Meine Güte, schon ist der Juli beinahe um. Fast drei Monate bin ich jetzt unterwegs, hätte mir nie träumen lassen, dass ich es bis hierher schaffe. Ich habe mir überlegt, wie diese Reise aussehen würde, wenn ich noch in Frankreich wäre. Vielleicht hätte es mich wieder in den Norden getrieben. Ich denke aber, dass ich es so oder so verlassen hätte. Vier Monate in einem Land sind möglich, aber es hat sich anders ergeben.
Dabei habe ich angefangen, über die Rückreise zumindest nachzudenken. Es läuft darauf hinaus, dass ich wieder eine Fähre nehme. Dieses Jahr scheinen Flüge nicht nur teurer, sondern auch wesentlich seltener. Es wäre sowieso nur eine Übergangslösung. Im Grunde ist es egal. Ich kann langsam reisen. Mal sehen, wie es am Ende kommt. Ich werde es spontan entscheiden. Vielleicht wird es auch eine Bustour zurück, kann ich mir auch vorstellen.

Heute begann der Tag sehr langsam. Die Nacht war heiß. Und dadurch unruhig. Es kühlt nicht mehr ab, ich brauche noch nicht einmal mein Seideninlet zum Zudecken. Selbst dieser dünnste aller Stoffe ist zu warm. Auch ist es auf dem Campingplatz immer irgendwie lebhaft, auch wenn alle schlafen. Dadurch, dass es voller ist, hört man alles. Die Luftmatratzen knarzen, wenn sich jemand umdreht. Und irgendwer schnarcht immer.
Erst gegen halb elf erreichte ich über den Strand Koroni. Es war schon sehr heiß, so wie gestern um diese Zeit. Ich machte mir den Spaß und lief durch die hinteren Gassen, um ein Gefühl für den Ort zu bekommen. Es wird sofort ruhiger, auch wenn es nur ein paar Schritte zur Hafenpromenade sind. Einige Estate Agents entdeckte ich, sogar mit Bildern von Grundstücken in der Auslage. Es ist etwas teurer als in Kalamata. Aber ich sah auch Grundstücke mit Olivenhainen darauf. So etwas finde ich interessant. Es wäre faszinierend, ein Grundstück zu besitzen, auf dem sich Lebewesen befinden, die ein paar Hundert Jahre alt sind. Und die mich um wieder ein paar Hundert Jahre überleben. In deren Lebensspanne ich nur einen Flügelschlag ausmache. Mehr nicht. Dieser Gedanke beruhigt mich ungemein. Wenn diese Bäume noch da sind und Früchte tragen, ist alles, was ich war und darstelle, schon seit Jahrhunderten vergessen. Und das meiste, was auf der Welt gerade geschieht, wahrscheinlich auch. Wichtigkeit wird so relativ. Und auf eine gewisse Weise auch erträglich.

So also wanderte ich verträumt durch die Gassen. Es ist ein wirklich griechischer Ort, Leute sitzen draußen, auf einen Kaffee, sie unterhalten sich. Das Leben geht seine Wege, eher gelassen und langsam. Ich weiß, dass ich hier falsch am Platze wäre. Denn ich bin alles, bloß nicht gelassen. Nur weil ich hier ein wenig davon für mich finde, heißt das nicht, dass ich es mir annehmen kann. Ich muss darüber ein wenig lachen. Auch ein Grundstück mit Olivenbäumen würde nicht so bleiben, wie es ist. Ich würde keine Bäume schlagen, aber Dinge dazwischen kreieren. Terrassen, Schuppen, Häuschen vielleicht. Es würde zu einer griechischen Datsche mit meinen Vorstellungen davon werden. Mein Design und meine unzureichenden handwerklichen Fähigkeiten gepaart sozusagen. Egal. Ich würde nichts so lassen, wie es ist. Tue ich nie.

