Meine Güte, ist das heiß.
Es ist unvorstellbar, dass ich vor einem Monat im Valée de la Loire nachts noch gezittert habe vor Kälte. Und jetzt herrschen hier tatsächlich 35 Grad im Schatten. Es gibt Augenblicke, da will ich nicht draußen sein, sondern mich nur vor dieser Hitze schützen.
Von daher mutet es ein wenig eigenartig an, was wir gestern getan haben. Ich glaube, dass ich mich bei dieser Temperaturen testen wollte. Einfach mal sehen, wie viel ich zu leisten imstande bin. Ehefrau Nina war die Leidtragende.
Kurz gesagt, wir wollten eigentlich gegen acht hier mit den Fahrrädern abfahren. Daraus wurde nichts, da Ehefrau Nina ein wenig unter Schlafstörungen leidet. Also schafften wir es erst gegen halb zehn. Ich habe es zu diesem Zeitpunkt noch nicht als drückend empfunden. Morgens ist es hier immer noch angenehm frisch, es kühlt zumindest auf etwas unter 20 Grad ab. Aber gegen halb zehn war es schon sehr warm, sicher um die 28 Grad.
Wir hatten uns vorgenommen, nach Bonnieux zu radeln, eigentlich nur 12 Kilometer entfernt. Ehefrau Nina war schon zu diesem Zeitpunkt mulmig zumute. Aber wir wagten es trotzdem.
Einen Teil der Strecke kannten wir, waren wir vor einigen Tagen schon nach Roussillon geradelt. Im Grunde ist es auch nicht besonders schwer, auf diesem Weg, der Route de Cavaillon heißt. Wir ließen uns auch Zeit, erreichten irgendwann die Pont Julien, eine Brücke, die auf den Fundamenten eines antiken Baus aus der Römerzeit steht. Und hier irrten wir uns. Ein Schild war wohl falsch, deutete uns den Weg nach Bonnieux, eigentlich aber fuhren wir in Richtung Lacoste. Beide Städte ragen in den Hügeln majestätisch gen Himmel, ich erkannte die Burg des Marquis des Sade. Aber eigentlich waren wir falsch. Trotzdem wurden wir belohnt, denn wir erreichten einige Lavendelfelder, die so sehr strahlten und leuchteten, dass wir Fotos machen mussten. Dazu kamen die alten Bauwerke, Bauernhöfe der Gegend, Jahrhunderte alt. Es sind Szenefotos, Klischees, Postkartenmotive. Und doch sind sie da. Genauso wie man sie irgendwie kennt. Hier, an der Bushaltestelle, die eigenartigerweise Bonnieux heißt, bemerkten wir unseren Irrtum. Wir waren ein paar Kilometer in die falsche Richtung gefahren. So etwas rächt sich am Ende immer ein wenig. Es wurde auch immer heißer.
Nun stellte ich OsmanD ein, was ich vielleicht schon früher hätte machen sollen. Egal, sechs Kilometer sollten es sein.
Was mir OsmanD auch mitteilte, war die Tatsache, dass es ständig nach oben ging, irgendwann auch ziemlich steil.
Und so kam es auch. Wir stellten an einem Weingut unsere Räder ab und beschlossen, die letzten zwei Kilometer zu laufen. Es war unfassbar anstrengend. Irgendwann befanden wir uns zwischen allerlei Gestrüpp, zerkratzten uns in den Dornen die Arme. Ich weiß auch nicht, warum uns das immer passiert. Vollkommen erschöpft erreichten wir also Bonnieux.
Ehefrau Ninas Laune neigte sich langsam in Richtung „ärgerlich“. Aber erst einmal waren wir hier.
Bonnieux hatte ich schon zweimal besucht. Aber aus irgendeinem Grund erkannte ich kaum etwas. Wir liefen erst durch die Gassen, bevor wir uns dazu entschieden, ein Bistro aufzusuchen, um zu lunchen. Es war sehr angenehm, wir fanden eine kleine Tapasbar, die eigentlich gar nicht so klein war. Es gelang uns tatsächlich, etwas Vegetarisches zu finden. Eine leichte Mahlzeit. So verbrachten wir sicher eine Stunde im Schatten der Terrasse, bei kühlen Getränken, einer Gemüse- und Käseplatte und danach einem Kaffee, der uns erst einmal stärkte.
