Und raus aus der Toskana.
Nicht, dass ich es unbedingt wollte, aber die Route liegt nun einmal so, wie sie liegt.
Ich stand in aller Ruhe auf, gegen sechs, weil das in meinem natürlichen Rhythmus liegt. Dann packte ich zusammen, machte Yoga, war um kurz vor acht reisefertig. Ich hatte keine Ahnung, wann Züge gingen, aber das würde ich schon unten in Montecatini erfahren, dachte ich mir.
Dann zahlte ich die üppige Rechnung. Die mich tatsächlich beeindruckte. Fast 30 Euro die Nacht für ein kleines Zelt. Na ja, irgendwann musste es mich ja erwischen. Halb so wild, ich liege weit unter Budget. Und dass Italien teurer werden würde, wusste ich auch.

Die Fahrt nach unten in die Stadt war ungemein angenehm. Ich hoffte nur, dass ich nichts vergessen hatte, denn sonst hätte ich wieder nach oben schieben müssen. Komisch, dass einem solche Sachen einfallen, wenn man schon unten ist. Vier Kilometer ging es hinab. Dann stand ich am automatischen Ticketschalter. Der nächste Zug ging tatsächlich innerhalb der nächsten sechs Minuten. Ich wählte lieber den späteren um neun, eine halbe Stunde danach also.
Letztlich aber nahm ich doch den frühen. Das Zusammenklappen des Rades ging so schnell, dass ich keine Schwierigkeiten hatte. Und der Zug stand einfach vor mir, hatte etwas Verspätung. Es war alles so einfach.
In Prato musste ich umsteigen. Auch eine Stadt, die ich noch nicht gesehen hatte. Nun also fuhr ich wieder an ihr vorbei. Nichts zu machen.
Und so kam es, dass ich bereits um halb elf in Bologna einfuhr. Ich hatte erst gedacht, dass es tatsächlich eine Großstadt ist, aber es gibt nur ungefähr 350.000 Einwohner. Also ungefähr so viel wie Rennes. Genau die richtige Größe also für mich, fand ich.
Ich packte alles auf das Rad und radelte los. Der Campingplatz liegt ungefähr fünf Kilometer vom Bahnhof entfernt. Am äußersten Ende der Stadt. Also nicht sehr weit. Trotzdem brauchte ich eine Dreiviertelstunde. Ich musste öfter mal nachsehen, ob ich richtig war, fuhr aus Versehen fast auf die Autobahn (!), schaffte aber noch die Wende. Au man.
Und dann war ich da.
Ausgepackt und aufgestellt.

Ich muss sagen, dass der Tag trotzdem schon ziemlich angeknabbert war. Ich bin meistens eher vormittags unterwegs. Und ich stelle fest, dass ich an Orten auch erst einmal irgendwie mental ankommen muss. Diesen Luxus hatte ich heute nicht, denn erstens hatte ich keinerlei Vorräte und zweitens ruft mich eine Stadt immer irgendwie. Also machte ich mich gegen eins wieder auf den Weg.

Dieses Mal brauchte ich vielleicht 20 Minuten, bis ich wieder fast am Bahnhof und somit in der radförmig angelegten Innenstadt war. Ich hatte keinerlei Informationen, habe keinen Reiseführer dabei, daher hatte ich also die Unwissenheit und den Luxus auf meiner Seite, einfach unvoreingenommen durch die Stadt wandern zu können. Starke Sache. Und ich genoss es. Ich gönnte mir ein Stück Pizza, die es überall gibt, der Hunger war physisch gestillt, der mentale auf eine interessante Stadt ebenfalls.
Ich wanderte einen majestätischen Boulevard entlang, mit eindrucksvollen Häusern, grandesque, herrschaftliche Gebäude, bis ich zum Piazza Majore kam. Den Neptunbrunnen sah ich mir eine Weile interessiert an. Aus den Brüsten der weiblichen Fantasiegestalten, wahrscheinlich Meerjungfrauen, ergoss sich Wasser. Ein dreistrahliges Erlebnis. Ich fand es ungemein witzig. Die prüden Italiener zu der Zeit haben sich also etwas geleistet.

