Es war ein wundervoll früher Start in den Tag.
Um halb sieben schon stand ich auf, wohl weil der morgendliche Berufsverkehr kaum zu überhören war. Nicht schlimm, denn auf diese Weise konnte ich zeitig abfahren.
Tatsächlich ließ ich mir etwas Zeit, um trotzdem zügig zu packen. Gegen Viertel nach acht hatte ich das schwere Gepäck auf dem Rad verstaut und wackelte los. Morgens brauche ich immer etwas, um mich an das Rad zu gewöhnen. Auf die Yoga-Session hatte ich verzichtet, auch von dieser Sportart braucht man manchmal etwas Erholung. Und am Abend vorher hatte mein ganzer Körper danach gebettelt. Es sind kleine Zeichen, aber wenn das Erheben aus der Vorbeuge und ein Seitenstretch schon schwerfällt, weiß man, dass man übertrieben hat.
Unerheblich.
Auch an diesem Tag würde ich genug Bewegung bekommen. Das stand schon vorher fest.
OsmanD, mein „türkisches“ Navigationssystem (es ist nicht türkisch, nur der Name erinnert mich entfernt daran), führte mich siegesgewiss und ohne Zweifel auf dem kürzesten, aber zeitlich längsten Weg mitten durch die Stadt. Ich muss mir mal angewöhnen, die Routen vor der Abfahrt zu überprüfen. Manchmal ist es besser, ein paar Kilometer mehr zu fahren. Und trotzdem schneller und entspannter unterwegs zu sein.
So aber radelte ich wie gestern an der Kathedrale vorbei, der Vieux Port war auch nicht weit und ich entdeckte einen Park, den ich gestern gerne zur Erholung genutzt, aber aus irgendeinem Grund übersehen hatte. Es war nun aber alles egal. Ich werde sobald wohl nicht mehr herkommen.
Erst nach einer Stunde erreichte ich die sagenhafte Brücke Pont de l’île de Ré, die das Festland hier mit der Île de Re verbindet. Ein ellenlanges Gewinde über dem Atlantik, das allem trotzt, vor allem der Vernunft. Ich kam inzwischen gut voran, wand mich auf der Brücke erst hoch, bevor ich dann das Gefälle nutzen konnte, um nach unten zu segeln. Das Rad quietschte, so wie seit Beginn dieser Reise. Es macht mich wahnsinnig, aber ich finde nicht heraus, woran es liegt. Ich öle regelmäßig. Und trotzdem. Ich werde auf dieser Reise wohl damit leben müssen (wie sich später, viel später herausstellte, war es eine „Acht“ im Hinterrad).
Auf der Île de Re folgte ich wieder OsmanD, das mich auf einigen Umwegen schließlich auf die richtige Route brachte. Den Campingplatz, von denen es hier auf der Insel Dutzende gibt, hatte ich mir vorher herausgesucht. Wieder ein Municipal mit Spezialtarif für Radler. Mir gefällt das sehr gut. Es ist unfassbar günstig.

Eine Stunde brauchte ich von der Brücke bis zum Platz. Die Insel ist mit Radwegen durchzogen, ein Paradies für Radler. Flach, gut durchschaubar, mit rücksichtsvollen Autofahrern. Am Sonntag hatte ich den Film „Moliere auf dem Fahrrad“ erneut gesehen, um mich auf die Île de Re einzustimmen. Mir gefallen solche Filme ja sehr. Ehefrau Nina eher weniger. Nicht genug Zombies wahrscheinlich.
Schon nach etwas mehr als zwei Stunden erreichte ich den Campingplatz in La Couarde-sur Mer. Er ist irgendwie Teil des Strandes, eine Art Düne. Jedenfalls ist alles voller Sand. Sofort setzte bei mir eine Art Kykladenfeeling ein. Zwei Gänge schaltete ich herunter, was ich nach den pausenlosen 30 Kilometern auch brauchte. Ich merke immer erst hinterher, dass mir die Beine wehtun. Irgendwie komisch. Aber wohl nicht zu ändern. Mir tun auch die Arme weh, wahrscheinlich radle ich mit Vollkörpereinsatz. Kein Wunder, dass ich etwas Pause brauche, die ich allerdings wohl kaum bekommen werde.

Ich ruhte mich trotzdem etwas aus, bevor ich in die Stadt ging. La Couarde gleicht irgendwie den Village Blanche in Andalusien, alte Fischerhütten aus Stein, weiß getüncht, heutzutage ausgesprochen gut renoviert, sodass die Stadt ein fast schon elitäres Ambiente aufweist. Es ist wie die ganze Insel unheimlich beliebt bei den Parisern, die hier die Preise in die Höhe treiben. Und natürlich für einigen Luxus sorgen. Es gibt ein paar Geschäfte, eine kleine Markthalle, wo sich Einheimische auf ein Gläschen beim Weinhändler treffen. Ich folgte dem Radweg in die Innenstadt, wo es weitere Geschäfte gibt. Ich fand die gleichen fake Havaianas (Zehentreter) wie in Griechenland, was mich wunderte. Aber etwas weniger Gelassenheit. Ich sollte nicht vergleichen, aber mir kommt oft der Gedanke, dieses Jahr auf dieser Fahrt durchaus bis nach Griechenland fahren zu können. Mal sehen. Erst einmal bin ich hier.
Ich besichtigte die kleine Kirche. Ein Boot hing von der Decke. Natürlich. Das ist ein altes Fischerdorf, also hängt ein Miniaturboot von der Kirchendecke. Völlig normal. Ich fand es trotzdem lustig.
Nach zehn Minuten war ich eigentlich durch mit der Besichtigung. Und ziemlich fertig. Also fuhr ich zurück zum Platz, ruhte mich wieder aus.
Um 15 Uhr aber hatte ich genug von der Ruhe und entschied, dass ich noch etwas erleben wollte. Also radelte ich in Richtung Leuchtturm Phare des Baleines, den ich aber erst morgen besichtigen will. Einfach in die Landschaft hinein. Ich entdeckte ein paar Salzseen. Salz wird hier abgebaut, die Insel ist dafür berühmt. Es ist schön, manchmal roch es etwas faulig, aber die Landschaft ist eben generell ziemlich feucht. Ich fuhr insgesamt vielleicht zehn Kilometer, drehte eine Runde, von der ich nicht einmal genau sagen konnte, wo genau. Am Ende erreichte ich aber wieder das Zentrum von La Couarde. Und kurz darauf den Campingplatz. Es ist nicht unglaublich viel passiert. Und dennoch habe ich das Gefühl, in einer vollkommen anderen Welt zu sein. Die Düne, auf der ich mich befinde, ist einmalig als Zeltplatz. Und es ist weiterhin unfassbar heiß, fast 30 Grad sollen es heute gewesen sein. Klimaerwärmung? Vielleicht. So etwas hätte ich hier jedenfalls zu dieser Zeit nicht erwartet. Beinahe ist es mit meinem Daunenschlafsack bereits nachts zu heiß. Wer konnte das ahnen? Vor ein paar Tagen war es noch vollkommen anders.
Morgen werde ich wieder viel Radfahren. Die Insel erkunden. Und auch übermorgen werde ich bleiben. Mal sehen, was ich noch entdecken kann. Vielleicht entspanne ich auch nur.