Natürlich liefen wir danach noch durch die alte Stadt, immer in Richtung Kirche, die uns wehrhaft und verschlossen begrüßte. Von hier oben hatten wir herrliche Ausblicke auf das Luberon. Goult, natürlich Lacost, aber auch Gordes konnten wir erkennen. Und die roten Ockerfelsen von Roussillon. Es ist eine herrliche Gegend.
Ich war froh, dass wir hier waren.
Allerdings bestand uns ein Gewaltakt bevor. Zur größten Hitze des Tages, hier immer gegen Nachmittag, machten wir uns auf den Heimweg. Der leichteste Teil war noch der Abstieg zu den Rädern. Danach aber wurde es hässlich. Ich glaube, ich habe Ehefrau Nina überschätzt. Ich bin seit über einem Monat unterwegs, fahre ständig Rad und bin inzwischen sicher ziemlich trainiert. Ehefrau Nina hat seit zwei Jahren nicht auf dem Rad gesessen und verträgt auch keine Hitze. Hier kam alles zusammen.
Ich weiß am Ende nicht, wie wir es geschafft haben. Ab einem gewissen Punkt wandte ich das Cricket-Konzept an, wonach man ungefähr festlegt, wo man zu welchem Zeitpunkt sein möchte, ohne viel Risiko einzugehen. Wir handelten also wie die Batsmen in diesen Teams. Wir vereinbarten, jeweils zwei Kilometer zu fahren, dann auszuruhen. Die Sonne brannte inzwischen unbarmherzig. Aber so ging es einigermaßen. Die vorletzte Etappe bestand im Hypermarché Leclerc. Hier konnten wir uns abkühlen. Die letzte Etappe war quälend. Gegen 17 Uhr erreichten wir unser angenehm kühles Haus. Und bewegten uns eigentlich nicht mehr. Gut, ich kochte noch eine Quiche, aber auf die Yogasession und auch diese Schreibsession verzichtete ich. Mir ging es während der Fahrt eigentlich ziemlich gut, aber als wir angekommen waren, merkte ich, wie sehr mich die Hitze in Verbindung mit der Anstrengung ausgelaugt hatte. Ich muss aus diesen Situationen lernen, das nächste Mal muss ich es arrangieren, ein Auto zu mieten, wozu ich allerdings nach Avignon hätte fahren müssen. Hier in Apt gibt es keine Verleiher.
Nun, so war es gestern. Den heutigen Tag ließen wir erst einmal ruhig angehen. Es ist gegen Mittag, wir laufen gleich in die Stadt, um Kaffee zu trinken und auch das Museum zu besuchen. Heute ist es nicht ganz so heiß, es weht ein leichter Wind und es ist bedeckt. So kann es kommen.
Morgen reisen wir bereits ab. Es ging plötzlich alles so schnell. Acht Tage. Ich bin fast schon etwas wehmütig.
Aber ich melde mich nachher noch einmal. Auch wenn dieser letzte Tag sicher nicht so ausufernd werden wird.
Wir waren nochmal in Apt. Es ist erstaunlich, wie viel man doch übersieht. Wir gingen im Grunde direkt in ein kleines Café mit Patisserie. Kleine, aber ungemein kompakte und intensive Törtchen! Und starken Kaffee, den ich auch jetzt Stunden später noch spüre, oder besser mein Herz. Wir genossen es, hier ein wenig zur Ruhe zu kommen. Nach dieser Pause sahen wir uns nochmals die Stadt an und entdeckten noch zwei Kirchen oder Kapellen. Auch muss Apt einmal eine Römerstadt gewesen sein. Ich habe noch nicht viel darüber gelesen, aber hier war ein abstraktes Bild zu sehen, auf dem die Kirche und ein römisches Amphitheater dargestellt waren. Ich denke, dass die Kirche an dem Ort steht, wo das Theater früher gewesen ist.
Groß ist Apt allerdings nicht.
Trotzdem gingen wir danach ins Musée d’Apt. Es ist natürlich eine Art Heimatmuseum, aber mit denen habe ich eigentlich gute Erfahrungen.
So auch hier. Mir war es nicht bewusst, aber in Apt muss die industrielle Revolution einmal durchgeschlagen haben. Das Hauptprodukt hier waren Süßigkeiten aus Früchten. Kandiert. Ich kenne diese Produkte aus England noch. Und ehrlich gesagt, sehen die zwar toll aus, farbig und interessant, aber das süße Zeug ist nichts für mich. Trotzdem war es erhellend zu sehen, wie weit verbreitet diese Industrie hier war. Alte Maschinen lassen sie ein wenig auferstehen.
