Ich habe es mir heute mal so richtig leicht gemacht. Zumindest für meine Verhältnisse.
Grund dafür war übrigens das Wetter, auch wenn ich denke, dass es auch sonst so gemacht hätte. Es ist eigentlich unfassbar, aber es hat heute das dritte Mal seit meiner Ankunft in Frankreich geregnet. Mehr als vier Wochen bin ich unterwegs, trotzdem war es so trocken wie selten. Brandenburger/Berliner Verhältnisse? Es scheint fast so.
Jedenfalls begann es gegen neun Uhr. Nicht schlimm, meine Yoga-Session war auch schon vorbei. Aber ich wartete trotzdem den ersten Guss ab. Auch danach war der Himmel wolkenverhangen. Und ich wollte es nicht riskieren, auf der Radfahrt von einem Schauer erwischt zu werden. Also verließ ich das Zelt und lief in Richtung Cournon-d’Auvergne. Die etwas übermotivierte Rezeptionistin hatte mir gestern einen Busfahrplan gegeben. Es war eine leichte Entscheidung, mich heute zu den Öffentlichen zu bekennen. Nicht nur wegen des Wetters, auch wegen der zehrenden Steigungen der Gegend, die das Radfahren anstrengend machen. Selbst die 15 Kilometer von gestern steckten mir in der Knochen. Und auch die Wochen vorher, wie ich langsam merke.
Der Bus C fuhr einen Kilometer vom Campingplatz entfernt, ich fand die Haltestelle fast auf Anhieb. Auch das Kaufen des Tickets war kein Problem, heutzutage geht das meiste ja online. Außer in Deutschland, da wird noch viel mit echten Fahrscheinen hantiert.
Ich muss zugeben, dass ich mich ein wenig schuldig fühlte. Es war so leicht, sich einfach kutschieren zu lassen. Ich saß, ruhte mich aus, schonte meine Kräfte für Clermont, überhaupt war es so einfach.
40 Minuten brauchten wir nur, die ich damit nutzte, meinen Gedanken nachzuhängen.

Als wir im Zentrum ankamen, bestätigte sich mein Eindruck von gestern.
Clermont ist eine düstere Stadt.
Und zwar physisch. Das dunkle Vulkangestein dieser Gegend ist in den Gebäuden hier überall präsent. Zwar sind die manchmal angemalt, trotzdem kommt es immer und überall durch. Es ist fantastisch.
Ausgestiegen war ich an der Station Ballainvilliers, ohne mich vorher mit der Stadt beschäftigt zu haben, schlug ich mich in die Gassen. Es hat etwas an sich, die Seele einer Stadt auf diese Weise zu erkunden. Ohne mit Informationen erschlagen und voreingenommen zu sein. Ich lief also durch die Gassen, das Wetter spielte mit, auf eigene Weise, denn die Dunkelheit der Steine wurde durch den Himmel und die schweren Wolken noch betont. Manche Häuser sind fast schwarz. Es war unglaublich.
Ich ahnte, dass ich mich in der Altstadt aufhielt. Es wirkte alles verworren und geheimnisvoll. Ich wusste vom ersten Augenblick an, dass ich diese Stadt mochte. Sie erinnerte mich an Edinburgh, eine gewisse Härte ging von ihr aus, ohne dass ich sagen konnte, woher sie kam. Nichts von provencalischer Lieblichkeit, keine mediterranen Farben des Südens, sondern hartes Gestein. Dabei fiel mir auf, dass Clermont jung wirkt. Ich sah viele Studenten, und die entsprechende Gastronomie dazu. Es ist eine lebendige Stadt, in der offensichtlich die Universität eine große Rolle spielt. Nichts also mit der morosen Stimmung. Sie ist eigentlich tatsächlich heiter, nur die Kulisse ist es nicht. Das fällt auf.

Irgendwann fiel Regen, sodass ich mich dazu entschied, eine Kirche in der Nähe aufzusuchen. Dank OsmanD wusste ich, dass die Basilika Notre Dame du Port nur ein paar Schritte entfernt lag. Ich hätte nicht gedacht, dass ich dort war, wo ich war. Aber so ist das in sich windenden Gassen, man verliert irgendwann den Orientierungssinn.
Die Basilika ist erstaunlich. Ich würde sie als romanischen Bau einschätzen, wobei es sicher jüngere Abschnitte gibt. Sie wirkt jedenfalls wuchtig, nicht ganz so düster wie viele andere Gebäude, im Innern aber warm und einladenden. Auch scheint sie unterhalb des heutigen Straßenniveaus zu liegen. Sie gefiel mir jedenfalls. Außerdem war ich fast der einzige Gast. Clermont scheint kein besonders interessanter Ort für Touristen zu sein. Warum eigentlich?
Besonders war mir der Tympanon aufgefallen, der sich am Seiteneingang befindet. Die Figuren wirken wie aus einer anderen Zeit. Ich kann es nicht beschreiben. Ihre Gesichter sind jedenfalls unkenntlich, zerstört, wahrscheinlich eine Wirkung der Französischen Revolution.
Mir gefiel auch die „Gruft“, weit unterhalb der heutigen Kirche. Einsam lag sie da, die Wände voller Marmorplatten, gespendet von Leuten, die ihre Dankbarkeit für irgendetwas ausdrücken wollten.