Der Platz ist wirklich großartig und wird zurzeit wohl auch für ein Kinofestival genutzt. Stuhlreihen waren aufgebaut, ebenfalls eine große Leinwand. Ohne diese Aufbauten muss hier eine endlose Weite herrschen.
Die Kathedrale hatte geschlossen, Mittagspause, ich würde sie später besichtigen.
So also hatte ich Zeit für einen Bummel. Was mir ebenfalls auffiel: Bologna hat unfassbar viele Arkadengänge. Man wandelt fast immer im Schatten unter grandiosen Bögen hindurch. Ich weiß gar nicht, was ich alles sah, ob mittelalterlich, Renaissance oder Moderne. Jeder wird sich hier mal verewigt haben. Die Stadt gab es ja schon vor den Römern. Die Architektur wirkte jedenfalls einer größeren Stadt angemessen. Sie muss mal ziemlich reich gewesen sein. Ob sie es noch ist, kann ich nicht sagen, den Straßen nach zu urteilen eher nicht. Aber die sind hier überall schlecht. Zum Radfahren nicht gerade geeignet.
Ich trank irgendwo in einer Bar einen schnellen Espresso, dann wanderte ich weiter, genoss die Innenstadt. Ich erreichte einen krummen mittelalterlichen Turm. Schmal und hoch, keine Ahnung, wie hoch. Vielleicht laufe ich morgen mal hinauf.
Auf einem weiteren Platz ruhte ich mich aus, ich glaube, die Universität war nicht weit. Jedenfalls schien mir das Publikum ziemlich jung, Touristen gab es auch nicht viele. An Bologna werden die meisten vorbeifahren, auf dem Weg nach Florenz oder Rom. Mir ist es recht.
Dann endlich konnte ich in die Kathedrale. Sie erschien mir von innen nicht so alt, wie ich gedacht hatte. Außen ist die Marmorfassade nur zur Hälfte fertig. Da ist wohl jemandem das Geld ausgegangen. Passiert, passiert. Jedenfalls, wenn ich mich recht entsinne, wirkte die Kathedrale auf mich rot-braun, denn das ist die Farbe der Steine, aus denen die Verkleidung innen gemacht ist. Ebenfalls entdeckte ich ein foucaultsches Pendel. Und musste gestehen, dass ich keine Ahnung hatte, was das eigentlich ist. Ich habe den Roman gelesen. Von Umberto Ecco. Aber das ist 20 Jahre her. Ich muss mal nachlesen. Jedenfalls hat es etwas mit der Erdbewegung zu tun.

Und irgendwie war es auch schon später Nachmittag. Ich hatte die Zeit also mit Staunen und Lustwandeln verbracht, ohne dass ich genau sagen konnte, was ich genau gesehen hatte. Die Atmosphäre habe ich aufgesogen, hatte nicht den Eindruck, in einer überlaufenen Touristenstadt gewesen zu sein, sondern in einer lebendigen, in der Leute heute noch immer leben. Und zwar nicht für den Tourismus.
Morgen werde ich mal etwas mehr lesen, bevor ich mich auf den Weg mache. Mal sehen, was ich heute schon entdeckt habe, das weiß ich dann morgen besser.
Und es geht weiter. Jeden Tag ein bisschen mehr. Dabei fällt mir ein, dass die Hälfte der Reise bereits beendet ist. Ich glaube, am Ende wird sie genau die richtige Länge haben. Die Tage werden schon langsam wieder etwas kürzer, kaum merklich, außer von mir. Im September dann werde ich aber damit beginnen, die Helligkeit zu vermissen. Und dann ist es auch Zeit heimzukehren. Heimzukehren in eine ungewisse Zukunft. Mir macht das inzwischen weniger Angst, als ich gedacht hätte. Nun, so ist es nun einmal.
Wir werden sehen, was kommt.