Es war gestern im Grunde sehr einfach.
Ich weiß auch nicht, was ich dachte, aber eine Fährfahrt ist nicht viel anders als eine Busfahrt, nur wesentlich komfortabler, zumindest in diesem Fall. Schon recht früh begab ich mich zum Hafen, gegen 20 Uhr fragte ich, ob ich im Gebäude auf die Fähre warten durfte. Ich durfte. In wohl klimatisierten Räumen mit Steckdosen, aber ohne WiFi verbrachte ich also ein paar Stunden. Es war kurzweiliger als ich gedacht hatte und die Zeit verging sehr rasch. Außerdem konnten wir bereits eine Stunde vor der Abfahrt auf das Schiff, sodass ich mich bereits etwas einleben konnte. Das ist leicht gesagt, es galt schließlich, dort irgendwie schlafender Weise die Nacht zu verbringen. Ich kenne das von griechischen Fähren, dort ist es wirklich schwierig. Aber nicht hier. Noch vor der Abfahrt sah ich mir einen Platz an der Wand in einem Saal mit einfachen Stühlen und Tischen aus. Meine Luftmatratze war schnell aufgepumpt, der Schlafsack ausgebreitet. Die Räume waren ziemlich heruntergekühlt. Also brauchte ich ihn.
Und binnen weniger Minuten hatten sich mindestens ein halbes Dutzend Leute dazugesellt. Nicht nahe, aber in der Umgebung. Überall auf dem Schiff suchten sich Leute nun ihre Orte, wo sie sich hinlegen konnten. Nicht alle hatten es so komfortabel wie ich, denn im Grunde schlief ich nicht anders als im Zelt. Nur ebener.
Der Witz war, dass ich von der Abfahrt nichts mehr mitbekam. Ich schlief schon, so wie die meisten. Es war witzig. Ich nächtigte im Grunde auch besser als im Zelt, denn der Boden war vollkommen eben. Im Zelt, bei Gefälle, bekomme ich oft Rückenschmerzen, wahrscheinlich arbeitet mein Körper, um das Abrutschen zu verhindern.
Jedenfalls schlug ich erst um halb sechs Uhr morgens die Augen wieder auf. Die beiden Nächste zuvor hatte ich nicht gut schlafen können, die Partys der Franzosen auf dem Campingplatz hatten mich davon abgehalten.
Um sechs hatte ich dann bereits alles wieder gepackt, mich frisch gemacht und stand in der Schlange an, um einen Kaffee zu bestellen.
Und das ist bereits ein gewaltiger Unterschied. Der Espresso wird besser, je weiter wir vom französischen Festland entfernt sind. Es war himmlisch, stark, mit Crema, und trotzdem mild und bitter zugleich. Und die Wirkung! Eine Explosion an Energie.

Der Ausstieg in Ajaccio ging dann so vonstatten, wie ich es aus Griechenland kenne. Man ist schneller von der Fähre herunter als gedacht. Der Campingplatz hier ist auch nur ca. zwei Kilometer vom Hafen entfernt, vielleicht drei. Zwar geht es einen Hügel hoch, aber das ist nicht so schlimm. Kurz nach acht hatte ich eingecheckt, das Zelt stand wenige Minuten später. Es würde heiß werden, das war schon jetzt ersichtlich.
Ich duschte, was dringend notwendig war, frühstückte noch einmal, dann aber hielt mich nichts mehr und ich wollte in die Stadt.

Ich fand sie nicht gleich, weil ich nicht recherchiert hatte. Irgendwie hatte ich sie woanders vermutet, weiter im Norden. Die Altstadt aber befindet sich direkt neben dem Fährhafen, ich sollte auch noch verstehen warum.
Irgendwann aber wusste ich, wo ich hin musste, wenige Minuten später erreichte ich das historische Zentrum.
Ich wusste nicht, was mich erwartete. Und so etwas ist im Grunde immer schön. Eine Überraschung. Wenn ich zu viel über einen Ort lese, habe ich ihn bereits irgendwie besucht, bevor ich dort war. Das geht zulasten von Spontanität und Ereignissucht. Hier war es aber nicht der Fall. Einfach hinfahren und ansehen.
Dass ich nichts gelesen habe, merkte ich bald, denn lustigerweise erfuhr ich erst hier, dass Napoleon Bonaparte hier geboren wurde. Und aufgewachsen ist. Er ist überall im Stadtbild, seine Statuen, sein Geburtshaus, Straßennamen und Restaurants. Ich empfinde das als zwiespältig, denn er war ein Diktator, der Europa mit Krieg überzogen hat. Ob man Putin in Russland auch so ehren wird? Ich will die Antwort gar nicht wissen.

