Es war eigenartig, Paris so schnell zu verlassen, habe ich doch gerade erst wieder damit begonnen, es wiederzuentdecken. Es war aber beinahe noch merkwürdiger, überhaupt damit zu beginnen. Die Metropole zeigte sich natürlich hektisch, frenetisch, laut und auch ein bisschen stinkend. Ich merkte die ungesunden Abgase jedenfalls in meiner Lunge, die abends immer ein bisschen pfiff. Ich werde empfindlicher, was Luftverschmutzung angeht. Vielleicht kein Wunder.
Um Halb fünf war jedenfalls die Nacht für mich zu Ende. Schlaftrunken und ein bisschen verärgert darüber, dass ich alles so geplant hatte, begann ich den Tag. Nach einer 15-minütigen Yoga-Session aber war ich bereit dafür, diese Reise fortzusetzen. Ich räumte die kleine Wohnung auf, frühstückte, packte. Ich hatte tatsächlich Zeit. Und vergaß am Ende den Käse im Kühlschrank. So etwas.
Aber das merkte ich erst Stunden später.

Wie schon die Tage zuvor radelte ich zum Gare d’Austerlitz. Es war schon reine Routine, ein Navi brauchte ich nicht mehr. Gegen sechs war ich losgefahren, kurz nach halb sieben saß ich in der Wartehalle und hatte noch 50 Minuten Zeit. Ich berechne solche Anfahrten immer etwas großzügiger.
Es war letztlich etwas schwierig, das Faltrad in den Zug zu hieven. Es ist kaum Platz, die Türen eng und die anderen Passagiere ungeduldig. Am Ende aber waren wir alle an Bord. Auch der Kauf des Online-Tickets hatte gut funktioniert, der Schaffner scannte nur den Code. Man stelle sich das mal in Deutschland vor. Ich finde es gut, zumal ich auch am Bahnhof nicht für ein Ticket anstehen musste. Das mache ich ab jetzt immer so.

Anderthalb Stunden fuhren wir, erst an Paris und den Vororten, später an flachen, üppig grünen Landschaften vorbei. Wie lange war ich nicht mehr hier? Vier Jahre lang. Die letzte Périgord-Reise fand 2018 statt. In Blois stieg ich erst einmal gemütlich aus. Es ist wirklich nicht so einfach, mit Faltrad, Tasche und Rucksack. Alles eins nach dem anderen. Mittlerweile habe ich es heraus, wie man das Gepäck auf das Rad schnallt. Ich habe eine ganze Kreta-Reise letztes Jahr dafür gebraucht.
Schon bei der ersten Durchfahrt erschien mir Blois sehenswert. Typisch französisch, die teils spitzen, teils flachen Dächer, der helle Sandstein. Dazu natürlich der breite Fluss, die Loire, von dem aus an diesem Morgen eine ziemliche Kühle ausging. Es war tatsächlich kalt. Aber die Sonne schien bereits, sodass ich bald schon zumindest die Jacke ausziehen musste. Sechs Kilometer radelte ich, die meiste Zeit am Fluss entlang. Es war herrlich, Blois sieht aus der Ferne so malerisch aus, die kleine Stadt erhebt sich am Ufer, steigt nach oben. Fast wirkt es so, als würde sie auf einem Hügel liegen. Ist auch so, wie sich herausstellte.
Letztlich checkte ich um halb zehn Uhr an der Rezeption ein.
Die Reise, wie ich sie machen will, hat damit begonnen. 

