Was für ein Tag. Im wahrsten Sinne des Wortes voller Höhen und Tiefen.
Schon am Morgen war es fürchterlich heiß, die Sonne brannte und ich war nicht besonders früh aufgestanden. So etwas rächt sich immer irgendwie. Erst gegen sieben hatte ich das Zelt verlassen, auch, weil es um diese Zeit in der Sonne steht. Dann wird es immer stickig und heiß. Aber auch draußen war es nicht viel kühler.
Trotzdem zog ich meine Routine durch, erst die Schilddrüsentablette, dann Yoga, dann Frühstück. Erst gegen neun war ich bereit für den Aufbruch.

Ich wollte wandern. Und zwar in den Bergen um Ajaccio herum, dort hatte ich den Chemin de Crète gefunden. Ich wusste nicht, was mich erwarten würde.
Schon die Anfahrt stellte sich als schwierig heraus. Ein sehr netter Korse half mir, den Weg zu finden, was nicht unbedingt gut war, denn ich landete irgendwann an einer Treppe. Keine Ahnung, wie das passiert war. Jedenfalls musste ich das Rad sicher 100 Stufen hinaufschleppen. Es war schon zu diesem Zeitpunkt eine Tortour und ich dachte bereits darüber nach, diesen Wahnsinn abzubrechen. Hätte ich mal. Oder auch lieber nicht. Besser war es am Ende, dass ich mich zur Fortführung meiner Wanderung entschloss. Vollkommen fertig erreichte ich also den Parkplatz, den Eingang zur Tour. Er liegt etwas versteckt in einer Wohnsiedlung älteren Datums. Man erwartet es nicht. Dieser Teil der Strecke nennt sich Bois des Anglais, weil die Engländer hier offensichtlich einen Wald gepflanzt haben.
Auf den ersten zwei-, dreihundert Meter war es eine gemächliche Angelegenheit. Aber danach begann der Aufstieg. Nun, Kreta ist bergig, also musste ich das doch erwartet haben. Ich dachte mir nichts dabei, es machte Spaß aufzusteigen. In Serpentinen drehte ich mich nach oben. Der Weg lag an viele Stellen bereits in der prallen Sonne. Trotz der recht üppigen Vegetation. Es sind alles Südpflanzen, die mit der Trockenheit zurechtkommen. Alles andere ist bereits lange verdorrt. Es muss seit Monaten nicht mehr geregnet haben. Ab und an verlief ich mich, fand aber dank OsmanD die Wege immer wieder. Sie sind nicht immer gut ausgeschildert. Ich weiß nicht, ob ich tatsächlich nur auf dem Chemin de Créte geblieben bin, ich glaube, irgendwann erfasste mich das Gipfelfieber und ich wählte einen Weg, der mich näher an den höchsten Berg dieser Gegend brachte. Langsam begann ich irgendwann, die Hitze zu spüren. Ich dachte mir wenig dabei. Was mir aber anfing, Sorgen zu machen, war der Mangel an Wasser. Ich hatte einen Liter mitgenommen, das schien in meiner Flasche zu verdunsten. Aber die Anstrengungen waren es wert, die Aussichten auf das Meer und auf die teils verwitterten Felsformationen waren malerisch schön. Ich erreichte eine alte Hütte eines Ziegenhirten. Vielleicht hatte ich die Hoffnung, hier einen Brunnen zu finden, aber dort war keiner. Ich glaube, in diesem Augenblick hatte ich verstanden, dass ich mich jetzt langsam etwas sputen musste. Ich konnte nicht trödeln. Wie in weiser Voraussicht hatte ich eine Flasche mit einem halben Liter Wasser in einer der Fahrradtaschen deponiert, das Rad stand auf dem Parkplatz am Anfang des Wanderwegs. Ich würde sie später tatsächlich brauchen, wenn auch anders, als ich gedacht hatte.

