Der Tag begann miserabel. Es ist schon eigenartig, wie stark Stimmungen und Energie vom Wetter abhängig sind. Am Morgen war es kühl und unangenehm, Regen lag nicht nur in der Luft, sondern ging auch nieder.
Kein Vergleich also mit der noch nicht weit zurückliegenden Zeit auf der Île de Re oder Saintes, wo 30 Grad auf mich niedergebrannt waren. Im Grunde aber sind die 18 bis 20 Grad von heute wesentlich besser, um zu reisen. Trotzdem saß ich am Anfang heute Morgen in meinem Zelt, wurde immer wieder durch stärkere Regengüsse davon abgehalten, es zu verlassen. Gegen neun aber hatte ich genug. Es regnete zwar noch ein bisschen, aber ich wollte los. Nichts ist schlimmer als ein Tag im Zelt zu verbringen. Es war eine gute Entscheidung. Ich wurde nicht besonders nass, denn es regnete zwar immer mal wieder, aber nicht mehr sehr stark. Außerdem gilt ja: Man trocknet irgendwann.

Mein Weg führte mich an diesem Tag ins Musée de la Bande Déssinée/Zeichentrick-Museum. Tatsächlich habe ich es recherchiert, es ist der einzige echte Grund, warum ich in Angoulême ausgestiegen bin. Eine der wenigen Dinge, die ich schon im letzten Jahr recherchiert hatte. Ich wusste nicht, was mich wirklich erwartete. Ich bin kein großer Freund von Zeichentrick. Als Kind war es natürlich anders, aber dass Erwachsene Zeichentrickbücher oder Filme konsumieren könnten, das ist in meiner Welt noch nicht angekommen. Ich wusste, dass es hier anders ist. Und es auch in Deutschland Comics für Erwachsene gibt. Ich glaube aber nicht, dass das kulturell schon angekommen ist. Deshalb wollte ich dieses Museum mal besuchen.
Die Ausstellung begann mit den historischen Anfängen. Kleine animierte Zeichentrickfilme, die kurze, freche Storys erzählten. Bald schon aber landete ich bei den Superhelden, für die ich mich nie begeistern konnte, weder als Kind noch jetzt. Aber ich traf auch auf die alten Helden meiner Kindheit, Poppei, Donald Duck, später die Schlümpfe und Lucky Luck. Und ich freute ich natürlich, auch Asterix und Obelix zu wiederzusehen. Tintin hingegen kenne ich gar nicht, nur vom Hören. Ausgestellt waren oft Erstausgaben, aber auch Ausschnitte aus den Heften. Ich muss doch mal einen neueren Asterix-Band lesen, jetzt, nachdem beide Erschaffer tot sind und sowohl das Zeichnen als auch das Erzählen der Geschichte von anderen Künstlern übernommen wurden. Denn das ist es, was es ist. Eine eigene Kunstform.

Mir fällt es schwer, wiederzugeben, was ich alles gesehen habe. Es ist, als wenn man in 100 Jahren eine Dokumentation über Netflix macht. Und plötzlich stürzen Storys und Bilder auf den Beobachter ein. So war es heute. Wirklich interessant wurde es im letzten Teil der Ausstellung. Der Zeichentrick-Künstler Edmund Baudoin aus Nizza, heute 80 Jahre alt, hat praktisch seinen Nachlass dem Museum übergeben. Ein reicher Schatz, der von einem Jahrzehnte langen Leben als Künstler erzählt. Hier erst habe ich verstanden, dass es sich bei Comics tatsächlich um eine tiefgreifende Kunstform handelt. Keines der Comics von Bondoin ist für Kinder, viele werden Erwachsene überfordern. Ich habe nur einen Bruchteil des Werkes gesehen, das komplex und vielseitig ist. Vielleicht kaufe ich mir mal ein oder zwei Bände, ich glaube, das ist es wert. Am Schluss sah ich mir noch sehr alte Comics an. Im Grunde sind sie Jahrhunderte alt, es gibt und gab sie in vielfältiger Form. Oft als Satire. Im Grunde sind viele Bibeln mit Comics geschmückt worden, die Bilder erzählen oft ganze Geschichten. Und auch Künstler wie Botticelli oder Egon Schiele sind meines Erachtens nicht so weit entfernt von einem bestimmten Comic-Stil. Vielleicht sind die Grenzen aber auch fließender als man denkt.

Nach zwei Stunden im Museum war ich tatsächlich platt. Ich konnte nichts mehr aufnehmen. Ich weiß nicht, wie viel Zugang ich zu dieser Thematik bekommen habe, aber ich fühlte, dass ich eine ziemlich große neue Welt zumindest im Ansatz habe entdecken können. Mein Besuch hat sich also gelohnt.
Nach dem Museum stieg ich zur Stadt auf. Und ich bin ziemlich froh, dass ich gestern nicht schon hier war. Angoulême ist keine schöne Stadt, aber eine recht hübsche. Verwinkelte Gassen, weite Plätze, der Sandstein nicht ganz so weiß, wie er sein könnte, sicher aufgrund von Luftverschmutzung. Sie hat schon ein wenig Charisma. Ich lief die alten Stadtmauern entlang, besuchte die Markthallen, schlenderte ein wenig. Die Kathedrale besuchte ich, mit ihrer herrlichen, gerade restaurierten Fassade. Aber ein echtes Highlight fällt mir gerade wirklich nicht ein. Zwei oder drei Stunden also spazierte ich durch die Kleinstadt. Und spürte, dass ich meinen Aufenthalt hier ausgekostet hatte. Man muss Angoulême nicht besuchen. Aber man kann. Es gibt noch ein Papiermuseum, das ich nicht gesehen habe. Ich komme also dem industriellen Herzen Frankreichs näher.

Morgen fahre ich weiter zu einer Zwischenetappe. Ich traue mich nicht, zu meinem 90 Km entfernten Ziel zu radeln, also probiere ich es erst einmal mit der Hälfte. Und mit Erschrecken habe ich festgestellt, dass Übermorgen Feiertag ist. Himmelfahrt. Also muss ich einkaufen. Ich hasse das. Aber es wird schon gehen. Morgen stehen mir also 45 Kilometer bevor, dazu einige Höhenmeter, die ich sicher schieben muss. Ich werde es schon überstehen. Aber ich habe mir vorgenommen, nächste Woche ein oder zwei Tage einmal wirklich die Beine hochzulegen und nicht zu radeln oder zu laufen. Ich kenne das von letzter Woche. Da war es auch irgendwann genug.
Aus Fehlern muss man lernen. Und wenn der Körper Signale sendet, sollte ich darauf hören.
Morgen und die nächsten Tage aber wird er nicht geschont. Ich habe noch einiges vor.