Ein fauler Tag. Eigentlich gibt es kaum etwas zu schreiben.
Spät aufgewacht, weil ich tatsächlich gestern bis halb zwölf mit einer Reisenden nebenan gequaselt habe. Es passiert mir nicht sehr oft, ich bleibe meist für mich, aber wenn mich jemand fragt, ob ich auf ein Bier oder Wein herüberkommen möchte, mache ich es fast immer.
Es ist ungewohnt, so viel zu reden, aber als Reisender hat man eigentlich immer viel zu erzählen. Jeder macht es anders, sieht die Orte mit anderen Augen. Und macht auch innere Reisen komplett unterschiedlich durch. Das ist schon interessant. Auch die Wahl der jeweiligen Ziele ist immer interessant. Überschneidungen gibt es selten.

Heute also schlief ich bis fast acht. Das ist mir auf dieser Reise noch nie passiert. Es ist auch etwas kühler, diesen Eindruck habe ich zumindest.
Auch hatte ich etwas zu tun, musste waschen. Yoga natürlich. Die Hitze sorgt dafür, dass sich meine Muskeln und Bänder etwas ausdehnen. Meinem Rücken tut es gut, ich mache spezielle Übungen. Und heute bin ich fast schmerzfrei. Endlich einmal. Das tut so gut. Ohne Tablette, kein Voltaren, kein Ibuprofen. Dieses Zeug hat immer scheußliche Nebenwirkungen. Ich bin immer viel wacher, wenn ich das nicht nehmen muss.

Mein erster Weg heute führte mich in ein Delikatessengeschäft, wo ich eine kleine Packung Oliven kaufte. Die Verkäuferin war so nett, mein Paket mit meiner Regenjacke zu wiegen, wir blieben weit unter einem Kilo, der angestrebten Marke.
Ich weiß nicht, ob es sich lohnt, diese Jacke nach Hause zu schicken. Ich hätte sie auch wegwerfen können, um zu Hause eine neue zu kaufen. Aber es ist genau diese Einstellung, diese Missachtung von Produkten und Wertstoffen, die uns in diese Lage gebracht hat. Auch wenn das Porto 13 Euro gekostet hat, war es das wert, denn die Jacke werde ich noch viele Jahre haben. Sie dient mir auf Reisen immer gut, ist leicht, aber jetzt in Griechenland im Hochsommer brauche ich sie wirklich nicht.
Auch meine Trekkingsandalen werfe ich weg, die sind aber tatsächlich kaputt. Ich bin nicht traurig darüber. Meine Badelatschen erfüllen den Zweck auch gut und wenn ich auf steinigeren Wegen unterwegs bin, habe ich immer noch meine festen Salomon-Wanderschuhe. Das reicht. Und ich habe ein Kilo weniger zu transportieren. Auch bin ich eisern damit, mir nichts aufzubürden. Nur Lebensmittel kaufe ich und Dinge des täglichen Bedarfs. Ich wurschtele mich durch, mit so wenig Gepäck wie möglich. Jetzt wird es sicher leichter werden. Ganz sicher.

