Viel gibt es nicht zu erzählen.
Es war ein halbwegs anstrengender Tag, an dem ich den Standort wechselte. Am Abend zuvor hatte ich ein Ticket gebucht, den Nachmittagszug von La Rochelle in Richtung Bordeaux, der mich auch an Saintes, meiner nächsten Etappe, vorbeiführte.
Erst einmal aber musste ich zum Bahnhof nach La Rochelle gelangen. Das ging nur durch eine ca. 30 Kilometer lange Radtour. Alles nicht so schlimm, die war ich vor drei Tagen schon einmal gefahren. Es kam mir vor wie gestern. War ich tatsächlich drei Tage hier gewesen? Auf dieser lieblichen Insel, auf der man so gut Rad fahren wie essen kann. Beinahe hatte ich etwas Kykladen-Feeling. Aber dazu war es dann doch schon zu betriebsam. Und ich zu kurz hier. Auf den Kykladen bleibe ich meistens mindestens fünf Tage auf einer Insel, in manchen Fällen auch wesentlich länger. Auf Sifnos kann ich mich bequem zwei Wochen am Stück aufhalten. Aber hier, auf meiner langersehnten Reise, gönne ich mir diesen Luxus der Lässigkeit nicht. Zumindest noch nicht.
Also stand ich für meine Verhältnisse spät um sieben auf, vorher hatte ich es einfach nicht aus dem Bett geschafft. Ich machte Yoga, frühstückte, so wie sonst auch.
Dann packen. Immer wieder erstaunlich, wie viel Zeug ich dabei habe. Ist es zu viel? Jedes Stück ist allerdings handverlesen, es gibt nichts, das ich nicht verwende. Ich sehe oft andere Radreisende, die wesentlich leichter reisen. Aber sind ca. 15 Kg wirklich zu viel für eine Reise von ca. vier Monaten? Ich weiß es nicht. Ich finde, dass ich nur das Nötigste mithabe. Und ein paar Nice-to-Haves. Aber nichts Außergewöhnliches.
Jedenfalls schaffte ich es, gegen neun abzufahren. Der halbe Campingplatz verabschiedete mich. Keine Ahnung warum, wahrscheinlich waren sie froh, dass dieser Yogi, der ihnen allen ein schlechtes Gewissen machte, endlich abfuhr und seine Flows woanders abhält. Das ist natürlich Quatsch. Ich hatte eher das Gefühl, dass sie alle den Sonderling verabschiedeten, der als Ü50er mit Faltrad und Zelt unterwegs ist, statt mit bequemem Wohnmobil. Nun, so habe ich es vor zwölf Jahren gemacht. Jetzt eben anders.

Natürlich brachte ich es fertig, mich auf der kleinen Île de Ré zu verfahren. Irgendwann war ich fast in St. Martin. Ich hatte eigentlich die Küste im Süden entlangfahren wollen. Ich passierte eine weitere kleine Stadt, La Flotte, und entschied, lieber auf dieser Strecke zu bleiben, auch wenn sie ein paar Kilometer länger war. Zeit hatte ich zur Genüge. Kraft eher weniger, aber ich hielt durch. Die Brücke erreichte ich nach etwas weniger als anderthalb Stunden. War die immer so steil am Anfang? Mir kam es wie eine Bergtour vor. Aber ich radelte, stieg nicht ab. Immerhin. Nach der Hälfte ging es naturgemäß bergab. Jetzt hechelten die anderen Entgegenkommenden hoch, wenn sie keine elektrische Unterstützung hatten. Die meisten aber fahren inzwischen E-Bike. Noch nie habe ich so viele auf einem Haufen gesehen wie hier. Ich war auch wegen der verlorenen Zeit vollkommen ruhig. Ich hatte das auch alles mit eingeplant.
Letztlich verfuhr ich mich, nachdem ich die Brücke in Richtung La Rochelle passiert hatte, was kaum etwas ausmachte. Irgendwann erreichte ich den Park, den ich vor vier Tagen auf meinem Besuch hier zum Ausruhen gebraucht hätte. Es war gerade einmal halb zwölf. Also zog ich meinen Lunch vor, setzte mich auf eine Bank und ließ die Zeit verstreichen. Einen Kaffee bekam ich leider nicht, den wollte ich später am Bahnhof trinken, aber alles hatte zu. So wartete ich geduldig auf meinen Zug, der pünktlich um Viertel vor zwei ankam.
Tatsächlich packte ich das Rad in eine Hülle, denn so wollen es die Vorschriften. Es ist unhandlich. Aber niemand kam und kontrollierte. Nach einer Dreiviertelstunde erreichten wir Saintes. Und da bin ich nun auf dem Campingplatz.

Es ist eigenartig. Vor 24 Jahren war ich schon einmal hier. Es ist eine alte Römerstadt, die ich morgen etwas eingehender besichtigen werde. Vorhin war ich kurz in der Stadt, habe den Triumphbogen fotografiert. Und ein wenig den Fluss Charente vorüberziehen sehen. Nur einkaufen, dann wieder zurück. Mehr nicht. Aufgrund der 30 Grad heute reicht mir das auch. Ich werde jetzt noch etwas Yoga machen, dann eine Pizza essen, die es fertig bei LeClerc gab. Meine erste seit drei Wochen. Na ja, das ist nicht so schlimm.
Ich habe versucht, mich zu erinnern, aber ich weiß nicht mehr, wo ich vor 24 Jahren auf dem Campingplatz stand. Oder warum ich auf meinem Weg nach Spanien hier zwei Tage geblieben bin. Es schien mir damals nichts auszumachen. Machte es ja auch nicht. Warum ich allerdings damals nicht in Frankreich geblieben bin, dem Land also, in dem ich studiert habe, kann ich auch nicht sagen. Stattdessen bin ich über Portugal bis nach Cadiz und wieder zurückgefahren. Und kann mich kaum an die Route erinnern. Das wurmt mich etwas. Die meisten meiner Reisen, selbst die, die zwei Jahrzehnte zurückliegen, kann ich noch eruieren. Alles, was länger her ist, scheint nur noch verschwommen in meiner Erinnerung. Na ja. Nicht so schlimm, es liegen lange Jahre und viele Erfahrungen dazwischen. Mein Besuch hier in Saintes ist definitiv keine Romantisierung, auch wenn ich zugeben muss, dass ich die Stadt mag. Sie liegt einfach gut auf meinem Weg ins Innere Frankreichs. Von Bordeaux aus wollte ich das nicht schon wieder angehen, das habe ich bereits 2016 und 18 getan. Also mache ich es von hier aus.
So, nun werde ich sehen, was der Abend bringt. Und die nächsten Tage.