Als ich wieder ins Freie trat, hatte es aufgehört zu regnen.
Trotzdem bewegte ich mich jetzt etwas zielstrebiger auf die Kathedrale otre-Dame-de-l’Assomption zu.
Ich merkte, dass Clermonts historisches Zentrum nicht besonders groß ist. Wenn man es erst einmal begreift, werden die Wege plötzlich kürzer als sie vorher wirkten.
Die Kathedrale jedenfalls ist ebenso eindrucksvoll wie der Rest der Stadt. Sie ist wirklich fast schwarz. Ihre düsteren Zwillingstürme recken sich in den Himmel, es ist unheimlich.
Kaum war ich drinnen und hatte eine erste kleine Runde gedreht, wurde mir per Lautsprecher mitgeteilt, dass nun Lunchpause war. Alle Lichter wurden abgeschaltet. Tatsächlich wurde ich beinahe noch eingeschlossen, der Kathedralenwärter war erstaunt, mich ein paar Sekunden nach der Ansage noch zu sehen. Ein Paar hinter mir schaffte es auch gerade so aus dem Gebäude.
Und da stand ich jetzt, auf dem Place de la Victoire. Hier hatte ich die Gelegenheit, noch ein paar schöne Aufnahmen von der Kathedrale zu machen.

Und dann sah ich ihn.
Den Puy de Dome.
Dieser gewaltige Vulkankegel thront über der Stadt. Wolkenverhangen, spitz, mächtig, beherrscht er die Landschaft. Ich hatte ihn schon gestern vom Bus aus gesehen, aber heute wirkte er noch eindrucksvoller.
Ich lief weiter, stand irgendwann vor den Markthallen. Für Lunch war also gesorgt. Fotos habe ich von den Hallen aber aus irgendeinem Grund nicht gemacht. Wirklich blöd.
Weiter lief ich durch die Gassen, stand irgendwann auf einem weiten modernen Platz mit einer Reiterstatue von Vercingetorix. Es war der Place de Jaude, wie ich jetzt lese.
Irgendwo hatte ich ein nettes Café gesehen, aber die Suche danach gestaltete sich als schwierig. Ich habe in Frankreich so selten Cafés gesehen, die diesen Namen auch verdienen. Meist sind es Bistros, die zwar auch Kaffee servieren, aber um diese Zeit lieber Mittagstisch verkaufen. Ich fand das Café nicht mehr. Außerdem ermüdete ich langsam. Clermont ist hügelig. Rauf und runter. Und ich weiß nicht, wie viele Kilometer ich schon gelaufen war. Wahrscheinlich weniger, als ich es mir jetzt zusammenreime. Letztlich entschied ich mich für ein Café nahe der Kathedrale, weil ich keine Lust mehr auf das Laufen hatte. Tatsächlich trank ich den besten Ristretto/Espresso in diesem Jahr. Er war so gut und das WiFi so schnell, dass ich eine halbe Stunde sitzen blieb.

Ich musste gestehen, dass ich müde war.
Und ich weiß auch warum.
Ich habe es mal wieder falsch gemacht. Nicht auf mich geachtet. Meine Reise ist angefüllt mit Höhepunkten, von einem zum anderen bin ich gehetzt. Und habe die Signale meines Geistes und meines Körpers nicht beachtet.
Nun, es ist daher in vielerlei Hinsicht ein Segen, dass Ehefrau Nina in vier Tagen hier auftaucht. Auch sie hat Erholung bitter nötig, daher können wir ohne schlechtes Gewissen eine Pause einlegen.

Nach der Kaffeepause lief ich noch einmal durch einige Gassen und musste feststellen, dass ich sie langsam wiedererkannte. Irgendwann stand ich tatsächlich vor dem Café, das ich gesucht hatte. Es war jetzt egal. Um meinen Besuch abzuschließen, besuchte ich noch den Jardin Lecoq. Er war nett, um einen Teich herum angelegt.
Und ich war erstaunt, wie klein dieses Zentrum eigentlich ist. Man kann Clermont sicherlich an einem Tag gründlich erkunden, dabei sicher mehr machen als ich heute. Die Museen, die ich gesehen habe, wirken nicht ausladend. Ich aber empfand keine Lust mehr darauf, sondern wollte jetzt meinen Körper ernster nehmen. Ich setzte mich also in den Bus und fuhr zurück. Sicher zu früh, aber ich empfand es als angebracht. Die Fahrt dauerte weniger lange als auf der Hinfahrt. Eine halbe Stunde vielleicht.
Morgen habe ich noch etwas vor, das sicherlich auch ziemlich anstrengend wird, weil das Ziel auf einem Berg liegt. Mal sehen. Ich lasse es jedenfalls ruhiger angehen.
So.
Und nun ruhe ich mich aus. Soll doch kommen, was will.