Es war die erste Nacht seit ungefähr drei Monaten, in der ich nachts mal wieder etwas gefroren habe. Frieren ist übertrieben, eher gefröstelt und den Schlafsack mal benutzt. Es war himmlisch. Nach heißen tropischen Nächten in Frankreich, Italien und Griechenland endlich wieder die normale Kühle.
Morgens war ich erstaunt, dass ich eine Strickjacke brauchte. Und eine lange Hose. Das Gefühl kenne ich gar nicht mehr. Natürlich ist der Hochsommer langsam beendet und geht in den Spätsommer über. Und ich halte mich im Gebirge auf. Das alles hilft.
Jedenfalls hatte ich ja bis gestern Zweifel daran, überhaupt hierherkommen zu wollen. Es schien mir eher wie eine Notlösung. Aber als ich endlich angekommen war, alles aufgebaut hatte, war es mehr als perfekt. Es gibt manchmal seltene Momente auf Reisen, in denen ich verstehe, warum ich an einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort bin. Es ist sogar so, dass ich überlege, hier vier oder fünf Tage zu bleiben, trotz der horrenden Preise auf dem Campingplatz. Die sind wahrscheinlich sowieso woanders nicht günstiger. Mit 25 Euro pro Nacht muss man leider rechnen. Das hatte ich fast vergessen. Italien ist lange nicht so günstig wie Frankreich oder Griechenland.
Gestern jedenfalls nahm ich mir noch zwei Stunden, um nach Mori zu fahren. Es gibt so etwas wie eine Altstadt. Das italienische Gefühl bei den Bauwerken trägt hier nicht mehr, es sieht alpin aus. So wie in Füssen oder Innsbruck.
Die Häuser sind teilweise bemalt, und auch wenn sie an sich nicht anders wirken als in der Toskana, ist das Gefühl alpin.
Von unten sah ich eine Kirche mit einer gewaltigen Uhr, ungefähr 150 Meter über mir, drohend auf einem Felsen hockend. Den Wanderweg dazu fand ich sofort, es sollten 15 Minuten Aufstieg sein. Kein Problem, allerdings hatte ich nur Badelatschen an. Ich wagte es trotzdem. Und ein Wagnis wurde es. Es war kein langer Weg, aber ein unebener, mit Steinen und rutschigen Passagen. Ich musste lächeln, denn einmal wieder hatte ich falsches Schuhwerk an.
Trotzdem erreichte ich die kleine Kirche. Es war herrlich. Die Bergwelt lag vor mir, das Tal zu meinen Füßen. Die Luft flimmerte in der Hitze, die Sonne schien weiterhin grell und intensiv, dabei war es bereits später Nachmittag. Wenigstens hatte ich den Tag noch etwas genutzt. Es war ein glückliches Gefühl.
Gegen halb acht am Campingplatz verschwand übrigens die Sonne hinter den Bergen. Und läutete so die Nacht ein. Es wurde tatsächlich kühler. Den Rest der Geschichte kennen wir.
An diesem Tag wollte ich Rovereto erkunden. Eine Stadt, die nach etwas Recherche mehr versprach, als ich vorher angenommen hatte. Die Tour ist ungefähr 10 Kilometer lang, ab Mori dann auf einem Radweg entlang des Flusses. Sehr schön. Ich wusste, dass ich das Zentrum erreicht hatte, als ich in eine verkehrsberuhigte Zone vorstieß. Es war Markttag, das Gassengewirr der Altstadt war angefüllt mit Ständen. Gemüse, Grillzeug, Käse, das Meiste aber Kleidung. Es war kein überbordendes Gewimmel, sondern im Grunde recht leer. Vielleicht sind viele noch im Urlaub.
Ich ging durch die Stadt, genoss es, wieder so etwas wie urbane Kultur erleben zu können. Was für ein Unterschied zu Griechenland, zu Patras oder Kalamata. Hier war es ruhig, kein Geknatter von Mopeds. Die Leute saßen um diese Zeit, ungefähr zehn Uhr, in den Cafés und frühstückten. Die Stadt glich ein wenig Mori, das ich gestern besucht hatte. Nur viel verwinkelter und auch grandioser. Ist ja auch größer. Die Barockkirchen sah ich mir nicht an, es genügte mir, mich draußen aufzuhalten und zu schlendern. Ich lief von einer Seite der Stadt zur anderen. Und suchte … die Museen. Für mich stand fest, dass ich eines besuchen würde. Aber nicht an diesem Tag. Für das MART, das Museum für moderne Kunst, will ich mir einen Tag nehmen. Es muss einzigartig sein. So zumindest steht es auf Wikipedia. Nach der Trümmertour in Griechenland wird es erfrischend sein, so etwas zu erleben. Ich fand es übrigens zuerst nicht, sondern das Museum Casa d’arte futurista Depero. Es muss ein Ableger sein. Das MART befindet sich am anderen Ende der Stadt, die ich wieder durchquerte. Wenigstens bekam ich auf diese Weise eine Menge zu sehen, kam an Plätzen und auch einem Boulevard vorbei. Mit Springbrunnen und Prachthaus oder Palazzo, der leider renoviert wird. Er ist vollständig mit Fresken bedeckt, so viel konnte man erkennen. Ein Teil davon ist auch noch sichtbar, aber nicht der, der an den Boulevard grenzt.
Ungefähr 500 Meter weiter befindet sich das MART. Schon das Gebäude ist interessant, ein gläsernes Gewölbe, das mich an das Sony Center in Berlin erinnert, umschließt die Eingangshalle. Dieses Museum werde ich übermorgen besichtigen. So viel steht jetzt schon fest. So soll es sein.
Anschließend setzte ich mich kurz in den nahen Park. Ich weiß nicht, warum ich im Moment so schnell erschöpft bin. Hatte ich Corona? Werde ich alt? Jedenfalls tat es mir gut zu sitzen. Vielleicht ist es immer noch die Überfahrt nach Italien. Oder die erschlagenden Eindrücke verschiedener Kulturen, die mich zu sehr beanspruchen.
Ich versuchte also, mich nicht zu überfordern, lunchte auf einer Bank in der Stadt, bevor ich noch einen Espresso trank. Gegen halb zwei hatte ich genug und radelte zurück zum Platz, wo ich mich seither ausruhe. Ich habe es nötig, auch wenn es mich wundert. Ich bin müder als sonst, meine Energie scheint aus mir herauszusickern. Vielleicht sollte ich das einfach akzeptieren. Und die Dinge nehmen, wie sie kommen.
Morgen werde ich jedenfalls versuchen, ein bisschen zu wandern. Ist mal etwas Neues.
Vielleicht bekomme ich so meine Energie zurück.