Nach weiteren fünf Kilometern erreichte ich die Gabelung, die mich langsam zurück nach Ajaccio bringen würde. Die Luft war staubtrocken, der Weg weiterhin der Sonne ausgesetzt. Wenig Schatten, wenig Wasser. Es würde ein Wettlauf werden, das verstand ich jetzt langsam. Zum Glück gab es keine allzu großen Steigungen mehr. Ich machte regelmäßig Pausen. Denn die Hitze nahm noch zu.
Vier Kilometer, drei Kilometer, zwei Kilometer. Ich trank den letzten Schluck Wasser. Ich würde ja gleich zurück sein.
Und dann passierte es.
Ich sah eine Wanderin, die sich an einem der wenigen schattigen Plätze ausruhte. Als ich an ihr vorbeiging und sie grüßen wollte, kippte sie in meine Richtung. Ich konnte sie gerade noch auffangen. Sie war ohnmächtig, nicht ansprechbar.
Ich weiß nicht, wie das alles geschah, aber im Grunde lief alles ohne Überlegen ab. Erst stellte ich sicher, dass sie sich nicht den Kopf anschlagen konnte, stützte sie weiter, dann rief ich die Feuerwehr. Es war nicht gerade leicht, das alles auf Französisch zu erzählen, irgendwann fragte ich, ob jemand Englisch versteht. Dieser Jemand erklärte mir dann, dass es sich um eine Notfallnummer handelte. Im Nachhinein werde ich ein bisschen ärgerlich darüber. Aber die Feuerwehr erlebt sicher eine Menge. Letztlich aber begannen sie damit, mich ernst zu nehmen.
Und nun wurde es besser. Die Wanderin erwachte, sah mich erschrocken an. Ich erklärte ihr irgendwie, was passiert war. Sie übernahm dann das Telefonat mit der Feuerwehr. Sie erholte sich langsam.
Am Ende einigten sie sich darauf, dass sie versuchen würde, mit mir abzusteigen, um sich dann unten wieder zu melden. Und so geschah es dann auch. Am Anfang war sie noch sehr wackelig auf den Beinen, was mich zweifeln ließ, ob das alles eine gute Idee war. Aber irgendwann ließ das nach. Wir fotografierten sogar noch die Blüten von Kakteen. Und so schafften wir es nach unten.
Hier gab ich ihr meine Wasserflasche, sie brauchte sie nötiger als ich. Was ich eigenartig fand, war die Tatsache, dass ihre eigene Wasserflasche fast alle gewesen war, als ich sie fand. Sie war gerade erst losgelaufen.
Egal.
Am Ende bedankte sie sich vielmals, es war ihr ganz sicher peinlich, dass ihr so etwas geschehen war. Trotzdem war nun alles gut. Ich fragte sie noch, ob ich sie in ein Krankenhaus begleiten sollte, das übrigens keine dreihundert Meter entfernt lag. Wir hätten jetzt auch bequem einen Notarzt rufen können, alles nicht mehr so schwer in einer Stadt. Auf dem schmalen Wanderweg allerdings wäre das alles wirklich kompliziert gewesen.
Ende gut, alles gut, auch wenn mich das Ereignis noch immer beschäftigt. Hätte ich etwas anders machen können? Vielleicht. Aber was? Das ist alles müßig.
Ich suchte jedenfalls einen Supermarkt am Meer auf, drei Minuten beschleunigte Abfahrt vom Wanderweg mit dem Rad, und trank danach soviel ich konnte. Getorade, Wasser, aß eine Banane, danach fühlte auch ich mich besser. Die bohrenden Kopfschmerzen von der Dehydrierung verschwanden langsam. Dann gönnte ich mir einen Kaffee am Meer. Und dachte darüber nach, was alles geschehen war. Ich glaube, dass wir nochmal Glück gehabt haben. Keine Ahnung, ob an diesem Tag nochmal jemand auf diesem Wanderweg gegangen wäre. Vielen Leuten bin ich nicht begegnet. Vielleicht wäre die Wanderin auch einfach aufgewacht und zurückgegangen. Aber so war es definitiv besser.

Auch für mich war dieser Tag eine Revelation. Im Urlaub mit Ehefrau Nina habe ich sie auch ziemlich oft an die Grenzen gepuscht, ihre Grenzen. Es war genauso dumm wie die Entscheidung der Wanderin, an diesem Tag, bei dieser Hitze, aufzubrechen. Was übrigens auch für mich gilt. Auch ich hätte heute in den Bergen nicht wandern dürfen. Punkt.
Und morgen?
Wird es auch nicht kühler.
Ich werde trotzdem eine kleine Radtour machen, am Meer entlang. Es wird nicht so schlimm wie heute, auch, weil es überall Möglichkeiten zum Tanken von Wasser gibt. Und Cafés. Und Strände. Ich werde es also ziemlich gemächlich angehen.
Der Tag heute steckt mir aber weiterhin in den Knochen. Und im Kopf. Zehn Kilometer bin ich gewandert, Hunderte von Höhenmetern. Eigentlich keine große Herausforderung. Und trotzdem musste ich meine Grenzen kennenlernen. Gut zu wissen.
Und dass es noch einmal gutgegangen ist.