Mitten in der Nacht hörte ich ein Hämmern.
So zumindest nahm ich es wahr. Vielleicht spielten mir die Ohrenstöpsel einen Streich. Also das taten sie mit Sicherheit. Ich dachte, dass irgendwer auf dem Campingplatz angekommen ist, jemand, der spät nachts unbedingt in der Nähe meines Zeltes stehen musste. Jemand, der ohne Licht alles aufbaut. So ein Trottel.
Nun, es stellte sich heraus, dass der Trottel ich selbst war. Denn es war kein Hämmern, sondern ein Kratzen. Eine Katze war kurz davor, mein Innenzelt zu zerstören, auf der Suche nach Trockenfutter, das ich im Zelt offen lagerte. Zur Information, ich habe in Griechenland immer Trockenfutter dabei. Und ich war so blöd, es geöffnet direkt neben der Zeltwand aufzubewahren.
Es muss zwei oder drei Uhr gewesen sein, jedenfalls stand ich auf und schüttete eine große Portion auf die Straße vor dem Zelt. Im Zelt hörte ich das Knacken, das Geräusch, das entsteht, wenn eine Katze Trockenfutter frisst.
Erst am nächsten Morgen entdeckte ich das große Loch, das sie ins Innenzelt geschlagen hat. Ich werde es in den nächsten Tagen reparieren. Ich war selbst schuld. Die Katzen hier gehen für Futter durch die Wände. Im wahrsten Sinne.

Nach meiner Morgenroutine ging ich gegen halb zehn Uhr los. Als Erstes fuhr ich wieder ins Zentrum, suchte danach das antike Sparta, oder das, was davon übrig ist. Es befindet sich im Norden der Stadt und ist ausgeschildert. Erst dachte ich, dass ich wieder einmal vor verschlossenen Türen stehen würde, aber dann fand ich doch die kleine Tür im Zaun. Niemand war hier, der Geld hätte kassieren können. Das antike Sparta lag verlassen vor mir. Also ging ich los, nachdem ich das Rad angeschlossen hatte.

Viel ist nicht übrig, und das, was übrig ist, ist eher römisch. Oder byzantinisch. Trotzdem ist das der Ort, an dem die Spartaner geherrscht hatten. Die Agora befindet sich am höchsten Punkt. Es ist ein schauderhaftes Gefühl, dass hier die Entscheidungen getroffen wurden, die den Lauf unserer europäischen Geschichte so verändert haben. Was wäre gewesen, wenn Leonidas die Perser nicht aufgehalten hätte? Um somit den Athenern Zeit zu geben? Und allen anderen Griechen auch? Wir, auch in Deutschland, hätten kein liberales, griechisch-orientiertes Weltbild, weil es das antike Griechenland, wie wir es kennen, nicht gegeben hätte. Es ist müßig zu diskutieren, was gewesen wäre. Daher beschränke ich mich darauf zu sagen, was ist. Nämlich, dass die Perser verloren haben. Und die Spartaner haben an den Thermopylen und später bei Plataia entscheidend mitgeholfen, die Perser zu schlagen. Somit konnten sich die griechischen Philosophen und Staatsdenker überhaupt erst entfalten. Würden wir einen Sokrates, einen Plato, einen Perikles überhaupt kennen? Keine Ahnung. Alles wäre anders.

Die Ruinen sind nicht besonders beeindruckend, aber der Ort ist es allemal. Er liegt mitten in einem ausufernden Olivenhain, die Berge bilden eine eindrucksvolle Kulisse. Aber das war den antiken Spartanern sicher vollkommen egal. Sie mochten Kriegsspiele lieber.
Ich besichtigte die Reste des römischen Theaters. Auch im antiken Sparta hatte es ein Theater gegeben, ob es aber dort lag, wo jetzt das Römische in Ruinen liegt, weiß kein Mensch. Die Spartaner haben meist in Holz gebaut. Ihnen war schnöder Marmor nicht so wichtig. Damit unterschieden sie sich von den Athenern. Und deshalb reisen Touristen heute nach Athen, um die Akropolis zu sehen. Und nicht die spartanische Agora in Sparta. Außer Geschichten und Mythen haben die antiken Spartaner nichts hinterlassen. Aber vielleicht reicht das ja.
Den Römern war es jedenfalls genug, um diese Gegend zu einer Art Wallfahrtsort zu machen. Hier wurde das spartanische Heldentum gefeiert. Blutig übrigens, aber ich muss mich noch etwas einlesen.

