Früh übt sich.
Es war gegen 6:30, als ich mich aus den Federn schälte. Es ist eine gute Zeit aufzustehen, schon hell, allerdings noch patschnass draußen. Der Tau hier ist schwer und hartnäckig. Es war nicht sehr kalt, nur sehr, sehr feucht. Vielleicht ist deshalb die Hitze hier auch bei um die 25 Grad so drückend.
Ich zog also meine Morgenroutine durch, packte, versuchte, das Zelt zu trocknen, stopfte am Ende alles nass in die billige Fahrradtasche. Dann fuhr ich gegen 8:30 ab.
Es hat hier tatsächlich gereicht. Zwei Tagen waren genug.
Erst führte mich der Weg an der Loire entlang, dann ein Stück in die Berge (eher Hügel) nach oben. Schiebender Weise kam ich auch voran. Es war noch früher Morgen, trotzdem waren schon einige Radler unterwegs. Nun, so früh war es nun auch nicht mehr. Das Navi OsmanD, ich nenne es mal türkisch, auch wenn es keinen Akzent hat, und die Erschaffer der Radwege der Loire, waren sich selten einig. Ich richtete mich eher nach letzteren, weiß jetzt aber, dass das nie die kürzesten, wahrscheinlich aber die angenehmsten Wege sind. Letztlich musste ich den Radweg aber verlassen, weil der Campingplatz nicht in Tours im Zentrum liegt. Etwas außerhalb, neben einer Festwiese, auf der ausgerechnet heute und sicher morgen auch noch eine Art Oktoberfest stattfindet. Uff. Na ja, es wird schon gehen.
Um elf Uhr kam ich an, gegen halb zwölf stand das Zelt und trocknete. Drei Stunden also von der Abfahrt bis zum Aufbau. Ich finde, das ging eigentlich. Zudem konnte ich später nach Tours fahren.
Das tat ich auch gegen eins.
Ich spürte allerdings die langen Radtouren der letzten Tage in den Beinen. Ich bin es auch nicht gerade gewohnt. Die Straßenführung OsmanDs verwirrte mich etwas, irgendwann aber kam ich am Gare/Bahnhof an, wo ich das Rad abstellte. Von nun an ging ich zu Fuß weiter.
Ich war schon mal hier.
Es ist 24 Jahre (!) her. Eine andere Zeit, ich war noch Student und lebte in den Tag hinein. Ich weiß nicht mehr, warum ich hier war, ich glaube, ich bin auf der Rückfahrt aus Spanien hier vorbeigekommen. Ein Schlenker auf dem Weg nach Rennes, meiner Universitätsstadt. Ich weiß nicht mehr, ob ich hier auf einem Campingplatz geschlafen habe oder nur auf der Durchfahrt war. Jedenfalls konnte ich mich an einen Platz mit mittelalterlichen Häusern erinnern.
Den fand ich anfangs aber nicht, stattdessen eine prächtige Einkaufsstraße im historischen Zentrum. Dabei handelte es sich zum Teil aus Altbauten entlang einer breiten Allee, samt Tramlinie. War ich richtig? Spielte mir die Erinnerung einen Streich? Nein.
Ich musste nur die Altstadt finden. Und irgendwann stand ich mittendrin.
Auf dem Place Plumereau . Die Gebäude vom Alter gebeugt, krumm, schief, ehrwürdig. Aber auch prächtig. Wie damals gönnte ich mir einen Kaffee und schaute dem Treiben zu. Die Gegend der Stadt erinnert mich an die Rue de Soif in Rennes, also der Ausgehmeile in der Altstadt. Ein Pub neben dem anderen, Restaurants, Cafés, Shishabars. Was man eben so braucht. Ich will nicht wissen, was abends hier los ist.