Mein Weg führte mich nach der Paketaufgabe bei der Post wieder in die Innenstadt.
Und zwar durch einen Park, der eigenartigerweise mit Eisenbahnen gefüllt war. Ich denke, dass es sich um die ehemalige Bahnstation in Kalamata handelte, ein Gebäude sah im Grunde so aus wie ein kleiner Bahnhof. Außerdem gab es Schienen. Wo mögen die einst hingeführt haben? Direkt nach Athen? Ich werde es mal recherchieren.
Eisenbahnen können mich nicht endgültig vom Hocker reißen, aber hier waren sie schön arrangiert. Inmitten des ziemlich ausufernden Grüns der Pflanzen, in Griechenland eine Seltenheit, passten sie sich der Landschaft an. Beides wirkte Fehl am Platz, die Pflanzen und die Eisenbahnen. Lustig.
Ich machte danach nicht viel, entdeckte eine kleine Fotoausstellung in einem offiziell aussehenden Gebäude. Anscheinend hat sich eine Schulklasse mit der großen Katastrophe von 1922 befasst, also der Vertreibung der Griechen aus Kleinasien durch die Türken. In die gleiche Zeit fällt auch der Völkermord an den Armeniern.
Es ging nicht direkt um diese Vertreibung, sondern eher um das Leben in Smyrna vor dieser Zeit. Es war interessant, diese Fotos zu betrachten. Besonders der westliche Lebensstil war unter den Griechen damals sehr beliebt. Moderne Menschen versuchten, ein modernes Leben zu führen. Und dann kamen die Türken und brachten Leid und Vertreibung. Und Mord, im Falle der Armenier. Geopolitik ist ekelhaft. Nationalismus, ein Geschwür, das wieder wächst. Ich sehe dunkle Wolken am Horizont. Der Krieg in der Ukraine mag der Anfang sein. Die Türken könnten ihn fortsetzen, sich griechische Inseln einverleiben. Ich halte das inzwischen nicht mehr für unrealistisch. Dabei müsste es eigentlich andersherum sein. Kleinasien gehört meines Erachtens eher zu den Griechen. Was würde geschehen, wenn das mal jemand fordern würde? Das türkische Geschrei wäre wahrscheinlich unüberhörbar.

Ich schweife aber ab an diesem sonnigen und heißen Sommertag. Ich mochte die Ausstellung. Sie war gut recherchiert und verdient eigentlich mehr Beachtung. Einen Film über den Beginn des Befreiungskrieges sah ich mir nicht mehr zur Gänze an. Zu laut und zu stickig und heiß. Außerdem war er mir zu patriotisch. Wenn Menschen triumphierend mit Waffen demonstrieren, ist vorher meist unsagbares Leid geschehen. Das ist nichts für mich. Kalamata scheint aber wichtig gewesen zu sein, so weit ich das verstanden habe, haben die Befreiungskriege vom ottomanischen Imperium hier begonnen. Ist doch etwas.

Dann tat ich etwas, an das ich mich hier schnell gewöhnt habe. Ich lunchte eine Spinach Pie, dann trank ich einen Espresso. Wäre ich mal beim griechischen Kaffee geblieben. Das können sie hier besser. Aber ich will mich nicht beschweren. Das Schöne ist, dass man sich immer setzen kann, auch wenn man nur Fingerfood gekauft hat. Niemand stört sich daran, alle lassen einen in Ruhe, auch wenn man stundenlang irgendwo sitzt. In Deutschland wären schon die Kellner aufgetaucht und hätten einen höflich oder auch nicht vertrieben. Hier passiert so etwas nicht.
Nach anderthalb Stunden schlenderte ich noch durch die Stadt, die am frühen Nachmittag ziemlich ausgestorben war. Die meisten Leute sind wohl eher vormittags und später am Nachmittag unterwegs. Ganz sicher aber abends. Ich mag die Stadt. Mal sehen, vielleicht wird sie tatsächlich mal so etwas wie unsere Heimat. Der Gedanke erscheint unerhört, unfassbar. Ich wage gar nicht, ihn gerade zu denken. Und doch wird es mit jeder Minute realistischer.
Sollen wir hier investieren? Au man, für mich ist das ein kleines Abenteuer.
Es gibt sogar einen Flughafen. Auf dem es auch kommerzielle Flüge gibt. Eurowings fliegt jedenfalls her. So etwas. Das hat mir gestern die Reisende erzählt. Und ich werde es mal recherchieren.
Im Grunde waren das meine Abenteuer heute. Nichts Aufregendes. Aber trotzdem wichtig. Oft sind es ja gerade diese Tage, an denen wenig geschieht, die einen doch am meisten bewegen. Ich finde es jedenfalls unfassbar spannend.

Ich werde noch ein wenig in der Gegend bleiben, auch wenn ich morgen weiterfahre. Aber nicht weit, nur 30 Km auf den nächsten Campingplatz. Das gehört dazu. Ich bin wirklich aufgeregt.