Kein besonders guter Tag.
Manchmal ist man einfach krank. Und ich habe es tatsächlich geschafft, mir mal wieder einen Muskel im Rücken zu zerren. Dieses Mal auf der linken Seite, meist ist es rechts. Das hindert mich an allem. Zum Glück gibt es Voltaren. Das wirkt meist recht schnell, so auch heute Morgen. Trotzdem hat solch ein Ereignis Einfluss auf den Tag, denn diese Medikamente haben Nebenwirkungen. Sie machen mich matter und etwas lethargisch. Aber nicht sehr.
Krankheiten gehören zum Reisen, das weiß ich. Und ich kann mich wirklich nicht beschweren, besonders in Corona-Zeiten bisher derartig verschont geblieben zu sein. Heute aber musste ich etwas zurückstecken.
Vielleicht begann deshalb auch der Tag etwas später. Um fünf packten meine Zeltnachbarn, die schon gestern um 23 Uhr ein jämmerliches Getöse beim Aufbauen verursacht hatten, alles wieder ein, mit dem gleichen Getöse. Zum Glück brauchten sie nicht lang. Trotzdem störte es. Aber daran muss man sich wohl zur Hauptreisezeit gewöhnen. Jedenfalls stand ich nicht vor sieben auf. Das ist spät. Wirklich spät für mich. Und die Rückenschmerzen machten es nicht besser. Wenn ein Muskel blockiert, habe ich Probleme, meine Arme auszustrecken. Trotzdem machte ich irgendwie eine Yoga-Session, wenn auch keine lange. Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Der Arzt meint, Sport löst Blockaden. Aber irgendwie habe ich danach immer noch mehr Probleme. Die Tablette wirkte aber langsam.

Letztlich war ich ungefähr zur gleichen Zeit in der Stadt wie gestern, was am Bus lag. Der 64er nimmt eine kürzere Strecke als der 4er. Es war eigentlich unerheblich. Ich hatte nicht mehr viel vor, wollte einfach nur durch die Stadt flanieren. Und Ibuprofen kaufen. Wieder besuchte ich als Erstes die Mole Audacio. So wie gestern. Dieses Stück Stein, ins Meer ragend, bringt einem dieses Element näher. Man steht praktisch mitten drin. Wenn der Bora weht, ist es allerdings ein ziemliches Wagnis, vielleicht deshalb der Name der Mole.
Wieder ging ich danach auf das Rathaus zu, auf diesem grandiosen Platz. Schon jetzt schien die Sonne sehr heiß. Meinem vom Voltaren verschwommenen Kopf tat das nicht gut. Ich war jetzt schon müde. Dieses Mal bog ich in die andere Richtung ab, zum alten Fischerviertel Cavana. Die Stadt wirkt hier etwas italienischer. Vielleicht, weil die Palazzi fehlen. Ich suchte jedenfalls eine Pharmazie auf. Und das war der erste Schock. Ich zahlte für 12 Ibuprofen 400 10 Euro. Das ist Wucher. Vielleicht haben sie mich auch veräppelt. Jedenfalls stellte das ein Viertel meines Tagesbudgets dar. Das ist schon heftig teuer, fand ich. Zu Hause bekomme ich 40 Tabletten für fünf Euro. Ich will gar nicht darüber nachdenken. Hätte ich sie mal doch in Griechenland gekauft. Oder mehr von zu Hause mitgenommen. Aber eine 20er-Packung hält nicht lang. Nicht in diesem Alter, mit Rückenschmerzen. Sie ist jedenfalls lange alle.

Ich wanderte durch das Viertel, das mir gefiel. Es ist schlichter, auch wenn das eine oder andere prächtige Gebäude auftauchte, fehlt es etwas an der Grandesque der anderen Viertel. Ich finde das nicht schlimm. Ich überlegte kurz, ob ich Lust auf das Museum for modern Art hatte. Hatte ich nicht. Meist ist mir danach, aber irgendwie fehlte mir heute der Sinn für Kunst. Stattdessen ging ich in eine Fotoausstellung. Und die hatte es in sich, auch wenn ich kein Wort verstand. Die Beschreibungen waren auf Italienisch. Es handelte sich um Fotos aus der Zeit von 1919, als ein gewisser Annunzio, Dichter und glühender Nationalist, eine eigenständige Republik ausrief. Ich glaube, es war in Riejka/Fiume, also Kroatien. Nicht weit von hier. Ich habe mir dieses Männchen angesehen. Ein Prototyp eines lächerlichen Faschisten. Klein, schmal, Glatze, mit überwölbender Stirn, Fluchtkinn. Was finden Menschen an solchen Gestalten? Es ist eine Frage, die auch uns heute beschäftigt, denn die Clowns wie Trump, Johnson, Orban, Salvini, allesamt uncharismatische Vollidioten, sammeln die Leute scharenweise um sich herum. Sind die alle beknackt? Wahrscheinlich. Über diese Republik muss ich jedenfalls mal etwas mehr lesen, sie kam schon in der Lesereise Triest vor. Mit der gleichen Skepsis, die ich auch empfinde.
Es gab auch andere Fotos aus dieser Zeit, von einfachen Menschen. Ich weiß nicht, wer sie gemacht hat. Nicht die Schwestern Wutz, berühmte Fotografinnen hier in Triest. Ein Foto beschäftigte mich. Es war ein Paar, wahrscheinlich Bauern. Er in seinem besten vielleicht auch einzigen Anzug, sie in Bauerntracht (denke ich). Beide sahen zur Seite, sie skeptisch, er eher interessiert. Was mich bewegte, waren die Hände. Sie hielt seine Hand. Nicht fest, nur mit einem Finger. Was erzählt ein solches Bild? Vielleicht ist es nicht mehr die stürmische Liebe, aber eventuell eine tiefe, lange gewachsene, bei der ein leichter Körperkontakt ausreicht, um sie darzustellen. Egal, was die Gesichter sagten, der Körper spricht immer. Gerne auch mal anders als die Zunge, der kaum zu trauen ist. Der Körper aber hat ein Eigenleben. Katzen können ein Lied davon singen, wie schlecht Menschen sind, diese Sprache zu deuten.