Irgendwann stand ich dann vor dem mächtigen Tor des venezianischen Kastells. Zumindest las ich, dass es venezianisch war. Im Grunde haben sich hier viele Völker verewigt, so wie in Kalamata und Patras ja auch. Franken, Osmanen, Byzantiner. Ich las auch, dass schon Homer hier eine Siedlung erwähnt. Sie hieß nicht Koroni. Aber die Chancen, dass hier eine mykenische Festung stand, sind meines Erachtens gut. Der strategische Punkt hier ist deutlich zu erkennen, von hier lässt sich der Golf von Messina gut kontrollieren. Deshalb auch die riesige Festungsanlage, die den gesamten Hügel eingenommen hat. Heute sind nur noch Ruinen erhalten. Und in den Ruinen befinden sich eine Reihe von Kirchen, auch ein Nonnenkloster. Die gesamte Anlage ist in einem ruinösen, aber nicht komplett bröckeligen Zustand. Man muss beim Betreten ein bisschen aufpassen. Die Kirchen sind natürlich sicher, aber die Festungsanlagen sollte man mit Vorsicht genießen. Ich wanderte durch die grünen Gärten des Nonnenklosters. Es kam mir fast wie das Paradies vor. Gut gegossen. Die Nonnen wissen, was sie tun. Ein Kitten rief nach seiner Mama, die sich auf der anderen Seite eines Zaunes befand. Ich wollte ihm helfen, aber es wollte nicht, sondern lief weg. Na ja, sie werden sich schon gefunden haben.
Hier befindet sich auf ein Burgfried, den ich erklomm. Herrliche Aussichten auf Koroni und auch den Strand jenseits der Stadt, den ich morgen mal aufsuchen werde. Der Burgfried ist nicht gesichert, der Aufstieg noch einigermaßen einfach, aber die Plattform oben hat kein Gerüst. Also hielt ich mich in der Mitte auf. Man muss seinen Schutzengel ja nicht herausfordern.
Außerdem brannte die Sonne unbarmherzig.
Ich sah mir die Anlage noch etwas an, erklomm noch die alten Mauern, auch von hier hatte ich malerische Blicke auf die Ebene westlich der Stadt und den Strand. Kindergeschrei erreichte mich, die Grillen zirpten laut. Es roch nach Sommer, nach den Nadelbäumen hier, würzig und ein wenig verbrannt.
Auch hatte ich einen schönen Blick auf die Reste der wohl ältesten Kirche hier oben, eine dreischiffige byzantinische aus dem 9. Jahrhundert. Es sind nur noch die Grundmauern vorhanden, aber sie ist gut zu erkennen. Manchmal stellte ich mir vor, dass hier die Mykener gehaust haben. Vor weit mehr als 3000 Jahren. Agamemnon. Achilles. Nestor, dessen Palast am westlichen Tel des Peloponnes nun wirklich nicht weit entfernt ist. Ist es nicht faszinierend?
Das alles ist geschichtlich natürlich nicht exakt, aber Teil des Mythos. Und der ist wichtiger als alles andere.

Ich ging die gesamte Festungsanlage ab. Leider waren die meisten Kirchen geschlossen. Aber im Grunde war es nicht so wichtig. Ein Rundgang führte mich an den Schießscharten und Bollwerken vorbei. Ich nehme an, dass dieser Teil der Festung jünger ist. Aber was weiß ich schon?

Das war im Grunde das Highlight des Tages.
Ich setzte mich danach wieder in das Café am Hafen und verschwendete eine Stunde Zeit. Es fühlte sich nicht so an. Der Tag hat so viele Stunden, das lässt sich also ertragen. Ich lag sogar noch eine Stunde am Strand und kann irgendwie nicht nachvollziehen, dass Leute das als Urlaubsziel auserkoren haben. Der Sand klebt überall, an der Haut, die mit einem Gemisch aus Schweiß und Sonnencreme überzogen ist und somit maximal klebrig. Ich musste danach 15 Minuten duschen, um alles loszuwerden. Muss man bei diesen Temperaturen aber sowieso. Wenn auch nur kurz. Schließlich sind Wasser und auch Strom dieses Jahr in Europa Mangelware, wenn auch jeweils aus anderen Gründen. Aber darüber mache ich mir später im Jahr Gedanken.
Ich bleibe morgen noch hier.
Weil ich es kann.