Ajaccio jedenfalls gefiel mir sehr gut. Ich würde sie als ein Mittelding aus einer französischen und italienischen Stadt bezeichnen, mit einem starken Gefälle hin zur italienischen. Wahrscheinlich liegt es wirklich am Espresso. Ich lief als Erstes durch die Vielle Ville. Die ockerfarbenen Häuser in allen Tönen fangen das Licht ein und leuchten in der Sonne, so wie ich es aus Norditalien kenne. Zuerst wanderte ich zur Festung, die erst vor einigen Jahren vom Militär übernommen wurde und jetzt renoviert wird. Man bemerkt natürlich noch den militärischen Charakter, die Kasernen wirken so, als ob gleich zum Appell geblasen wird. Noch sind die Arbeiten im Gange, aber ich kann mir schon vorstellen, dass die Korsen daraus etwas Großartiges machen werden. Veranstaltungen, Konzerte, was weiß ich. Die ganze Vielle Ville ist übrigens voll mit Restaurants und Pizzerien. Ich will nicht wissen, was abends hier los ist.
Auf meinen folgenden Wanderungen stieß ich auch immer wieder auf den Namen Toni Rossi. Zu meiner Schande muss ich zugeben, dass ich nicht weiß, wer das ist. Ich werde es mal recherchieren. Edit: ein Sänger und Schauspieler, hier sein vielleicht bekanntestes Werk.

Die Korsen teilen ihre Stadt ein in die Vielle Ville und die Ville Imperiale, also den kaiserlichen Teil. Hier gibt es eine Straße mit ebenfalls prächtigen farbigen Häusern, die ich entlang flanierte. Überall sah ich Shops, die sicher die nötigsten touristischen Bedürfnisse befriedigen. Und mehr noch. Es ist im Grunde ziemlich nett, sicher auch für Korsen interessant. Die Geschäfte wirken jedenfalls nicht billig, so wie es oft der Fall ist. Nur manchmal, aber das fällt kaum auf.
Im Grunde aber ist die Altstadt von Ajaccio ziemlich klein. Man kann sie bequem in zwei Stunden besichtigen. Als ich meinte, erst einmal genug gesehen zu haben, lief ich weiter die Küste entlang.
Keine gute Idee. Es war um die Mittagszeit und die Sonne brannte nun unbarmherzig. Es macht schon Sinn, dem Beispiel von Südländern zu folgen und die heißesten Stunden des Tages nicht viel zu machen. Daher drehte ich irgendwann um und setzte mich in den Schatten eines netten Cafés. Auch hier war der Espresso umwerfend. Und das Schöne ist, dass man zwar immer auch essen kann, aber nicht muss. In französischen Städten war das um diese Tageszeit immer schwierig gewesen. So verbrachte ich eine gemütliche Stunde, bevor ich mich dazu entschloss, noch einmal durch die Stadt zu wandern. Aber die Shops, die vorher für Leben gesorgt hatten, waren fast alle geschlossen. Klar, Mittagszeit. Es war fast ein wenig langweilig.

Also entschied ich mich dazu, einfach einen Strand zu suchen, um mein Hörbuch weiter zuhören. Ich habe es fast geschafft. Tatsächlich fand ich im Norden einen Strand. Und, mehr noch, der wohl einzige schattige Platz war noch frei. Wahrscheinlich war jemand kurz zuvor gegangen. Wäre er besetzt gewesen, hätte ich abfahren müssen. So aber verbrachte ich noch eine Stunde am Meer, hielt sogar mal meine Füße hinein. Meine Badehose hatte ich natürlich nicht mit, es ist das erste Mal, dass ich gerne gebadet hätte. Ich werde sie ab jetzt immer mitnehmen. Sie wiegt ja nicht viel. Und auf einer Insel ist man ja immer irgendwie am Meer. Die Strände scheinen mir hier auch nicht so überfüllt.
Und jetzt sitze ich hier, auf dem Campingplatz in den Bergen, es wird langsam erträglicher. Ich habe nicht den Eindruck, heute viel gemacht zu haben, aber gelaufen bin ich trotzdem viel. Es war angenehm, die Atmosphäre von Ajaccio ein wenig atmen zu können. Ich habe jedenfalls den Eindruck, sofort einen oder zwei Gänge heruntergeschaltet zu haben. Diesen Effekt haben Inseln oft auf mich. Es ist nicht so extrem, wie auf den Kykladen, aber der Effekt ist da.
Mal sehen, was ich daraus machen kann. Manchmal fühle ich mich ein wenig getrieben, möchte weiter und immer weiter, immer schneller. Vielleicht reduziert sich das ein wenig. Ich habe Zeit. Das muss ich mir immer wieder sagen, denn irgendwie fühlt es sich nicht so an. Vielleicht ist das auch noch ein Effekt von Corona, also der Zeit, in der ich kaum etwas gemacht habe. Und vorher auch schon nicht, weil ich es 2019 so entschieden hatte. Aus dieser freiwilligen Pause wurde dann allerdings eine unfreiwillige.
Vielleicht komme ich also hier etwas zur Ruhe.
Aber je mehr ich darüber nachdenke, umso unrealistischer klingt das. Es liegt selten am Ort. Sondern nur an mir selbst.