Das war ein Tag heute.
Ich schlafe immer schlecht, wenn ich am folgenden Tag abreisen muss. Oder möchte. Heute musste ich, denn das Ticket war gebucht. Ich hatte es etwas bereut, denn es wäre auch möglich gewesen, einfach einen Zug von Bozen aus zu nehmen. Irgendwie war mir nicht bewusst, wie nahe Tirol an Deutschland dran ist. Für mich als Berliner ist es eine so ferne und unendlich spannende Welt. Wie es für Münchner oder Bayern generell aussieht, weiß ich nicht.
Jedenfalls war ich abends todmüde, schlief schon vor zehn ein, nur um gegen Mitternacht aufzuwachen. Der Zeltnachbar schnarchte. So etwas kommt vor. Trotzdem schlief ich danach sehr schlecht, schreckte immer wieder hoch, trotz Ohrenstöpsel und Lichtbarriere wollte ich nicht tief einschlafen.
Dann, gegen halb fünf, stand ich einfach auf. Eine halbe Stunde, bevor ich hätte aufstehen müssen.
Nachts hatte es etwas geregnet, jetzt aber schien es sehr warm zu sein. Mit gekonnten Griffen, die ich auf dieser Reise hundertmal durchgeführt hatte, packte ich alles zusammen. Und trotz Frühstück und zwei Kaffees war ich gegen sechs bereit zum Aufbruch.
Langsam dämmerte es. Niemand auf dem Campingplatz war wach, in der Ferne aber beobachtete ich Blitze. Es donnerte nicht, also war das Gewitter so weit weg, dass es mich nicht betreffen würde. Aber ab und zu bekam ich einen Tropfen ab. Die Wolken waren schwer, hatten aber Lücken. Noch bevor die Sonne aufging, verließ ich den Platz. Zehn Minuten später aber war es so gut wie hell.

Ich fuhr in einem Zug durch. Und tatsächlich schaffte ich die 18 Kilometer in einer Stunde. Das Finden des Busbahnhofs war kein Mysterium mehr wie am Tag zuvor, er war einfach da, wo ich ihn gestern schon aufgesucht hatte. Ich sah auf mein Ticket. Und ärgerte mich.
Ich hatte mich verlesen. Statt um halb neun fuhr der Bus erst kurz vor neun. Fast zwei Stunden wartete ich also. Die Anzeige am Bahnhof aber zeigte den Bus nicht an. War ich überhaupt richtig? Ich war nicht der Einzige Verwirrte, einigen anderen Busnutzern ging es wie mir. Gegen halb neun tauchten mehr Leute auf. Und niemand wusste so recht, was er davon halten sollte.
Unsere Sorgen waren unberechtigt. Der Bus fuhr gegen neun pünktlich ein. Alles dauerte nur wenige Minuten, mein Rad war verstaut, es hatte niemanden interessiert. Ich weiß auch nicht, warum ich immer extra Gepäck bezahle.
Als wir über die Brennerautobahn fuhren, fühlte ich mich wohl. Ich bin so oft dort langgefahren. Immer auf dem Weg nach Italien oder wieder zurück. Zwischen 20 und 30 war ich regelmäßig hier. Danach kaum noch. Die Berge an den Seiten des Tales wurden immer höher. Irgendwann waren wir in Österreich. Man merkt es gar nicht mehr.
Wir passierten Innsbruck, dann bogen wir in Richtung Westen ab, was mich wunderte. Wir fuhren also über Mittenwald. Schön. Auch diese Strecke bin ich bereits gefahren. Die Stadt kenne ich ebenfalls ein wenig.
Wir hielten plötzlich direkt vor dem Campingplatz Iserhorn. War das ein planmäßiger Halt?
Nein, war es nicht. Bundespolizei. Ich dachte an Rasterfandung. Die beiden Beamten kontrollierten jeden Fahrgast. Auch mich. Der Witz war, dass mein Ausweis zum zweiten Kollegen gereicht wurde, der ihn scannte. Das passierte mit nur wenigen Ausweisen. Was wird da eigentlich gescannt? Ob ich Vorstrafen habe? Vielleicht hätte ich fragen sollen. Wenn es mich wirklich interessiert hätte. Aber dem war eigentlich nicht so. Ich kenne es, die langen Haare machen mich in Deutschland immer verdächtig. Nirgendwo anders. Aber es ist, wie es ist.
Trotz des außerplanmäßigen Aufenthaltes erreichten wir München pünktlich. Ich packte alles auf das Rad und fuhr direkt zum Campingplatz. Meine Sorge, dass eventuell kein Platz mehr frei wäre, erwies sich als haltlos. Ich hatte kurz Bedenken, weil ich an den Wiesen vorbeigefahren bin. Ist schon Oktoberfest? Aber das findet erst Mitte September statt.

Nach dem Aufbau des Zeltes war ich erst einmal am Ende. Die schlimme Nacht und das frühe Aufstehen forderten ihren Tribut.
Aber gegen Nachmittag raffte ich mich doch noch einmal auf und fuhr erst einkaufen, dann am Fluss entlang in Richtung Stadt. Ich kam an einem interessanten Kiez vorbei, der aber dann doch etwas langweilig war. Viel interessanter fand ich das andere Isarufer. Hier läuft nämlich der richtige Radweg entlang. Immer am Fluss, an grünen Wiesen, durch Wälder. Ich hatte das Gefühl, dass wir Berliner nicht genug aus unseren Uferwegen machen. Hier in München war es voll, die Leute sonnten sich an diesem Spätsommertag. Apropos Spätsommer. Es fühlt sich fast an wie Herbst. Die Kastanien fallen schon auf den Boden, die Blätter sind schon verfärbt. Vielleicht liegt es am Wassermangel, aber die Natur bereitet sich schon auf das winterliche Ausruhen vor. Vor ein paar Tagen war ich noch in Griechenland. Mit Tagestemperaturen um die 35 Grad. Hier sind wir jetzt weit davon entfernt. Die Sonne wärmt auch nicht mehr so intensiv und vor allem nicht mehr so lange. Jetzt, um 17 Uhr, ist es schon angenehm kühl. Tendenz kalt. Mal sehen, wo das heute Nacht hinführt. Ich rechne schon mit einem kleinen Schock. Mal sehen.

Es ist eigenartig, wieder in Deutschland zu sein. Ich fremdle ein wenig. Ich stand im Supermarkt und wusste nicht ein noch aus. Schlecht gewählt, es war ein Discounter. Die sind überall schlecht zum Einkaufen für das Zelten. Zu große Packungen. Was ich aber bemerkte, waren die Preise. Manches hat sich innerhalb eines Jahres verdoppelt. Gerade Käse- und Milchprodukte. Ich denke, dass viele Firmen die Krise nutzen, um abzuschöpfen. Sie kommen damit durch. Auch die Benzinpreise sind enorm, verglichen mit anderen Ländern. Das liegt nicht nur an den Steuern. Wir haben es anscheinend. Ich bin gespannt, gegen wen sich der Zorn in ein paar Wochen richten wird. Nun, ich weiß es. Natürlich die Politik. Nicht gegen die Verantwortlichen in den Chefetagen.
Mal sehen. Eigentlich will ich mich gar nicht mehr damit befassen. Aber das wird wohl Wunschdenken sein.
Und damit bin ich wieder zurück. Im grauen Alltag Deutschlands. Das ging schneller, als mir lieb war.