Der letzte Tag in Italien. Auch wenn es sich nicht so anfühlt.
Der Schatten der Berge verhinderte heute Morgen, dass es früh warm wurde. Stattdessen lag eine schwüle Feuchtigkeit auf dem Platz, schwere Tropfen hingen am Zelt. Vorahnungen darauf, dass ich morgen früh den Stoff ganz sicher nicht trocken in die Tasche bekommen werde. Aber das wäre nicht das erste Mal.
Schon beim Aufstehen musste ich daran denken, dass ich am nächsten Tag bereits lange unterwegs sein würde, als ich gegen Viertel vor sieben erwachte. Das beschäftigt mich schon ein wenig.
Ich beeilte mich nicht unbedingt, wusch meine Kleidung noch einmal, weil das Wetter gut werden würde. Wer weiß, wie es sich in den nächsten Tagen entwickelt. Oft muss ich das nicht mehr machen. Das Ende naht nun wirklich. Morgen in einer Woche fahren Ehefrau Nina und ich aus Prag ab. Dann werde ich in Berlin diese Reise beenden. Komischer Gedanke. Alles hat gelitten. Meine T-Shirts sind zerfasert, meine Outdoorhose dreckig (die Helle), meine zwei Monate alten Outdoorshorts bereits etwas verblichen. Die Isomatte wirkt, als wäre sie von einer Wachsschicht bedeckt. Schon eine ganze Weile.
Und ich?
Ich habe manchmal Schwierigkeiten, morgens aufzustehen. Nicht, weil ich so viel schlafe, sondern weil der Rücken manchmal Probleme bereitet. Yoga, Yoga, Yoga. Das hilft ein wenig.
Aber zu heute.
Gegen neun fuhr ich los. In der Absicht, den Busbahnhof zu finden. Und einen guten Weg dorthin. Ich fand ihn nach einiger Zeit, aber keinen guten Weg. Ich werde morgen improvisieren müssen. Der Busbahnhof liegt in einem Industrieviertel. Nicht sehr schön. Aber egal. Die Radfahrt morgen wird sicher schön, ganz früh um halb sieben möchte ich losfahren. Sicher ist sicher. Auch wenn ich keine zwei Stunden brauchen werde, ist mir das lieber. Bestimmt hat der Bus auch noch Verspätung. Aber es ist mir lieber, rechtzeitig da zu sein und etwas warten zu müssen, als auf den letzten Drücker anzukommen oder den Bus sogar zu verpassen. Das sind die paar Minuten Schlaf nicht wert.
Der Busbahnhof ist nur ein paar Kilometer von der Innenstadt Bozens entfernt. Nachdem ich ihn gefunden hatte, radelte ich innerhalb von 20 Minuten dorthin. Ich erinnerte mich an nichts mehr. Ich glaube, ich war 1995 das erste und letzte Mal hier. Als Erstes besichtigte ich die Kirche, von der mich nur das modern wirkende Bronzetor faszinierte. Danach schlenderte ich durch die Altstadt. Sie hat nichts Italienisches mehr. Ich hätte auch in Rosenheim oder Füssen sein können. Trotzdem ist sie interessant, die Fassaden sind teilweise bemalt, natürlich biblische Motive. Die Laubengasse sieht auch ansprechend aus, Arkaden schützen diese Einkaufsmeile. Mittelalterlich, so erfuhr ich. Wenn ich es mit Bologna vergleiche, ist es allerdings kaum der Rede wert. Aber manche Orte sind eben beliebt. Andere nicht, auch wenn sie unentdeckte Juwelen sind. Bozen jedenfalls ist elegant. Und reich, wie es scheint. Man merkt es an den Immobilienpreisen. Sie sind unfassbar hoch. Berliner Niveau. Die Restaurants waren gut gefüllt, kaum jemand, der keinen Wein trank. Oder Aperol Spritz. Es wirkte wirklich vornehm. Die Menschen waren gut gekleidet. Außer ich natürlich. Dabei hatte ich schon das gute blaue T-Shirt an.
Auf Besichtigungstouren irgendeiner Art hatte ich keine Lust. Ich entdeckte eher zufällig ein Franziskanerkloster. Der Innenhof gefiel mir, die Malereien auch, sicherlich mittelalterlich, in Teilen, mehrfach übermalt. Was rettet man als Restaurateur? Welches Gemälde? Das aus dem 14. oder aus dem 16. Jahrhundert? An manchen Stellen waren Schichten abgeplatzt, sodass das Fresko darunter zu Vorschein kam. Ich möchte das nicht entscheiden. Hier ist es aber irgendwie gut gelungen, weil sowieso nicht alles erhalten ist.
Sicher zwei Stunden lief ich durch die Gassen, spürte irgendwann die Radkilometer von gestern und heute. Einen Espresso gönnte ich mir irgendwan, auch entdeckte ich noch einen Ginkobaum, der von der Kaiserin Sissi gepflanzt worden ist. Sehr interessant. Auch das eine oder andere Geschäft suchte ich auf. Es wirkt so unwirklich. Kleidung kaufen? Es scheint tatsächlich so unwichtig. Ich sehe sicher aus wie ein Vagabund, dennoch liegt mir gerade nichts ferner, etwas an diesem Zustand zu ändern. Ich komme dem Image eines reisenden Hippies immer näher, auch wenn ich ganz sicher nicht zu dieser Spezies gehöre.
Gegen 14 Uhr hatte ich jedenfalls genug und machte mich auf den Heimweg, der sich hinzog. Aber ich hatte ein gutes Hörbuch im Ohr, Pearl S. Buck, Die gute Erde, das habe ich gestern und heute komplett gehört. Nicht schlecht, oder? Zumindest in der gekürzten Fassung.
Auf dem Platz jedenfalls tat ich etwas, das ich schon seit Tagen machen will. Das Rad putzen. Es war inzwischen unfassbar heiß. Dieser Sommer scheint nie aufhören zu wollen. Mal sehen, wie es morgen wird, ich hoffe trocken. Alles andere ist nicht so wichtig.
Der Norden von Italien interessiert mich städtetechnisch eigentlich weniger. Die Dolomiten sind nicht fern. Und wenn ich das nächste Mal hier bin, werde ich mich ganz sicher eher den Bergen widmen. Hätte ich heute auch tun sollen. Aber es ist jetzt, wie es ist.
Morgen steht mir die Rückfahrt nach Deutschland bevor. Der Kulturschock wird nicht so groß, schon hier sprechen die Leute eher deutsch als italienisch. Nur die Anfahrt zum Busbahnhof wird herausfordernd. Aber ich habe Optionen. Es gibt eine Art S-Bahn zwischen Bozen und Meran, die auch hier hält. Zur Not, wenn es in Strömen gießt, mache ich das.
Aber lieber Rad fahren. Es ist der letzte Tag hier. Und doch ist es noch nicht zu Ende.