinanbau war vertreten.
Das Meer erkannte ich natürlich auch. Sowohl der Saronische Golf als auch der Korinthische waren zu erkennen. Das moderne Korinth und dahinter Loutraki. Das habe ich übrigens auch mal ins Auge gefasst. Für einen eventuellen Aufenthalt später im Leben. Aufgrund der Nähe zu Athen. Besuchen werde ich es aber auf dieser Reise nicht. Keine Lust auf Wohnungsshopping.

Der fränkische Turm war aber nicht der höchste Punkt. Das war der Berg selbst, den ich danach erstieg. Kräftetechnisch ging es eigentlich, ich fühlte mich gut, auch weil ich immer wieder an den Weintrauben naschte, die ich unterwegs gekauft hatte. Wasser hatte ich dieses Mal auch genug. Ist ja nicht immer so.
Oben auf dem Berg sah ich eine quadratische Struktur. Es sind nur Grundmauern erhalten. Ich glaube, dass es sich um einen Tempel der Aphrodite handelte, die hier in Korinth besonders verehrt wurde. Hier blies der Wind übrigens besonders kräftig. Kein Wunder, ist ja immer so. Auch hier genoss ich die Aussichten. Es ist immer wieder etwas anders, je nachdem, wo man steht. Der Peloponnes breitet sich jedenfalls vor einem aus. Die kahlen Hügel, die grünen Ebenen. Es ist eine interessante Topografie.

Die Anlage erkundete ich fast ganz, nicht jeden Winkel, aber ich lief sie praktisch einmal ab. Sah Kapellen und auch Moscheen. Aber keine Tempel.
Draußen vor der Anlage hatte ich ein Café gesehen, das suchte ich schließlich auf. Und fand übrigens meine Mütze wieder, die ich schon vermisst hatte und auch gebraucht hätte. Sie lag vor dem Café. Hingeweht sozusagen. Jetzt muss ich sie waschen.
Der Wind war so stürmisch, dass ich mir einen Aufenthalt drinnen gönnte. Ich bin so oft draußen, dass ich auch mal hineingehen kann, um mich vor der Natur zu schützen. Es war auch etwas kühler hier. Der Wind allerdings sorgte an diesem Tag dafür, dass es nicht zu drückend war.

Das Beste an einer Gipfelersteigung ist der Abstieg, vor allem, wenn man ein Rad dabei hat. Ich sauste innerhalb von wenigen Minuten die Strecke hinunter, die ich vorher fast eine Stunde ächzend hochgestiegen war. Es war eine Freude. Ich hätte das Rad unten lassen können, dann hätte ich aber nicht dieses Erlebnis gehabt.
Unten ruhte ich mich nicht aus, sondern fuhr sofort zu dieser Tempelanlage, die ich von oben gesehen hatte. Es ist nicht weit, wenn man erst einmal unten ist, vielleicht 500 Meter.
Und es handelt sich nicht um eine Tempelanlage, sondern das antike Korinth. So ein Zufall. Während Akrokorinth gratis zu besichtigen ist, kann man das antike Korinth nur gegen Gebühr ansehen. Aber acht Euro sind nun wirklich nicht die Welt. Also stürzte ich mich ins Vergnügen.
Tatsächlich suchte ich zuerst das kleine Museum auf dem Gelände auf. Und hier begann ich allmählich zu verstehen, wie diese Stadt aufgebaut war. Zuallererst: dieser Ort ist seit Jahrtausenden besiedelt. Das antike Griechenland ist also nur ein winziger Teil der Geschichte. Soweit ich es verstanden habe, blühte Korinth vor Athen, das Korinth kulturell und geopolitisch erst in den Jahrzehnten später überholte. Ungefähr die Zeit nach den Perserkriegen. Oder während. Ich wusste, dass die Töpfereikunst in Korinth besonders ausgeprägt war, ich glaube, die schwarzfigurige Malerei stammt von hier. Und natürlich ein ganzer Tempelstil, das korinthische Kapitel ist nach der Stadt benannt, die Geschichte wird zumindest als Legende erzählt. Ein Architekt sah hier auf einem Grab Akantusblätter und hat sich inspirieren lassen. Die Geschichte ist so schlüssig, dass sie durchaus wahr sein könnte. Ich erfuhr jedenfalls, dass die Korinther im 2. Jahrhundert v. Chr. den Römern Widerstand geleistet haben, die die Stadt dann zerstören mussten. Sie haben sie natürlich später wieder aufgebaut, weshalb die meisten Ruinen, die heute zu sehen sind, eher römisch sind. Aber wie gesagt, der Ort war eben zu wichtig, um ihn einfach sich selbst zu überlassen.
Besonders gut erhalten ist ein Bruchteil eines dorischen Tempels. Die mächtigen Säulen sind verwittert, tragen aber noch einen Teil der Auflagen. Ansonsten sind eine Reihe von Grundmauern erhalten, eine beeindruckende römische Stoa, angeblich die längste der antiken Welt. Mit Ruinen habe ich immer ein kleines Problem, ich kann mir schwer vorstellen, wie alles ausgesehen haben könnte. Trotzdem war ich fasziniert davon. Korinth war ein Major Player der antiken Welt. Nun habe ich drei Orte gesehen. Athen, Sparta und eben Korinth. Im Grunde müsste ich noch das antike Theben aufsuchen, aber ich glaube, das wäre so enttäuschend wie Sparta. Und natürlich Mazedonien. Alexanders Griechenland kenne ich fast gar nicht. Aber nicht auf dieser Reise. Dazu muss ich mich mehr einlesen. Und brauche mehr Zeit.
Vor der umzäunten Anlage befinden sich übrigens noch ein Odeon und ein römisches Theater. Das Odeon ist gut zu erkennen. Das Theater nicht. Es ist überwuchert, frei zugänglich. Und überhaupt stellte ich fest, dass nur ein winziger Teil des antiken Korinth ausgegraben ist. Man hat sich auf den öffentlichen Bereich beschränkt. Alles andere schlummert noch in der Erde.
Korinth hatte natürlich noch einen Hafen. Es muss sich ganz schön ausgedehnt haben. Oder der Hafen war von der Stadt weit entfernt.

Irgendwann war der Ofen aus.
Ich merkte die Anstrengung. Die Hitze, die schweren Beine. Also beschloss ich zurück zum Campingplatz zu radeln. Es war gar nicht so schlimm, aber jetzt, da ich abends am Zelt sitze, merke ich es doch. Ich bin müde, aber es war ein toller Tag. Ehefrau Nina hat sich tätowieren lassen, beide Katzen sind jetzt auf dem rechten Unterarm verewigt. Das ist vielleicht die witzigste Neuigkeit heute. Wenn ich zurückkomme, wird sie wahrscheinlich noch ein paar dutzend Tattoos haben. Vielleicht ist ihr langweilig.
So, jetzt ruhe ich aus. Denn ich fahre morgen weiter. Oder ich bleibe noch einen Tag, um mir das moderne Korinth anzusehen. Und Loutraki. Warum eigentlich nicht?
Vielleicht mache ich das sogar.