Die Nacht war dieses Mal eine Spur wärmer.
Vielleicht lag es daran, dass der Himmel etwas verhangen war. Immerhin war mein Schlaf dadurch erholsamer. Was für Luxusprobleme ich doch habe.
Ansonsten zog ich meine Routine durch. Erst einen Kaffee, dann 25 Minuten Yoga, schließlich Frühstück. Gegen neun war ich abfahrbereit. Mein Navi gab mir die Richtung nach Chenonceau vor, ich wusste allerdings, dass es irgendwo einen Radweg geben musste. Ich fand ihn aber nicht. Vielleicht hätte ich ins Zentrum von Amboise fahren müssen, da hätte ich ihn sicher gefunden. Als ich auf diese Idee kam, war ich schon weit außerhalb und bereits einen Hügel hochgefahren. Zurück wollte ich also nicht. Es kam, wie es kommen musste, ich folgte praktisch einer Bundesstraße. Das hat den Vorteil, dass es wirklich schnell ging, aber den Nachteil, dass die Fahrt relativ ungemütlich wurde. Zu viele LKWs. Letztlich aber war ich gegen halb elf am Schloss. Auf der Suche nach dem Radweg hatte ich viel Zeit verloren. Aber es war noch sehr früh.

Ich freute mich auf diese Erfahrung. 15 Euro kostet der Eintritt, so etwas schreckt mich im Moment nicht mehr sehr. Ich werde nie wieder hier sein, was ich jetzt nicht sehe, sehe ich nie. Also scheinen mir 15 Euro gut angelegt.
Ich lief eine breite Allee entlang, die gesäumt ist von hohen dichten Bäumen, auf das Schloss zu. Das Château wirkt nicht so bombastisch wie Chambord, sondern eher verspielt und übersichtlich. Ein Teil davon liegt übrigens auf dem Fluss Cher. Es ist umrandet mit angedeuteten Burggräben, die wohl nur szenischen Effekt haben. Das Schloss war mal eine Festung, aber das, was heute zu sehen ist, ist nur als Lust-Schloss angelegt. Schon von der Allee aus sah ich zwei formelle Gärten rechts und links des Schlosses.
Ich wollte aber zuerst das Chateau besichtigen. Und hier merkte ich: Wenn ich heute kein Corona bekomme, bekomme ich es nicht mehr. Es war voll, um Bersten voll. So voll, dass ich kaum Lust verspürte, meine Besichtigung fortzusetzen. Beinahe wäre ich wieder hinausgegangen.

Letztlich aber fiel mein Blick auf den Kamin und auf eine Apparatur, die Flammen simulierte. Und zwar so echt, dass meine Neugier geweckt war. Tatsächlich haben die „Betreiber“ hier nach dem Brand von Notre Dame die Kamine stillgelegt und diese Apparaturen installiert. Ich weiß nicht, was es ist, aber auf einem Schild daneben steht, dass es sich um „cool flames“ handelt und auf einer ausgefeilten Technik beruht. Es sah jedenfalls sehr interessant, wenn auch sehr kontrolliert aus. Kein glühendes Feuer, eher Flämmchen in Reih und Glied. Aber interessant.
Das Schloss selbst beeindruckte mich nicht so sehr. Die Räume bestanden zumeist aus Schlafzimmern, in denen sich prunkvolle Himmelbeeten auf Podesten befanden. Manchmal zierten alte Schinken die Wände, Stofftapeten, Holzfußboden. Aber die Aussichten von den Fenstern auf die Gärten und den Fluss waren einmalig. Besonders im Erdgeschoss aber herrschte ein zu großes Gedränge. Auch unten im Keller in den Küchen, wobei diese mich beinahe mehr interessierten. Überall an den Wänden hingen kupferne Töpfe, die man auch heute noch oft in französischen Küchen findet. Mir kam der Gedanke, dass die Küchen hier großzügiger waren als im Chambord, das zehnmal so groß ist. Es liegt wahrscheinlich daran, dass dort praktisch nie jemand gewohnt hat. Hier hingegen wurde gelebt. Zahlreiche, vor allem Königinnen, haben dieses Schloss geliebt, unter anderem, Katharina di Medici, die von hier aus Frankreich regiert hat. Auch ihre größte Rivalin, Diana, gegen die sich Katharina aber später durchgesetzt und sie praktisch vertrieben hat. Diese Informationen findet man in der Galerie im zweiten Stockwerk. Beide haben auch Chenonceau so gestaltet, wie man es in weiten Teilen heute besichtigen kann.