Danach wusste ich nicht recht, wohin mit mir. Also ging ich nochmals hinauf zur Kathedrale. Sie lohnt sich tatsächlich.
Alte Säulengänge, faszinierende Mosaike, die mich nicht nur ein wenig an Ravenna erinnerten. Wo besteht die Verbindung? Die Gesichter der Heiligen und Göttlichen sind allesamt östlicher Natur. Waren es wieder byzantinische Künstler? Oder nur davon inspiriert? Jedenfalls strahlten sie mir golden entgegen. Und blau. Und ich war froh, doch noch hergefunden zu haben.

Man wird es nicht glauben, aber die ersten drei Stunden meines Besuchs hier waren bereits um. Daher begab ich mich zum Lunch in die Vialle XX. Settembre, die ich gestern auf dem Weg zum Café San Marco gefunden hatte. Es ist eine Gegend, in der wohl eher Einheimische lunchen und verweilen, während sie die touristische Zone um den Piazza L’Unita mit seinen Luxuscafés und -restaurants eher den Touristen überlassen. Ich genehmigte mir zwei Minipizzen. Hier in Italien bin ich davon abgekommen, mir selbst Lunch zuzubereiten. Es ist auch zu heiß, um Käse zu kaufen. In Griechenland werde ich auf den Campingplätzen und/oder Hotelräumen Kühlschränke haben, da geht das. Das gibt es hier aber nicht.
Und dann genoss ich noch in einem kleinen unbekannten Café direkt auf dieser schönen schattigen Allee einen Espresso und las noch ein wenig über Triest. Es ist ein Buch über Spaziergänge der Stadt, eher aber noch Beschreibungen ganzer Viertel. Ich werde es nicht mehr auskundschaften, zumindest nicht jetzt, aber ich denke, dass ich mit Ehefrau Nina herkommen werde. Es ist einfach zu fantastisch. Sicher werde ich mir nochmals den letzten Roman von Pascal Mecier vornehmen, in dem Triest unter anderem auch als Hintergrund vorkommt.

Es war schon Nachmittag, als ich mich wieder aufmachte. Und im Grunde meinen Abschiedsspaziergang machte. Ich habe so vieles noch nicht gesehen, Miramare, das Hinterland, den Karst, Höhlen. Aber ich denke, dass ich einen ersten Eindruck gewonnen habe. Auch kommen mir die Wohnungspreise nicht so hoch vor. Nur mal so ins Blaue hinein gesprochen. Irgendwie sehe ich mir manchmal an, wie teuer das Leben hier wäre. Und es ist erschwinglich. Kein Vergleich mit den Mondpreisen in Berlin.
Noch einmal lief ich zum Amphitheater. Sah den römischen Bogen. Entdeckte noch ein paar römische Ruinen, die manchmal unter dem heutigen Straßenniveau hervorlugen. Die Stadt versteckt sicher noch eine Menge Schätze, dessen bin ich sicher. Die Statue von Ettore Schmitz fand ich zufällig, auch die von James Joyce, die zentraler steht. Bücher von beiden habe ich auf Audiobook nun in meiner Liste. Die übrigens immer länger wird.

Und dann war es vorbei.
Ich war an der Mole Audacio angekommen, wo der Bus 64 schon bereitstand. Keine 10 Minuten später war ich wieder auf dem Campingplatz, schmerzfrei übrigens, die Voltaren wirken Wunder. Ich kann bestimmt nachher noch eine Yoga-Session machen. Oder besser gleich jetzt.
Morgen ist meine Zeit hier schon wieder beendet. Habe ich zu schnell geplant? Hätte ich nicht auch eine andere Route nehmen können oder sogar müssen? Ljubljana ist wirklich nicht weit, Koper auch nicht. Ich fahre stattdessen nach Griechenland. Und zweifle gerade extrem, ob das der natürliche Verlauf der Reise ist.
Es ist egal. Es ist gebucht, jetzt mache ich es auch. Meine nächste Etappe beginnt also in zwei Tagen. Komisches Gefühl. Manchmal kommt es mir so vor, als hätte ich gerade erst die Reise begonnen. Dann auch wieder nicht. Zurückschauen will ich nicht. Warum auch? Dafür ist ein Leben lang Zeit. Triest hat sich jedenfalls gelohnt. Auch wenn es ein kleiner Umweg war, wird es doch einer der großen Höhepunkte der Reise bilden. Das weiß ich jetzt schon.
Dieses eigenartige Gemisch aus allem.
Das mich so fasziniert hat.
Und weiter fasziniert.