Nicht viel passiert heute.
Um halb sechs war die Nacht beendet. Der Rücken. Ich habe den Eindruck, dass es langsam besser wird, weiß aber aus Erfahrung, dass es einige Tage dauern wird, bis es zumindest halbwegs nachlässt. Ich ließ also die Yoga-Session heute Morgen aus, ich hätte mich sowieso kaum rühren können. Lieber eine der teuren Ibus. Danach ging es auch gut.
Ich packte und brach kurz vor sieben auf. Die Fahrt nach unten zum Bahnhof war natürlich rasant. Klar, 300 Höhenmeter, verteilt auf vier Kilometer, da bleibt kein Auge trocken. Schon gar nicht bei diesem Fahrtwind. Es war schön und erfrischend, aber in die Pedale treten musste ich nicht ein einziges Mal. Als ich am Bahnhof ankam und mein Ticket löste, verpasste ich den Zug um 7:16 um vielleicht eine Minute. Eine Stunde warten. Das hätte ich wirklich besser timen können.
Letztlich war es aber vollkommen egal, eine halbe Stunde später stand der nächste bereit, ich hatte also genug Zeit, alles zu packen und zu verstauen, keine leichte Aufgabe mit einem Faltrad. Aber so ist das.

Die Fahrt nach Venedig Mestre dauerte ungefähr zwei Stunden. Vom Zug aus sah ich kurz Miramare. Ich denke, das nächste Mal werde ich es mir ansehen, zumindest den Park.
In Venedig hatte ich erst Schwierigkeiten, mich zu orientieren. OsmanD schien auch nicht sicher. Letztlich entschied ich mich dafür, einfach den Tunnel unter dem Bahnhof zu nehmen, um auf die andere Seite zu gelangen. Alles andere schien kompliziert.
Und dann radelte ich. Es war unangenehm. Irgendwann befand ich mich auf einer Schnellstraße in Richtung Fusina, neben mir die donnernden Lastwagen. Venedig ist so schön, seine Umgebung aber unfassbar hässlich. Es wurde optisch noch schlimmer, aber darauf war ich vorbereitet. Fusina. Das Industriegebiet im südlichen Teil der Lagune. Teils Ruinen, teils wohl noch in Betrieb. Ich hatte auch nicht gerade die schönste Straße gewählt, sondern die, die auf das Fährterminal führte. Es war beängstigend, der Verkehr mörderisch. Auch wenn es nicht voll war, zuckte ich jedes Mal zusammen, wenn ein LKW einige Zentimeter von mir entfernt beschleunigte. In Italien ist wirklich alles auf LKWs und PKWs ausgerichtet. Schlimmer als in Deutschland, und das will etwas heißen. Das Fährterminal erreichte ich gegen elf. Und danach wurde alles ganz leicht. Ich wollte mich vergewissern, dass das auch der Fährhafen war. Denn ganz sicher war ich mir nicht gewesen. Aber es war, wie es war. Das Ticket hielt ich eine Minute später in den Händen. Es war alles gut.
Ich überlegte, ob ich zum Camping Serenissima zurückfahren oder doch auf dem nahen Camping Fusina nächtigen sollte. Ich entschied mich für letzteres. Es ist einfacher. Näher. Und ich muss mich morgen ganz sicher nicht dermaßen beeilen. Der Platz liegt nicht nur neben den Fabriken, sondern auch in der Einflugschneise des Flughafens. Aber diese Last fällt wohl jedem Gebiet hier zum Opfer, denn der Flughafen übertönt alles.

Und das war es im Grunde. Ich radelte noch zehn Kilometer bis zum nächsten Supermarkt, deckte mich für die 35-stündige Überfahrt ab morgen einigermaßen mit Lebensmitteln ein. Dann radelte ich zurück zum Platz. Venedig konnte und kann ich vom Platz aus sehen. Aber ich spüre nicht das geringste Verlangen danach, es zu besuchen. Nicht nur, weil ich schon ein Dutzend Mal hier war, nein, es ist mir einfach zu voll. Ich kann das nicht mehr. Aus dem gleichen Grund würde ich auch nicht mehr nach Santorini, Dubrovnik oder eben Venedig fahren. Vielleicht auch nicht mehr nach Florenz. Ich weiß es nicht genau. Tourismus ist sicher ein Segen für viele Gegenden. Aber der Segen kann auch schnell in einen Fluch übergehen. Und in Venedig ist das definitiv der Fall. Jeder, wirklich jeder will hin. Die Stadt auf Stelzen wird überschwemmt von den Besuchern aus aller Welt. Kein Zentimeter Boden bleibt um diese Jahreszeit frei. Oder zu einer anderen. Eine Saison gibt es eigentlich nicht mehr. In Santorini jedenfalls kann man im November definitiv stille Momente erleben. In Venedig nicht. Ich kann es verstehen, dass Leute es faszinierend finden. Finde ich auch. Und fand es vor 20 Jahren fast noch mehr. Aber auf dieser Reise will ich mir das nicht antun. Ich will keine Haken machen an Städte. Will nicht damit angeben, dass ich eben auch in Venedig war. Ich habe das nicht nötig.
Und irgendwie finde ich es auch verantwortungsbewusst. Denn wir müssen mal damit anfangen, nicht der Horde zu folgen. Andere Orte zu suchen, die sich ebenso lohnen. Padua kann ich dabei wärmstens empfehlen. Eine Universitätsstadt, die ich auf meiner großen Reise vor 12 Jahren gesehen habe und die nur ein paar Kilometer von Venedig entfernt liegt. Und ein Mauerblümchendasein führt. Es sind die unentdeckten Perlen neben dem glänzenden Stern Venedig, den man allerdings aufgrund der vielen Besucher kaum mehr in Ruhe besichtigen kann. Was ich heute auch entdeckte, waren mehrere Villen entlang eines Kanals. Ich glaube, davon mal gelesen zu haben. Wahrscheinlich würde ich eine Radtour entlang des Kanals sicher lohnen.
Heute aber bereite ich mich auf die Überfahrt vor. Es ist tatsächlich eine geistige Angelegenheit. Ich mache den Sprung von einem Kulturkreis in einen anderen. So wie vor zwei Wochen, als ich in Italien angekommen bin. Und wie vor einem Monat, als ich die Fähre nach Korsika nahm.
Vielleicht ist es ganz gut, 35 Stunden auf der Fähre zu haben, dann kann ich mich etwas entspannen. Ich fahre ja gleich durch zum Peloponnes. Jedenfalls habe ich mir für zwei Nächte ein Hotelzimmer gegönnt. Patras kenne ich auch noch nicht.

Aber eines nach dem anderen. Morgen wird Fähre gefahren. Und das nicht zu knapp.
Italien, du warst wunderschön. Und ich möchte dich wieder besuchen, eher in der Vor- oder Nachsaison.
Jetzt fahre ich also in das kühle Griechenland. Ja, kühl. Im Vergleich zu hier. In Teilen Europas herrschen fast 40 Grad. Auch in Deutschland. In Griechenland sind es angenehme 30 Grad. So etwas.
Ich bin übrigens froh, Frankreich verlassen zu haben. Dort ist es nicht nur zu trocken und zu heiß, auch die Wälder brennen an der Atlantikküste. Wahrscheinlich wäre ich jetzt dort.
Aber das ist alles müßig. Morgen fahre ich weiter.
Und ein neuer Reiseabschnitt beginnt.