Es wird wärmer.
Und feuchter.
Schon in der Nacht habe ich mich gewundert, warum ich so schwitze. Vielleicht das erste Mal auf dieser Reise. Am Morgen erwachte ich jedoch durch das laute Getrommel auf dem Zeltdach. Es regnete. Nicht schlimm, aber so sehr, dass ich auf meine Yoga-Session verzichtete. Was auch nicht schlimm war, denn ich hatte sowieso Mühe, mich aufzuraffen. Meine fehlende Energie bereitet mir im Moment wirklich etwas Sorge. Mal sehen, wie ich mich in zwei Wochen fühle, nach dem Urlaub mit Nina.
Es regnete nicht lange, sodass ich gegen halb zehn entschied, mich auf den Weg zu machen.
Eigentlich wollte ich nach Gergovia, dem Schlachtfeld, auf dem die Gallier den Römern vor 2000 Jahren eine empfindliche Niederlage bereitet haben. Ich schaute mir zu diesem Zweck sogar eine kurze Dokumentation auf YouTube an und war vollauf informiert.
Dann aber las ich kurz vor der Abfahrt, dass das Museum geschlossen hat. Es ist nur mittwochs, samstags und sonntags auf. Fast blies ich die Sache ab. Aber was sollte ich sonst machen?
Ich fand in der Gegend eine Ausgrabungsstätte, Oppidum de Gondole. Es sollten nur fünf Kilometer sein, also radelte ich los.
Irgendwann befand ich mich im Nichts. OsmanD teilte mir mit, dass ich angekommen war. Google Maps, dass die Ausgrabungsstätte auf Privatgelände liegt. Wahrscheinlich stimmte nichts von beiden. Vielleicht war ich nur Hundert Meter entfernt, denn viel zu sehen gibt es wohl sowieso nicht, wenn man den Rezessionen auf Google Maps Glauben schenken kann. Letztlich wendete ich und entschied, dass ich mir doch das Schlachtfeld von Gergovia ansehen wollte. Es war auch nur noch wenige Kilometer entfernt.
Ich sah es auch schon vor mir, das Denkmal auf einer Hügelspitze. Wenn man weiß, wie es aussieht, kann man es von fast überall aus erkennen.
Wieder nach nur wenigen Kilometern kam ich an einem Ort mit dem Namen Orcet. Ein hübsches kleines Dorf, mittelalterlich, mit robuster Kirche, die viel zu groß für diesen kleinen Flecken wirkt. Wie ich später erfuhr, war es der Ort, wo Cäsar sein erstes Heerlager aufgeschlagen hat, bevor er die Gallier auf dem Hügel angriff. So begann also meine geschichtliche Safari.
Die Strecke nach Gergovia aber hatte es in sich. Natürlich wusste ich, dass das Plateau, auf dem die Gallier sich verschanzt hatten, ziemlich weit oben liegt, aber mir ist nicht immer klar, wie viel Energie man braucht, um diese Orte zu erreichen. Ab einem gewissen Punkt schob ich das Rad nur noch, dann entschied ich mich dafür, es irgendwo anzuschließen. Ich würde es auf dem Plateau nicht brauchen. Und später konnte ich damit wieder vom Berg herunterfahren. In weiser Voraussicht markierte ich die Stelle auf OsmanD, ich konnte mir nichts Schlimmeres vorstellen, als nachher stundenlang das Rad zu suchen.
Es war mittlerweile wirklich heiß, die Sonne brannte, aber ich traute dem Frieden nicht. Ich weiß nicht warum, aber ich nahm meinen Windbreaker mit. Und dann setzte ich den Aufstieg fort.
Es gibt tatsächlich einen Ort mit dem Namen Gergovia, den derselbe erst in der Neuzeit wiederbekommen hat, nachdem der Ort der Schlacht einwandfrei bewiesen war. Er befindet sich weit oben auf dem Hügel, aber noch nicht auf dem Plateau selbst. Ich sah mir die kleine Kirche an, die leider geschlossen war, bevor ich den Geröllweg nach oben einschlug und froh war, wirklich feste Wanderschuhe angezogen zu haben. Trotz schmerzender Beine erreichte ich das Museum und das Denkmal. Dass das Museum geschlossen hatte, war letztlich nicht schlimm.