Nach diesem Besuch, der vielleicht 45 Minuten dauerte, radelte ich wieder ins Zentrum, keine fünf Minuten entfernt übrigens. Sie ist so klein, die Stadt.
Dabei durchquerte ich den Wochenmarkt. Es ist unfassbar, aber hier kostet Gemüse fast nichts. Ich sah billige Melonen, Tomaten für einen Euro das Kilo, frische Pfirsiche. Alles für sehr kleines Geld. Die Griechen kaufen hier jedenfalls kistenweise ein. Beladen mit Tüten versperrten sie mir mehr als einmal den Weg. Ich hätte das Rad längst stehen lassen sollen. Gefahren bin ich natürlich nicht mehr, aber selbst schiebend war es problematisch.

Als Nächstes war das archäologische Museum an der Reihe. Ich wusste nicht, was mich erwartete. Ich hatte mit einem größeren Gebäude gerechnet. Etwas, das mich zwei Stunden beschäftgen würde. Aber nichts da. Es befindet sich in einem Park östlich des Hauptplatzes. Und besteht nur aus wenigen Räumen. Neben Mosaiken und Grabsteinen ist hier eine Statue eines Spartaners ausgestellt. Natürlich stellt er angeblich Leonidas dar. Kann stimmen, muss aber nicht. Es kann jeder Spartaner gewesen sein. Die Zeit stimmt aber. Er lächelt mit seinen dicken Lippen. Das ist kein Alleinstellungsmerkmal, sondern war im strengen Stil dieser Zeit so üblich. Beinahe diabolisch sieht er aus.
Ansonsten aber war das Museum etwas enttäuschend. Die Geschichte von Leonidas wird natürlich erzählt, aber es fehlen Funde. Es gibt schlichtweg nichts. Es ist wie im antiken Teil der Stadt. Die Spartaner sind im Grunde physisch verschwunden. Mental natürlich nicht. Das Gebirge Taygetos, in dem sie ihre schwächlichen Kinder angeblich entsorgten, ist ja überall hin sichtbar.
Vielleicht eine halbe Stunde dehnte ich den Besuch aus. Aber mehr Zeit braucht man wirklich nicht.

Es war zwölf Uhr,
Zeit für Lunch. Hatte ich anfangs etwas Panik gehabt, ob ich das alles schaffen würde, konnte ich jetzt entspannen. Ich würde mich hier nicht überfordern.
Gregorys lud mich ein. Nicht monetär, aber physisch. Hier verbrachte ich anderthalb Stunden, schrieb meine Abenteuer von gestern auf. Und mehr geschah erst einmal nicht.
Nach dem Aufenthalt besuchte ich noch das angebliche Grabmal von Leonidas. Alles hier dreht sich um den legendären Spartanerkönig. Im Grunde handelt es sich nur um eine Handvoll Steinquadern. Meine Fantasie reicht nicht, um hier etwas zu erkennen. Schließlich, nachdem ich mich am Busbahnhof nach Bussen für morgen erkundet hatte, suchte ich noch das Artemis Orthia auf. Es liegt wirklich außerhalb und ist derartig vermüllt, dass ich mich nur wundern konnte. Natürlich ist es vollkommen umzäunt. Später las ich bei Google, dass es in einer üblen Gegend liegt. Mehr will ich nicht schreiben, das kann jeder selbst recherchieren. Es war wirklich kein Vergnügen. Und außer einigen Steinen erkennt man sowieso nichts.

Ich weiß nicht, ob sich mein Besuch in Sparta wirklich gelohnt hat. Mystras, das ich 2010 besucht habe, ist die große Attraktion in dieser Gegend, doch es ist etwas ganz anders. Es war eher der Gedanke an Sparta selbst, an diese grausame Militärmacht, die hier Weltgeschichte geschrieben hat. Ein erhebender Gedanke, wenn auch gruselig. Die spartanische Gesellschaft kannte nur den Krieg und die Vorbereitung darauf. Sie ist durch ihren großen Namen bekannt. Nicht durch ihre künstlerischen Schöpfungen.

Mein Besuch endet hier morgen jedenfalls. Auch sonntags kann man reisen, wenn auch schwieriger. Nun, es wird für mich reichen. Ich fahre morgen recht früh ab, dann habe ich noch etwas vom Tag. Diese Gegend verlasse ich nicht wirklich, ich bleibe auf dem Peloponnes. Aber im Grunde wird alles ganz anders. Es wird ein Sprung in Richtung Norden.
Morgen ist schon der dritte Sonntag in Griechenland. Die Zeit beginnt zu fliegen. Ich kann sie nicht festhalten. Sie vergeht. Und irgendwie beginne ich langsam damit, diese Reise abzuwickeln. Schon frage ich mich öfter, wie ich sie wirklich beenden will. Ich habe noch Zeit, aber schon lange liegt mehr hinter mir als vor mir. Will ich zurück? Ja. Aber ich bin auch jetzt schon etwas wehmütig.
Egal.
Es ist jetzt, wie es ist. Ich werde die Zeit, die mir bleibt, nutzen. Es wird mir gelingen. So oder so.