Ich muss gestehen, dass ich müde war. Daher beschloss ich, nur etwas durch die Stadt zu wandern. Ohne Ziel, einfach drauflos. So wie früher. Ich las keinen Reiseführer, studierte auch nicht die Infotafeln, sondern nahm einfach die Eindrücke in mich auf. Tatsächlich ist die Altstadt nicht sehr groß. Aber auch die anderen Teile des Zentrums sind sehenswert, aus hellem Stein errichtete Gebäude aus späterer Zeit, aber immer noch irgendwie alt. Vielleicht aus dem 18. oder 19. Jahrhundert, mit großen Fenstern und spitzen Dächern. Insgesamt erschien mir Tours sehr hell und freundlich.
Eine Kirche aus, wie ich denke, romanischer Zeit, lief mir förmlich über den Weg. Sie war wuchtig und klobig. Und zu. Also lief ich weiter und erreichte irgendwann zufällig die Kathedrale. Wie kann man die übersehen? Ich glaube, ich hatte sie vom Radweg aus erspäht, sie aber nicht wahrgenommen.
Die beiden Zwillingstürme strebten derart gen Himmel, dass die daran zu kratzen schienen. Die reich verzierte Fassade braucht sich jedenfalls nicht zu verstecken. Auch innen war sie herrlich, das hohe Mittelschiff schien gar nicht zu enden.
Wenn ich irgendwann mal etwas darüber lese, werde ich sicher erfahren, dass diese Kathedrale besonders für ihre sagenhaften Kirchenfenster bekannt ist. Die runde Rosette jedenfalls im Seitenflügel ist prächtig und ganz sicher berühmt. Sie erstrahlt jedenfalls in tausend Farben, das Lichtspiel ist einmalig. Auch im Kirchenchor befinden sich etliche Fenster. Ich bin kein Experte, nicht einmal ein großer Fan, aber das hat auch mir gefallen.
Was mich wirklich beeindruckte, war ein Sarkophag. Aus Marmor. Unweit des Kreuzgangs.
Dargestellt sind zwei Kinder. Und hier las ich dann doch einmal die Infotafel. Es handelte sich um die Kinder von Anne de Bretagne und Charles VIII. Eines ist im Alter von 26 Tagen gestorben, das andere mit drei Jahren. Anders als bei anderen Gräbern sehen die dargestellten Kinder nicht zufrieden aus. Sie leiden. So wie die Eltern, die ihre Kinder verloren hatten. Anmerkung: Das Königspaar hat sechs Kinder verloren, alle sind in dieser Kathedrale beerdigt.
Das Ungewöhnliche an diesem Grab ist die Tatsache, dass es die Wirren der Französischen Revolution überlebt hat. Zu kunstvoll war es vielleicht, zu erhaben. Sogar die Barbaren der Revolutionäre haben es verschont.
Nach diesem Besucht schlenderte ich nur noch einmal durch die Stadt, entdeckte ein Haus, in dem Honore Balzac anscheinend unterrichtet wurde. Gut zu wissen.
Mehr geschah nicht.
Ich kaufte nur noch eine Schirmmütze, so wie jedes Jahr auf Reisen, weil ich eine der unzähligen Hüte mal wieder zu Hause gelassen hatte, in der Annahme, dass ich sie hier nicht brauchen würde. Das ist natürlich Quatsch. Bei dieser intensiven Frühlingssonne brauche ich sie um so mehr. Nun habe ich eine. Und besseren Sonnenschutz. Faktor 50. Meine alte Haut verbrennt nämlich zusehends.
Jetzt sitze ich auf dem Campingplatz und ruhe mich aus.
Morgen ist mein letzter Tag im Valée de la Loire. Ich werde ihn standesgemäß gut nutzen. Und ab Freitag beginnt dann ein andres Kapitel.
Trotz der Tatsache, dass ich hier immer das Gefühl hatte, nicht genug zu sehen, bin ich zufrieden. Ich habe Lust auf mehr, war dennoch sehr aktiv und habe viel gemacht. Irgendwann komme ich nochmal her und setze meine Erkundungen fort. Dann auch mit besserer Vorbereitung auf Tours, von dem ich nur einen kurzen Eindruck bekommen habe.