Alles, was ich wissen musste, war auf großen Tafeln beschrieben.
Da die Topografie so gehaltvoll ist und die Tafeln so bildlich, kann man sich vorstellen, wie es gewesen sein musste. Cäsar campte weit unten im Tal, während die Gallier ihren Vorteil auszunutzen verstanden. Vercingetorix fiel nicht auf die Finten der Römer herein.
Diese hatten ein zweites kleineres Lager errichtet, etwas weiter im Westen. Auch das war klar erkennbar, denn in dieser Gegend sind die Hügel markant. Vulkanhügel eben. Auch die Verteidigungsgräben aus Zeiten von Vercingetorix sind auf dem Plateau noch zu sehen. Letztlich rannten sich die Römer fest, Cäsar blies zum Rückzug, ein Teil seiner Truppen bekam es nicht mit und wurde massakriert. Seine Niederlage schob Cäsar politisch übrigens auf seine Soldaten. Damals wie heute wurde also ein Sündenbock gesucht und gefunden.
Es half trotzdem nichts. Ein paar Monate später wurde Vercingetorix und seine Verbündeten, die nach Gergovia zu ihm geeilt waren, bei Alesia vernichtend geschlagen. Es war nicht selbstverständlich, sondern erforderte ein Geniestreich von Cäsar, der es schaffte, das Heer in der Stadt und das Ersatzheer draußen durch zwei Palisadenringe von sich fernzuhalten. Aber das ist eine andere Geschichte.
Ich überlegte mir, was passiert wäre, hätte Vercingetorix gewonnen. Die Franzosen würden nicht dieses Küchenlatein sprechen, Cäsar hätte nicht den Rubikon überschritten, jemand anderes hätte die Republik zu Fall gebracht. Oder auch nicht. Das römische Kaiserreich wäre vielleicht nie entstanden. Es war einer dieser Kriege, der das Schicksal dieses Kontinents maßgeblich geprägt hat.
Und ich stand hier, an dem Ort, der bedeutend für diese Entwicklung war. Unscheinbar und außergewöhnlich zugleich.
Abgesehen davon ist die Aussicht natürlich atemberaubend. Ich blickte auf die Auvergne, mit ihren Vulkankegeln. Eine alte Landschaft, geprägt durch Naturgewalten. Das vergisst man oft, wenn man reist und historische Orte besucht. Einfach mal stehenbleiben und genießen.
Lange währte dieses Glück jedoch nicht, denn schon in der Ferne sah ich die Gewitterwolken auf mich zukommen. Es wurde windiger. Und ich hatte absolut keine Lust, hier oben von einem kräftigen Regenguss überrascht zu werden.
Das Schöne ist, dass der Abstieg immer viel schneller geht als der Aufstieg. Zwar ist er kaum weniger anstrengend, trotzdem läuft es sich rascher. Innerhalb von 20 Minuten war ich wieder beim Faltrad, der Aufstieg von hier hatte sicher eine Stunde gedauert. Dann ließ ich es laufen. Immer den Hügel herunter. Sehr schön.
Ich bin froh, dass ich alles, was ich mir hier vorgenommen habe, doch noch gemacht habe. Zwar war ich gestern und heute noch erschöpft, habe mich aber überwunden. Doch ich weiß, dass ich es nicht lange weitermachen kann, aber das muss ich auch nicht. Morgen schon fahre ich nach Lyon, mit einem Flixbus, dann bin ich praktisch angekommen. Die Reise wird dann in einen Urlaub übergehen, erst drei Tage Lyon, dann über eine Woche Apt. Wir werden es ruhig angehen lassen.
Ich bin auf jeden Fall gespannt und guter Dinge.