Lange hielt ich mich nicht hier auf. Das Zelt war schnell aufgebaut, alles aufgepumpt, das übliche Campingchaos angerichtet, was sollte ich also hier? Ich fuhr also die gleiche Strecke in Richtung Blois wieder zurück. Es ist tatsächlich nicht weit, vielleicht eine Viertelstunde.
Das Rad schloss ich auf dem rechten Uferweg an, von nun an lief ich. Tatsächlich ist es hügelig in der Stadt. Ich bewunderte das Flair der alten Häuser. Manchmal sah ich altes Fachwerk, dazu aber großzügige Straßen. Es kann also nicht mittelalterlich sein. Zumindest nicht alles. Als Erstes stieg ich zur Kathedrale empor, die aus der Entfernung gut sichtbar ist. Kirchen haben zwar ihren Reiz für mich verloren, aber manchmal gehe ich gerne hinein. Sie ist älter, als sie von außen den Anschein erweckt. Zumindest Teile gehen auf das elfte Jahrhundert zurück. Andere sind wesentlich neuer.
Der Grund, warum man diese Gegend aber besuchen sollte, sind die Gärten nebenan. Hier hielt ich mich eine Weile auf. Als Erstes bewunderte ich einen kleinen Kräutergarten. Ich finde, dass jeder Mensch auf der Welt so etwas sein Eigen nennen sollte. Salbei, Thymian, Rosmarin, Melisse und noch einiges andere. Wie kann man nur ohne kochen? Die Gärten vor der Marie sind terrassenförmig angelegt. Die Tulpen blühten, andere Blumen, die ich nicht kannte, ebenfalls. Es könnten Lilien gewesen sein. Es war so schön friedlich, ein wahnsinniger Kontrast zu den Tagen zuvor. Von mir fiel erst einmal der Stress ab, zumindest ein wenig.
Denn ich begann jetzt schon, die wenigen Reisetage zu merken. Ich war müde, dachte oft noch an die Eindrücke vom Musée d’Orsay, das ich am Tag zuvor besucht hatte. Und an die Kilometer, die in meinen Beinen steckten. Es war ein bisschen peinlich, aber ich war bereits das erste Mal etwas müde. Vielleicht lag es auch am frühen Aufstehen, aber ich hoffe darauf, im Laufe der Reise fitter zu werden.

Die Stadt erkundete ich aber tapfer weiter. Die Rosengärten unter mir waren noch nicht geöffnet. Also ging ich wieder zurück, in die Stadt hinein. Im Grunde wanderte ich nur durch die Gassen, genoss das französische Flair. Irgendwie sehen hier die Geschäfte so aus wie im Prenzl Berg in Berlin. Bunt, eigenartig, verspielt. Sicher auch sehr teuer. Aber das ist zweitrangig.
Ich sah eine steile Treppe mit Blick auf die Brücke. Hier sammelten sich einige Touristen. Aber kein Vergleich zu den Strömen in Paris. Ich genoss die Einsamkeit. Irgendwann kam ich auf dem Platz an der Rue de Château an. Er ist breit und einladend, mit vielen Restaurants, deren Tische draußen nicht besonders üppig gefüllt waren. Die Hauptsaison kommt noch. Von hier aus stieg ich zum Château hinauf. Der Platz davor ist fast ein Paradeplatz, so groß ist er. Das Schloss ist ziemlich berühmt, mehrere französische Könige haben sich hier architektonisch verewigt. Für mich war es heute undenkbar, es zu besuchen, zu erschöpft war ich. Aber die berühmte Wendeltreppe habe ich fotografiert. Im Grunde weiß ich sowieso, dass ich nicht jedes Chateau besichtigen kann. Daher habe ich mich für drei entschieden. Welche das sind, sage ich noch nicht. Das werden die nächsten Tage zeigen.
Für mich aber war der Besichtigungstag damit erst einmal beendet. Ich weiß, dass es nur ein halber Reisetag war. Aber immerhin. Man muss sich auf Reisen Zeit nehmen, das Gesehene zu verarbeiten. Sonst dreht man irgendwann durch oder nimmt nichts mehr wahr. So kenne ich das.
Also fuhr ich zurück zum Platz und schreibe hier jetzt. Es könnte ein bisschen wärmer sein, aber was soll’s? Es ist Anfang Mai, das Wetter ist gut. Und in der Sonne ist es mehr als angenehm.
Morgen bin ich jedenfalls wieder so weit. Ich werde mich in ein neues Abenteuer stürzen.