Das sich außerhalb des Schlosses befindet, interessierte mich jedoch mehr. Die beiden formellen Gärten mit perfekt beschnittenen Buxbäumen und gepflegtem Rasen und Fontänen in der Mitte besichtigte ich eher von außen. Es war tatsächlich bereits ausgesprochen heiß, die Sonne versuchte ich, so gut es ging zu vermeiden.
Also lief ich weiter durch den Wald zum Labyrinth. Ich weiß nicht, aus welchen Pflanzen es besteht, aber ich war recht schnell in der Mitte, dann auch schnell wieder draußen. Eine Spielerei.
Was mich aber beeindruckte, war der Küchengarten/Pottager. Er war riesig, bestand in Teilen aus Blumenmeeren.

Etwas habe ich vergessen zu erwähnen: Im Château befanden sich überall perfekte Blumengestecke, prächtig und ausladend. Ich habe viele von ihnen fotografiert. Diese Gestecke haben hier, im Küchengarten, ihren Ursprung. Alle Blumen und Gräser wachsen hier irgendwo. Dabei war der Garten noch nicht einmal mit essbaren Pflanzen bestückt. Diese fand ich in einem Gewächshaus als Setzlinge. Kein Wunder, die Eisheiligen stehen noch bevor. Dieses Wochenende? Ich glaube schon.
An den Garten schloss sich ein Häuschen an, das ich als Cottage bezeichnen würde. Überhaupt erinnerte mich dieser Teil des Gartens an England. Sissinghurst? Vielleicht. Aber hier ist es nicht so wild und romantisch. Es handelt sich bei den Häusern aber tatsächlich um einen antiken Bauernhof mit ehemaligen Ställen, in denen heute Kutschen zu bewundern sind.
Was es ebenfalls zu sehen gibt, ist die Apotheke von Katharina di Medici. Ich glaube, dass auch Nostradamus hier gewesen sein muss, zumindest fiel sein Name mehr als einmal. Er war Ratgeber der finsteren Königin. Außerdem haben Gebäude im Ersten Weltkrieg als Lazarett gedient. Der Schlossbesitzer, ein Großindustrieller, hat hier viele Verwundete pflegen lassen.

Nach dem Besuch im Château und den Gärten spazierte ich noch ein wenig durch das Dorf. Es war nicht sehr aufregend, sodass ich mich irgendwann entschloss, abzufahren. Tatsächlich führte mich der Radweg auf einem Umweg nach Amboise zurück. Erst am Ufer der Cher entlang nach Blère, dann, einen Hacken schlagend, weiter nach Amboise. Natürlich war es wesentlich schöner, hier entlangzufahren, aber auch glatt fünf Kilometer weiter. Mein Navi würde mir so etwas nicht vorschlagen. Trotzdem war es angenehm, an den Feldern und durch Wälder fahren zu können. Letztlich aber hatte ich wieder 40 Kilometer in den Beinen. Nicht so schlimm. Ich empfinde das nicht mehr als störend. Wie schnell man sich an das Training gewöhnt. Hätte ich nicht gedacht.

Morgen fahre ich weiter nach Tours, meine Zeit im Valée de la Loire nähert sich also bald seinem Ende. Dabei bin ich gefühlt gerade erst angekommen. Aber so ist das auf Rundreisen. Etwas geht, etwas anderes kommt. Und irgendwie habe ich auch das Gefühl, dass es für einen ersten Eindruck auch gereicht hat. Ein Château bzw. einen Garten sehe ich mir übrigens noch an. Aber dazu übermorgen mehr.
Jetzt ruhe ich aus.
Und konsumiere schon wieder Nachrichten.
Schrecklich.
Besonders dieser Tage.