Ein merkwürdiger Tag.
Ich hatte mir gestern vorgenommen, sehr früh aufzustehen, um einen frühen Zug zu nehmen. Ich habe nichts recherchiert, wusste nicht, wann Züge fahren würden. Aber es würde sicher gehen. Das stimmte auch, es geht schließlich alles.
Um halb sechs war also die Nacht zu Ende. Es war anstrengend gewesen, unruhig, der Schlaf hatte nicht durchgehend kommen wollen. Das Aufstehen fiel mir daher schwer, als der Wecker schließlich klingelte. Fast hätte ich ihn abgestellt und weitergeschlafen. Da aber der Schlaf weiterhin unruhig war, stand ich gerädert auf. Ich war nicht in Form, das stand fest. Alles dauerte länger als sonst. Letztlich hatte ich gegen sieben alles gepackt, machte mich reisefertig, sodass ich eine halbe Stunde später aufbrechen konnte. Es war nicht so früh, wie ich gehofft hatte, aber immer noch früh genug. Dachte ich. Ich radelte also nach Vicenza zu Bahnhof. Die Stadt gefiel mir auch am zweiten Tag, die Bögen der Arkaden, die herrlichen bunten Häuser, so italienisch, so elegant. Die Straßen aber waren grauenhaft, ich wich Schlaglöchern aus. Auch hatte der Wahlkampf begonnen. Die hässliche Fratze Salvinis grinste mir am Bahnhof von einem Bildschirm entgegen. Die Italiener und der Faschismus. Nie aufgearbeitet, weiterhin vergöttert. Was ich mit diesen rechtsradikalen Typen machen würde, möchte ich hier nicht schreiben. Sie verdienen eigentlich alle das gleiche Schicksal.
Und dann stand ich vor dem Automaten und wollte das Ticket kaufen. Ich hätte sofort fahren können. Für 70 Euro. Oder eine Stunde später für 80. Oder um zehn. Für 10 Euro. Und dafür entschied ich mich natürlich.
Ich war also um halb sechs aufgestanden, um dann am Ende am Bahnhof zwei Stunden auf den Zug warten zu müssen. Zum Glück bin ich das Warten inzwischen gewohnt. Stoisch ertrage ich das Vergehen der Zeit, das auch immer eine Möglichkeit für Reflektion bietet. Ich hörte mein Hörbuch über das Leben von chassidischen Juden. Eine faszinierende und fremde Welt zugleich, mit Regeln, von denen ich mir nicht einmal vorstellen möchte, sie befolgen zu müssen. Ist Freiheitsdrang angeboren oder wird er anerzogen? Wäre ich ein gutes jüdisches Mitglied einer strengen religiösen jüdischen Gemeinde gewesen? Kein Fernseher, kein Fahrrad, arrangierte Heirat, Kinder, solange die Frau es aushalten kann. Ich weiß es nicht. Es ist schwer, so etwas aus der Ferne beurteilen zu wollen. Aus meinem Standpunkt heraus, aus einem Leben also, das im Grunde das Maximale aus einem Freiheitsbegriff herausholt, ohne die Freiheiten von anderen einzuschränken. Ich bin wirklich gespannt, wie diese Geschichte weitergeht. Ob Menschen auch innerhalb der strengen Regeln für sich Nischen von Freiheit finden können. Mal sehen, ich bin gespannt.
So also verbrachte ich meine Zeit, bis der Zug um Zehn einfuhr. Ich habe inzwischen Routine darin, das Gepäck zu verstauen. Die Leute hier sind unglaublich nett, sie helfen mir immer, sei es, in dem sie Platz machen oder sogar einfach mit anpacken. Es sind oft die kleinen Gesten der Höflichkeit, die mich wieder ein wenig an die Menschheit glauben lassen.
In Verona kamen wir pünktlich an, die halbe Stunde zum Zugwechsel brauchte ich auch irgendwie. Der Zug in Richtung Bozen war ziemlich voll, viele Leute hatten ihre Fahrräder dabei. Man arrangiert sich, es geht schon immer irgendwie. Auch ich fand Platz, es war kein Problem.
Letztlich fuhr ich gar nicht bis Rovereto, sondern stieg eine Station vorher aus, in Mori, weil es schlichtweg näher an meinem Bestimmungsort lag. Eines machte die Reise heute anders, ich wusste lange nicht, ob ich überhaupt herkommen wollte. Aber als ich die Berge sah, die mit dichten Baumkronen bedeckten Gipfel, wusste ich, dass ich instinktiv richtig gehandelt hatte. Es würde teuer werden, die Campingplätze kosten das doppelte von dem, was die Griechen berechnen. Aber so ist es nun einmal, ich kann jetzt die letzten Tage der Reise genießen, hier, im Gebirge, ein neues Gefühl also. In Mori stieg ich also aus, OsmanD hatte einen Campingplatz ein paar Kilometer in Richtung Gardasee ausgespuckt. Ich wusste nicht, was mich erwarten würde, ich radelte also einfach hin. Ein einfacher Platz, mit Obstplantage dran und drumherum, inmitten der Bergwelt. Es war herrlich. Die Straße ist ein wenig nah, aber das werden wir sehen. Ich sitze gerade seit drei Stunden im Garten, habe noch gar keinen Platz, es macht aber auch nichts. Es eilt nicht. Wirklich nicht. Ich frage mich gerade, ob ich vielleicht von der Provence aus eher in die französischen Alpen hätte fahren sollen. Meine Reise wäre vollkommen anders gewesen. Berge haben kaum eine Rolle gespielt. Dabei ziehe ich sie jedem Meer vor. Nun, es kam anders und das war auch gut so, die nächste Reise aber mache ich anders, eher gebirgig. Aber das werden wir sehen.
Ich denke nicht, dass heute noch viel geschieht. Muss es ja auch nicht. Ich habe immer noch das Gefühl, gar nicht richtig angekommen zu sein, mit den Gedanken zum Teil noch in Griechenland zu verweilen. Das macht die Reise gerade etwas anstrengend. Aber es wird schon werden, dessen bin ich mir sicher. Das Ankommen ist wichtig, es ist witzig festzustellen, dass auch ich mich akklimatisieren muss. Das war früher leichter. Aber so ist das mit Lebensabschnitten.
So, jetzt melde ich mich mal an. Das Zelt muss trocknen. Und ich möchte einkaufen.
Ich bin gespannt, welche Abenteuer ich hier erleben kann. Zum Gardasee möchte ich eigentlich nicht. Ist es zu heiß, um zu wandern? Mal sehen. Morgen werde ich näheres wissen. Und berichten.