Und es geht weiter.
Um sechs stand ich standardmäßig auf. Ich wusste, dass ich Zeit hatte, denn die Züge nach Ravenna fuhren stündlich. Yoga ließ ich heute aus, ich bewege mich derzeit nun wirklich genug, packte in Ruhe zusammen. Wenn ich mich wirklich beeilen würde, das Frühstück weglassen und einfach losgehen, könnte ich es bestimmt in einer halben Stunde schaffen. Aber warum?
Jedenfalls war ich um halb acht bereit abzufahren, wollte eigentlich den Zug um kurz nach neun erwischen.
Ich bekam sogar den um kurz nach acht. Und das ziemlich bequem. Auch das Ticketlösen und das Finden des richtigen Gleises dauert im Zweifelsfall nur wenige Minuten. Das Rad klappe ich inzwischen immer erst im Zug zusammen, ist einfacher beim Transport.
Der Zug war gerappelt voll (warum eigentlich gerappelt? Ist das ein Ding?)
Aber ich saß ganz gut auf einem Klappsitz, unter mir das Gepäck, neben mir das Rad, das eigentlich wirklich wenig Raum einnimmt. Und so kam es, dass ich um Viertel nach neun in Ravenna ankam.

Hätte ich mich jetzt nicht verfahren, sondern den teuren Radzusatz, einen Handyhalter, den ich gestern bei Decathlon erworben hatte, benutzt, wäre ich noch viel früher auf dem Platz gewesen. So aber drehte ich eine große Runde über Classe, einem Ort bei Ravenna. Vielleicht fünf Kilometer Umweg. Mit Rad also kein Problem.
Manchmal sind es ja die Umwege, die einen dann auf Außergewöhnliches stoßen lassen. Nun, ich weiß das natürlich (noch) nicht. Jedenfalls kam ich an einer wunderbaren Kirche vorbei, Santa Appolinare. Eine der großen Kirchen in der Gegend um Ravenna. Und das will etwas heißen. Ich habe sie noch nicht besucht, mache das aber morgen, wenn ich aus Ravenna fortfahre. Das habe ich jedenfalls vor.
Dank des Umweges bin ich also auf eine weitere schöne Attraktion gestoßen. Und viel Zeit hat es mich auch nicht gekostet.
Gegen halb elf war ich dann jedenfalls nicht nur auf dem Platz, sondern hatte auch das Zelt und alles Weitere aufgebaut. Vollkommen installiert. Dann Lunch.
Ich überlegte, was ich machen wollte. Zwei Tage Ravenna? Vielleicht zum Meer?
Ach was. Nach Ravenna.

Es sind auch nur vier oder fünf Kilometer, auf flacher Strecke. Vielleicht eine Viertelstunde auf dem Rad. Um halb eins war ich also wieder da. Mein Besuch begann in der Basilika San Appolinare Nuovo. Es war ein wenig kompliziert. Denn es gab zwei Kombitickets für die Sehenswürdigkeiten. Eines mit dreien, das andere mit fünf Attraktionen. Das Problem nur: Für die beiden zusätzlichen braucht man Termine. Und da wird es bei mir kompliziert. Denn ich wollte meinen Besuch auf zwei Tage strecken. Klasse. Also einen Termin heute, den anderen morgen. Wie ich gestern schon beschrieb, bin ich kein Freund von Terminen. Nicht im Geschäftsleben, nicht auf Reisen. Beides engt mich irgendwie ein. Man kommt ja zu nichts. Letztlich war es nicht so wichtig, wie ich feststellen würde.
Ich begann natürlich mit S. Appolinarte Nuovo gleich nebenan. Es sind Kirchen aus der frühen Zeit des Christentums, irgendwo zwischen dem Fall des römischen Reiches und dem frühen Mittelalter. Ravenna ist bekannt für seine Mosaike. Ich war Mitte der 90er hier. Sehr lange Zeit. Aber dunkel erinnerte ich mich. In dieser ersten Kirche jedenfalls bewunderte ich diese Mosaike, die mit zu den ältesten aus der christlichen Welt zählen. Geschichten aus dem neuen Testament, ich erkannte nur die eine Seite, die eindeutig die Leidensgeschichte von Jesus erzählte, angefangen mit dem Abendmahl bis hin zur Auferstehung. Glaube ich. Jedenfalls liegen diese Mosaike so hoch, dass ich eigentlich ein Fernglas gebraucht hätte. Kein Witz, jemand neben mir hatte tatsächlich eines. Und recht hatte er. Jedenfalls schimmerten die Mosaike golden. Ob Gustav Klimt sich in seiner goldenen Phase davon hat inspirieren lassen? Ich könnte es mir denken.
Jedenfalls sind viele Heilige in Reihen dargestellt, mir kam es so vor, als wäre das alles griechisch-orthodox. Vielleicht stimmt es sogar, denn m. E. war das Schisma der Kirchen später, sodass Byzanz hier noch ordentlich eingewirkt haben mochte.

Nach meinem Besuch lief ich einfach in Richtung Zentrum, folgte aber dem Stadtplan. Denn irgendwie drohte der Termin, auch wenn der noch eine Stunde entfernt lag.
Dabei kam ich durch das Zentrum Ravennas. Ich konnte mich nicht daran erinnern, aber es ist tatsächlich schon alleine lohnenswert. Der Piazza del Popolo ist weit und einladend, so wie die vielen Restaurants, die sich natürlich hier befinden.
Einen weiteren Schatz fand ich noch zufällig, die überdachten Märkte. Ich liebe es. Sie sind nicht so ausufernd wie in Frankreich, eher Gourmettempel. Aber das ist auch gut. Der Stand mit der frischen Pasta hatte es mir angetan. Das würde ich auch gerne öfter machen. Und diese Pastastücke, Ravioli, Tortellini, Spaghetti, und was es sonst noch alles gibt, sahen jedenfalls hervorragend aus. Ich müsste dort mal ein paar Tage in die Lehre.
Nun aber wollte ich mich etwas beeilen. Warum wusste ich auch nicht so genau. Der Termin war noch weit weg.
Als ich die Basilica S.Vitale und das Mausoleum der Galla Placidia erreichte, fragte mich die Wärterin, ob ich meinen Termin im Mausoleum gleich wahrnehmen wollte. Ich wollte.
Es war also vollkommen egal. Einfach hingehen. Es hält sich sowieso niemand dran.

