Wandertag.
Seit Monaten war ich nicht mehr in der Bergwelt unterwegs, auf dieser Reise im Grunde nur einmal, auf Korsika, bei einer verhängnisvollen Tour bei Ajaccio. Ich habe darüber berichtet.
Heute aber musste ich es einmal wieder wagen. Wann bin ich schon einmal in einer so schönen Bergwelt unterwegs? Links und rechts von mir erheben sich die Hügel des Voralpenlandes, noch nicht die Viertausender, aber das wäre für mich sowieso zu viel. Für mich genau richtig, denn viel Übung habe ich nicht.
Gegen neun fuhr ich mit dem Rad vom Platz, um in Mori erst einmal Lunch zu kaufen. Eine winzige Pizza würde mir als Brotzeit vollkommen reichen. Dazu eine Cola. Sie wird wahrscheinlich ab jetzt mein ständiger Begleiter sein. Energy push.
Dann ging es los. Mit meinem Rad fuhr ich erst einmal in Richtung Sano, ein kleines Dorf unweit von Mori. Bald schon schob ich aber, natürlich ging es bergauf. Ungefähr zwei Kilometer bewegte ich mich auf diese Weise vorwärts. Dann hatte ich das Dorf erreicht und kettete das Rad auf dem Hauptplatz des ziemlich einsamen und etwas zerbröckelt wirkenden Dorfes an. Übrigens an einer Bushaltestelle.
Von hier aus bewegte ich mich weiter nach oben, immer OsmanD folgend. Der Weg führte mich durch das Weinanbaugebiet, die Trauben, hell und dunkel, hingen schwer von den Pflanzen. Natürlich war ich versucht, mal zu probieren, aber ich ließ es sein. Wir wollen dem Bauern ja die Ernte nicht verderben, die sicher bald beginnen wird.

Es waren nur ungefähr drei Kilometer, aber eine Menge Höhenmeter. Schnell kam ich also nicht voran. Aber das war auch nicht wichtig. Den Blick auf das Bergdorf Castione, das ich als nächstes erreichte, werde ich aber lange nicht vergessen. Da thronte es vor mir, inmitten des Weines, prächtige alpine Häuser, deren Grau sich vom dunklen Grün der Landschaft abhoben. Die Kirchturmspitze ragte in den Himmel und ich genoss den Anblick der menschengemachten Landschaft, einschließlich ihrer dramatischen Behausungen. Castione war aber nur Zwischenstation. Hier sah ich auch die erste Karte. Ich könnte hier bis zu einem Refugium auf 1500 Metern Höhe steigen. Das stand natürlich außer Frage. Es wäre mit etwas Training und einem früheren Aufstehen sicher möglich. Aber nicht an diesem Tag. Das Problem, das ich auf Wanderungen fast immer habe, ist das Einschätzen meiner Kräfte. Ich fühle mich lange gut, bis ich an einen Punkt komme, wo das nicht mehr der Fall ist. Wenn ich vorsichtig genug war, bis zu diesem Zeitpunkt fast am Ende einer Wanderung angelangt zu sein, ist es gut. Wenn nicht, wird es wirklich anstrengend. Also hatte ich für heute ein Ziel gesetzt: Don Alto, eine Art Gipfel auf dem Navi. Castione ließ ich also hinter mir, folgte den Anweisungen. Und befand mich irgendwann auf einem Waldweg. Immer wieder genoss ich die Aussichten auf das Tal und auf die Berge gegenüber. Es ist so dramatisch. Und das ist es auch, was ich am Wandern liebe. Diese Aussichten. Die Welt, die mir zu Füßen liegt. Die Einsamkeit der Berge, die Stille um mich herum, auch wenn es eigentlich selten still ist. Heute sah ich zwei Schlangen, die vor mir flüchteten. Immerhin.

Die Luft brannte inzwischen. Es war heiß, auch wenn es hier oben nicht so schlimm war. Trotzdem wäre es in zwei bis drei Wochen sicher perfekt. Aber heute war es auch gut.
Don Alto stellte sich übrigens als falsches Ziel heraus. Ich fand keinen Gipfel, auch keinen Felsvorsprung. Mein Navi schien mich getäuscht zu haben, jedenfalls habe ich nichts gefunden. Trotzdem packte ich jetzt meine Pizza aus, ruhte ein wenig, erfrischte mich mit der Cola. Ich fühlte mich gut, wollte deshalb auch noch nicht zurück. Daher beschloss ich, noch ein weiteres Dorf anzusteuern, vielleicht würde ich dort einen Espresso bekommen.
Brentonico war überall ausgeschildert, ich konnte es nicht verfehlen.
Als ich es erreichte, war ich erstaunt über die Größe. Vielleicht ist es doch eher eine Kleinstadt? Jedenfalls sah Brentonico sehr renoviert aus. Fast schon wohlhabend. Neben den alten, gut restaurierten Häusern gibt es auch eine Reihe von Neubauten. Vielleicht ist es besonders beliebt. Keine Ahnung. Das kleine Zentrum ist jedenfalls größer als ich gedacht hatte. Mehrere Restaurants und Cafés gab es, ich aber sah mir erst einmal die recht große Kirche an. Barock. Na ja. Mein Ding war es nicht.
Wenigstens aber bekam ich meinen Espresso. Ich war ziemlich zufrieden mit mir und überlegte, ob ich doch zum Refugium aufsteigen sollte, aber es lag noch weit über 700 Meter über mir. Es sind nicht die Entfernungen, sondern die Höhenmeter. Aber es war bereits hab zwei, viel zu spät. Und als ich mich in den beeindruckend großen Park setzte, merkte ich auch, wie müde ich eigentlich schon war.
Das ist es immer. Ich hatte an diesem Tag meine Kräfte gut eingeschätzt.

Der Weg nach unten zum Fahrrad ging natürlich schneller, war allerdings ebenso anstrengend. Immer wieder musste ich mich bremsen. Als ich das Rad schließlich erreichte, war ich froh, es geschafft zu haben. Ich glaube, mehr wäre heute nicht möglich gewesen. Ich radelte nochmals nach Mori, immer den Berg hinunter, kaufte noch das Abendessen ein, dann hatte ich es geschafft. Und auf dem Campingplatz sitze ich jetzt, merke den Muskelkater. Aber ich glaube, es geht noch. Einen Ruhetag werde ich morgen nicht brauchen. Warum auch? Ich will nur ins Museum. Nur ist gut, es ist ebenso fordernd wie eine Bergtour, wenn ich es richtig mache. Und ich freue mich darauf.
So, jetzt noch etwas entspannendes Yoga, dann ist es für heute geschafft.
Es war ein schöner Tag. Für so etwas reise ich. Ich stelle also fest: Ich bin in den letzten vier Monaten viel zu selten gewandert.