60 Km in der prallen Sonne. Das war meine Tagestour heute.
Es hört sich dramatischer an, als es war. Und kam nur zustande, weil ich einfach nicht stehenbleiben wollte.
Die Nacht war wie üblich unruhig gewesen. Mehrmals hatte ich das Zelt verlassen. Den Abend gestern hatte ich noch zum Teil am Strand verbracht. Die Sonne war fast weg, verlor somit ihren hitzigen Schrecken, sodass ich einfach das Meer genießen konnte.
Heute Morgen stand ich gegen halb sieben auf, Grund zur Eile sah ich nicht. Es würde heiß werden, aber das geschah sowieso. Um kurz nach acht fuhr ich ab, dann wendete ich nach wenigen Hundert Metern, weil die Rezeptionistin vergessen hatte, mir den Ausweis wiederzugeben. Zum Glück war ich nicht weit gefahren, dann war es mir eingefallen. Sie entschuldigte sich damit, dass sie sonst die Ausweise von Gästen nicht nähmen.
Erst später fiel mir ein, dass ich gerne gefragt hätte, warum es denn bei mir anders gewesen ist? Warum wurde meiner behalten? Es ist eine Form von Diskriminierung, für die ich keinen Namen habe, weil ich nicht weiß, wo sie herkommt. In den Supermärkten wird mein Rucksack kontrolliert. Der Rucksack der eleganten Dame, der nicht viel kleiner ist, dagegen nicht. Es sind eigenartige Merkmale einer Gesellschaft, die tief misstrauisch ist gegen Leute wie mich. Es ist nicht meine Hautfarbe, dann wäre es einfach. Ich denke, ich bin nicht so, wie andere in meinem Alter. Ich stelle meinen Reichtum nicht zur Schau. So etwas läge mir fern. Auch weil er nicht vorhanden ist, zumindest nicht monetär.
Jedenfalls hatte ich jetzt meinen Ausweis. Und radelte vor mich hin.
Die Anfänge von Radtouren sind immer irgendwie leicht. In den ersten zwei Stunden geht es locker dahin, bevor es etwas beschwerlicher wird. Die Strecke war nicht besonders schön. Eine viel befahrene Straße, donnernde LKWs neben mir. Zuerst verschwanden die Berge. Diese spektakuläre Landschaft, die immer den Hintergrund hier gestaltet hat. Dann das Meer. Es war ein trauriger Augenblick. Aber es war ja nicht weit, nur 30 Kilometer, sagte ich mir.
Und die hatte ich schnell hinter mir, in weit unter zwei Stunden. Als ich den Ort Aléria erreichte, wusste ich, dass ich hier nicht bleiben wollte. Es sind eigenartige Empfindungen, Launen, die mich dazu bewegen. Es passte einfach nichts zusammen. Der Campingplatz lag zwar am Meer, war aber vier Kilometer von der Stadt entfernt. Außerdem soll er animiert sein, also kein Schlaf vor mindestens Zwölf. Nein, ich wollte weiter. Ich checkte das Navi. Der nächste Platz, den ich mir ausgesucht hatte, lag 18 Kilometer weiter. Etwas über eine Stunde.
Ich hielt mich nicht lange zurück, radelte weiter. Nur um dort auch nicht anzuhalten. Einfach weiter. Es war früh, sehr früh, gerade einmal kurz nach elf.
Eine Stunde später war ich dann zufriedener. Um kurz nach Zwölf erreichte ich einen Campingplatz, der vollkommen naturbelassen ist. Kein Swimmingpool, dafür aber herrliche wilde Olivenbäume. Er liegt beinahe im Nichts, es gibt nur einen Supermarkt in der Umgebung. Das reichte also vollkommen für mich. Das Dumme war nur, dass der Rezeptionist zwei Stunden Mittagspause hatte, als ich ankam. Somit verbummelte ich die Zeit bis zwei. Bis ich dann alles aufgebaut hatte und einkaufen war, war der Tag praktisch herum. Es machte nichts. Ich glaube, dass es seit langem meine längste Radtour war. Sie hat nicht länger als vier Stunden gedauert, ich kann also zufrieden sein. Viel geschoben habe ich auch nicht. Die Tour war praktisch das Erlebnis.
Ich muss ein paar Tage zurückdenken, wann ich das letzte Mal Sightseeing gemacht habe. Vielleicht morgen, es gibt einige Bergdörfer. Ich weiß nicht, was mich erwartet. Die Berge sind nämlich wieder aufgetaucht. Und auch das Meer. Es ist also alles in Ordnung. Alles ist da. Und ich habe praktisch fast die ganze Strecke vom Süden in den Norden auf dem Rad zurückgelegt.
Ich überlege noch, wie ich hier weiterreisen will. Noch ein paar Tage auf Korsika oder gleich zurück auf den Kontinent? Diese Insel würde fünf Wochen verdienen. Aber ich glaube, so lange will ich nicht bleiben.