Sonntag.
Gestern habe ich entschieden, diesen Tag auszusetzen. Eigentlich war geplant weiterzufahren, aber Sonntage sind schlechte Reisetage. Nichts hat auf, oder wenig. Letztlich hätte ich es besser planen müssen, aber dazu hatte ich wenig Lust gehabt. Außerdem brauchte ich ohnehin eine kleine Auszeit. Den Besuch von Chambord muss man auch erst einmal sacken lassen. Die Eindrücke waren bunt und stark.
Zudem musste ich endlich einmal die nächsten Tage planen. Am Freitag möchte ich in Nantes sein. Mir bleibt also weniger Zeit, als ich hier normalerweise benötigen würde. Beim Reisen muss man sich sowieso immer für etwas entscheiden, alles geht nicht. Trotzdem hätte ich hier sicher gut und gerne eine Woche mehr verbringen können.
Aber so ist es jetzt.
Heute also ließ ich es ruhiger angehen. Manchmal sind auch so langweilige Dinge wie das Waschen von Kleidung notwendig. Der heutige Tag war perfekt dafür geeignet. Hinzu kam, dass die Nacht wieder bitterkalt war. Mein Daunenschlafsack reicht nicht aus. Ich friere ab einem gewissen Punkt. Und zwar trotz der vielen Kleidung, die ich mittlerweile trage. Das ist erbärmlich. So kam es, dass ich nur schwer in die Gänge kam. Zwar schien die Sonne intensiv, aber es wehte auch ein ziemlich kalter Wind, sodass mir heute entweder sehr heiß oder ziemlich kalt war. Einen Kompromiss schien es nicht zu geben.
Ich wollte heute noch einmal nach Blois. Dort findet jeden zweiten Sonntag im Monat ein Trödelmarkt statt. Es war eine recht schnelle Angelegenheit. An den vielleicht 20 Ständen am Ufer aufgebaut, wie mir schien, alle von professionellen Betreibern, sah ich eine Reihe von Stehrümchen. Vor Jahren noch hätte ich mich hier sicher länger aufgehalten, aber ich möchte mein Leben simplifizieren, nicht mehr so viel Unnötiges kaufen. Und auch wenn ich heute nichts hätte kaufen können, weil ich es nicht transportieren kann, interessieren mich die meisten Sachen nicht sehr. Mal ehrlich, das meiste Zeug ist doch unnötig, dient keinem realen Zweck mehr. Zum Verstauben sind die meisten Sachen einfach zu schade. Jemand anderes weiß sie sicher eher zu schätzen.
Also lief ich nochmal durch die Stadt. Der mittelalterliche Teil ist kaum erhalten, trotzdem entdeckte ich das eine oder andere Fachwerkhaus. Die meisten anderen sind aus späterer Zeit, wahrscheinlich 18. Jahrhundert oder jünger.
Meinen Lunch verbrachte ich wieder oben im Park neben der Kathedrale. Hier merkte ich, dass ich eine Pause bitter nötig hatte. Witzig, nach nicht einmal einer Woche. Aber das ist wichtig. Sonst verbrennt man sich und alles erscheint irgendwann nur noch Routine.
Nach einem längeren Aufenthalt lief ich weiter durch die Stadt, entdeckte eine noch viel ältere Kirche. Auch wenn sakrale Bauten nicht mehr die Faszination ausüben wie vor 20 Jahren, war diese Kirche doch interessant. Ein wuchtiger Bau, viel älter als die Kathedrale, ein Gemäuer mit ganz eigener Geschichte. Zusammengesetzt aus vielen Bauelementen, das meiste aus dem 11. bis 13. Jahrhundert. Die Kirche wird gerade renoviert, vieles war abgesperrt. Trotzdem hatte sie Flair, das konnte ich problemlos zugeben.
Und so gingen ungefähr vier Stunden herum.
Mir hat es gereicht.
Zu guter Letzt habe ich dann auch entschieden, wie ich die letzten vier Tage hier verbringen werde. Das hat mich heute mehr beschäftigt, als ich zugeben möchte. Das Valée de la Loire bietet so vieles. Tatsächlich war ich ein wenig hin- und hergerissen. Nun aber weiß ich, wie ich es machen werde, meine Zeit dabei so gut wie möglich zu nutzen, ohne mich dabei zu verausgaben.
Morgen jedenfalls fahre ich definitiv weiter nach Amboise. Ich habe mich dafür entschieden, diese Strecke von ca. 45 Km mit dem Rad zurückzulegen. Das scheint mir angemessen, denn die Radwege sind hier gut ausgebaut. Das Tal ist ein Mekka für Radreisende, also will ich es auch mal versuchen. Mal sehen, wie es mit dem Gepäck funktioniert. Ich bin gespannt. Lange Strecken bin ich damit ja noch nicht gefahren. Steigungen werde ich, wie üblich, schieben. Ob mit oder ohne Gepäck, es geht sowieso nicht. Das Rad ist dafür nicht gemacht. Meine Beine ebenfalls nicht. Den Stolz, alles zu schaffen, habe ich schon vor Jahren abgelegt.
So, jetzt werde ich den Rest des Sonntags genießen.
Morgen früh geht es dann weiter.
Ich bin gespannt.
PS: An diesem Tag war Rememberance Day, oder eher die französische Alternative dazu. Der Tag also, an dem der Kapitulation Deutschlands 1945 gedacht wird. Mir war es gar nicht so bewusst, weil wir diesen Tag in Deutschland nicht feiern (warum eigentlich nicht?). Auf meinem Weg gestern in die Stadt fuhr ich am Rathaus vorbei. Dort fand eine größere Versammlung statt. Tatsächlich standen am Ende in Reih und Glied die Veteranen. Es waren nicht mehr viele, aber das ist auch klar. Jemand redete, Fahnen flatterten im Wind. Und ich fühlte mich beklommen. Ich weiß nicht warum, aber tatsächlich musste ich noch in alten Schablonen denken. Ich bin Deutscher, der Grund also, warum diese Veranstaltung stattfindet. Das ist der Grund, weshalb ich mich fehl am Platz fühlte, dass ich mich nur zwei Minuten dort aufhielt. Eigentlich blöd, aber so war es. Mir geht es oft noch so, wenn ich an Tafeln vorbeikomme, auf denen der Toten aus den Weltkriegen gedacht wird. Es ist immer ein komisches Gefühl. Auch wenn ich viel zu jung bin, um für diese Taten verantwortlich zu sein, fühle ich doch die Aufgabe, diese zu übernehmen, zumindest symbolisch.
Wahrscheinlich wird das auf dieser Fahrt noch öfter geschehen.