Es zieht sich.
Die Nacht verbrachte ich in einem ehemaligen Nachtsalon, so zumindest sah er aus. Zusammen mit vielen anderen Deck-9-Passagieren. Viele davon ähnlich ausgerüstet wie ich, also mit Isomatte und Schlafsack, was eine Übernachtung wahrscheinlich angenehmer machte als in den stickigen Kabinen auf knallharten Matratzen. Wenn nicht diese Beleuchtung gewesen wäre. Es ist wie auf vielen Campingplätzen. Ich weiß nicht, warum alles taghell erleuchtet werden muss. Hier kann ich es noch ein wenig verstehen, wenn auch nicht wirklich. Es ginge auch ohne 100 LED-Lampen. Aber es gibt ja seit Corona Mundschutz. Der lässt sich wunderbar auch über die Augen ziehen. So also verbrachte ich diese Nacht ohne große Anstrengungen. Um elf vielen mir die Augen zu, um fünf schlug ich sie wieder auf. Und war im Grunde wach. Wohl wissend, dass ich einen weiteren Tag auf der Fähre würde verbringen müssen. Zeit spielt also wirklich keine Rolle.

Meine Morgenroutine konnte ich wie üblich durchziehen. Schilddrüsentablette, Kaffee (kalt und instant), Yoga, dann einen griechischen Kaffee (heiß) und Pain au Chocolat (Lidl). Viel ausführlicher, als mir lieb ist.
Und danach hieß es: warten. Stunden.
Die Zeit vergeht dabei manchmal schnell, manchmal langsam. Sie ist schwer zu messen. Ich hörte ein vollständiges Hörbuch von Petros Markaris, den ich sehr schätze, nicht, weil seine Krimis so originell sind, sondern weil er ein feines Gespür für die griechische und, wie in diesem Fall, auch die türkische Gesellschaft hat. Wer besonders die Griechen besser verstehen möchte, sollte diesen Autor lesen. Für uns nicht unwichtig, denn meine Schwester wird demnächst einen albanischen Griechen heiraten. Der auch schon der Vater ihres Kindes ist. Diese Lektüre wird also demnächst noch wichtiger, weil ja ein ganzer Schwung griechische Familie dazukommt.

Irgendwann kam Land in Sicht. Albanien. Ich musste grinsen, denn ich sah eine der Straßen, die ich vor 12 Jahren von einem gewaltigen Bergmassiv heruntergefahren war. Sie schlängelte sich vom Meer aus gut sichtbar nach unten. Oder nach oben, je nachdem, wie man das sieht. Eigentlich ein bisschen schade, dass ich die Fähre von Triest nach Durres zu spät entdeckt habe. Wer weiß, wahrscheinlich hätte ich mich eher dafür entschieden. Egal. Jetzt ist es, wie es ist.
In Igoumenitsa stiegen die meisten Touristen aus. Die Uhr stellte sich eine Stunde nach vorne, wir sind also in Griechenland angekommen, wenn auch noch nicht in Patras. Wahrscheinlich wird es sehr spät, ich rechne eher mit 22 Uhr. Es ist egal, ich habe ein Hotel am Hafen gebucht. Und einen Tag zusätzlich, um Patras zu erkunden. Es scheint mir wichtig, auch in Griechenland langsam anzukommen.
Mal sehen, wie lange wir noch unterwegs sind. Jetzt ist es 19 Uhr.
Und ich hätte gerne ein Glas Retsina.
Na ja, ein paar Stunden werde ich bestimmt noch warten können.
Oder einen Tag, wenn es wirklich spät werden sollte.