Neben den Süßigkeiten war natürlich das Ocker wichtig. Das gibt es an vielen Orten hier, zwischen Roussillon und Colorade. In allen erdenklichen Farben. Außerdem wurde in Apt noch Fayence hergestellt, Tongefäße. Es sind nun nicht unbedingt die Produkte, die mich über alle Maßen begeistern, aber darum geht es nicht. Menschen haben ihre Leben darauf begründet und erst in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts, also vor ca. 50 Jahren, müssen diese Industrien eingebrochen sein. Zwar gibt es noch eine große Fabrik für süße Früchte außerhalb von Apt, aber ansonsten ist das Tal zur Ruhe gekommen. Die Eisenbahnlinie nach Avignon gibt es nicht mehr. Und zwar gar nicht, die Schienen wurden gleich mit herausgerissen. Ich empfinde so etwas natürlich als absoluten Hohn. Anstatt die alten Linien wieder in Betrieb zu nehmen, setzt man unregelmäßige Busse ein. Es ist unfassbar, was auf dem Lande in Frankreich geschieht. Es ist schlimmer als in Deutschland. Selbst ein touristisch erfolgreiches Gebiet wie das Luberon ist betroffen. Ohne Auto kommt man praktisch nur schwer zu den Villages Perchées. Wie wir ja gestern gemerkt haben. Dasselbe habe ich übrigens vor vier Jahren im Perigord erlebt. Unfassbar, dass selbst in solch touristisch erfolgreichen Gegenden kaum an die Touristen und deren ökologischen Transport gedacht wird. Es ist der Grund, warum ich hier mit Fahrrad fahre.
Der Besuch in Apt war nochmals ein kleines Highlight, aber auch ein Abschied. Es ist kaum zu glauben, dass unsere Zeit hier bereits zu Ende geht. Trotz der Mühsal und Hitze war es kurzweilig. Und ganz anders als die anderen Male. Das nächste Mal werden wir allerdings ein Auto mieten. Man kommt wirklich zu schlecht zu den Orten der Gegend. Wir haben das beste daraus gemacht, aber es geht noch besser.
Morgen also fahren wir nach Avignon, wo ich vor einigen Wochen vergessen habe, ein Hotelzimmer zu buchen. Das führt jetzt dazu, dass wir ein Formule 1-Zimmer haben werden, uns also am unteren Ende des Tourismus bewegen. Das Hotel liegt allerdings in der Nähe des Bahnhofs, gut für unsere sehr frühe Abfahrt in zwei Tagen.
Ehefrau Nina fliegt von Lyon aus zurück nach Berlin, ich hingegen fahre nach Toulon, wo ich Sonntag dann nach Korsika übersetze.
Wieder also ändert sich alles.
Meine Reise ist bislang schon so divers und abwechslungsreich, dass ich sie schon jetzt für einen Erfolg halte. Aber ich bin so durstig. Durstig nach Wissen und Eindrücken. Natürlich muss ich auch aufpassen, denn wie ich auch auf dieser Reise bereits erfahren habe, muss ich auf mich achtgeben. Aber die fast zwei Wochen zusammen mit Ehefrau Nina haben mir gutgetan und meinen Akku wieder aufgeladen. Der war schon ziemlich leer vor ein paar Tagen.
Jetzt aber geht es weiter, allein. Und ohne weitere Termine. Niemand kommt mich mehr besuchen, und ich muss auch niemanden besuchen, es sei denn, ich richte es so ein, was durchaus passieren kann. Sollte ich auf das Festland nach Italien fahren, habe ich die Möglichkeit, in Florenz alte Bekannte zu treffen, die ich über 20 Jahre nicht gesehen habe. Mal sehen, ob ich sie dann erreichen kann. Man weiß es ja nicht, wie das Leben spielt.
Aber das ist Zukunftsmusik. Erst einmal sind wir hier.
Morgen erfolgt dann die allmähliche Rückfahrt.
Und ab Übermorgen bereite ich mich dann auf Korsika vor, das für mich vollkommen neu ist. Mal sehen, ob mir diese Insel mehr zusagt. Kreta vor einem dreiviertel Jahr war nicht so erfolgreich. Es kann also nur besser werden.
Ich bin jedenfalls gespannt.