Das Mausoleum sah von außen aus wie ein Klotz aus roten Backsteinen. Nicht unbedingt klobig, das wäre zu viel gesagt. Eher schlicht.
Das Innere hingegen ist alles andere als schlicht. Herrliche, aber, wie ich finde, auch ungewöhnliche Mosaike, konnte ich bewundern. Alles ist in Blau gehalten, die Figuren völlig einzigartig, also so etwas in der Art hatte ich noch nicht gesehen. War das noch römische Kunst? Oder byzantinische? Eine neue Richtung? Es ist nicht so, dass ich Experte wäre. Aber hier und da habe ich schon antike Mosaike gesehen. In dieser Kammer, die wohl eher Kapelle als Gruft gewesen ist, standen trotzdem Sarkophage aus Marmor. Noch in römischer Tradition, aber mit christlichen Motiven. Es ist ein außergewöhnlicher Ort, das steht fest. Auf nur wenigen Quadratmetern konnte ich die ganze Kunstfertigkeit von einem Jahrtausend bewundern. Und perfekt erhalten. Ich glaube nicht, dass jemand daran herumgepfuscht hat.

Die dritte Attraktion des heutigen Tages war die Basilika S. Vita. Ein ebenso ungewöhnliches Bauwerk, außen aus rotem Backstein. Ein perfektes Oktagon. Und außen mit einer Art Stützpfeilern, die mich an Notre Dame in Paris erinnerten. Hatten also Architekten schon im fünften oder sechsten Jahrhundert eine Möglichkeit gefunden, die Kräfte, die auf den Mauern lasteten, auf diese Pfeiler auszudehnen? So wie in der Gotik? Das wäre natürlich fast schon komisch, wenn man sich an die fensterlosen romanischen Kirchen erinnert, bei denen das Gewicht des Daches vollständig auf den Mauern lastet. Weshalb sie keine Fenster haben konnten. Oder nur kleine.
Innen aber warteten wieder Mosaike der Superlative auf mich. Ich tue mich schwer damit, sie zu beschreiben. Die Gesichter wirken auf mich eher orientalisch, das Römische war hier mehr zu sehen als woanders. Kein Wunder, die Künstler damals waren nicht so weit weg von der Antike. Kunstfertigkeiten werden im oströmischen Reich weitergelebt haben. Und es geht das Gerücht, dass ein Architekt aus Byzanz dieses Bauwerk erschaffen hat. Sein Name ist im Nebel der Geschichte verloren gegangen.
Leider haben sich hier auch Herrschaften aus anderen Jahrhunderten verewigt. Ich weiß nicht, ob dieses ganze Oktagon mit der unfassbar hohen Kuppel in der Mitte mit Mosaiken besetzt gewesen ist. Jedenfalls war sie mal vollständig mit Marmor verkleidet. Heute sind es nur noch Bruchstücke, die erhalten sind, das meiste besteht aus besagten roten Ziegeln. Und die barocken Malereien waren auch nicht gerade nach meinem Geschmack. Das Gebäude selbst aber ist ungewöhnlich. Sehr hoch, sehr luftig. Erhaben würde ich sagen. Es wirkt von innen jedenfalls höher als von außen, wo es irgendwie einen kompakteren Eindruck macht.
Ich gebe mir hier Mühe, etwas zu beschreiben, von dem ich eigentlich keine Ahnung habe, könnte natürlich jetzt Reiseführer abschreiben, aber das will ich nicht. Ich sehe, was ich sehe. Ohne voreingenommen zu sein.

Nach diesem Besuch flanierte ich weiter durch die Altstadt, die zu einem großen Teil aus einer Fußgängerzone besteht. Ich empfinde sie als entspannt und charismatisch. Keine engen Gassen, eher kleine Straßen. Hin und wieder nette Plätze. Und plötzlich stand ich vor dem Grabmal von Dante. Das hatte ich wirklich vergessen. Er ist hier gestorben. Und begraben. Aus irgendeinem Grund habe ich die Verbindung zwischen ihm und seinem Konterfei auf Touristen-T-Shirts nicht geschlagen. Aber da war es nun. Eine kleine marmorne Kapelle. Sehr schön.

Heute habe ich nur einen Teil der Attraktionen gesehen. Morgen dann mehr. Zwei Tage sollten für das Wichtigste reichen. Aber es reicht ja eigentlich nie, wie ich auch in Bologna festgestellt habe. Hier ist es allerdings wesentlich ruhiger.
Ach ja, ich habe tatsächlich mein Ticket für meine Überfahrt nach Griechenland gebucht. Ich habe in den letzten beiden Tagen doch mit mir gerungen. Sollte ich es machen? Vielleicht nicht?
Ich mache es jetzt. Und damit steht der letzte Schritt meiner Reise fast schon fest. Einen Monat Griechenland. Ich komme jedenfalls weiter als ich gedacht habe.
Ich muss darüber lachen. Es fühlt sich jedenfalls natürlich an.
Neither here nor there. Das beschreibt mein Leben ganz gut.