Warten.
So könnte ich diesen Tag am ehesten beschreiben.
Ich schlief lange, zumindest für meine Verhältnisse. Erst gegen acht erwachte ich, war aufgrund des viel zu üppigen Mahles am Tag zuvor in schlechter Verfassung. Nicht einmal meine Yogasession konnte ich absolvieren. Meine Beine waren müde, mein Geist schlaff. Drei Stunden verbrachte ich in dem Zimmer, ohne genau zu wissen, was ich dort eigentlich machte. Packen, Duschen, Vorbereiten. Nichts, was sonst eigentlich lange dauert.
Um elf brachte ich meine Sachen nach unten, wo ich sie bis zur Abfahrt aufbewahren durfte. Ich liebe griechische Hotels, in denen man alles bequem lagern kann. Sie sind die unbequemen Abfahrtzeiten von Fähren gewohnt.

Mein Rad aber nahm ich erst einmal mit. Und stellte fest, dass das Hinterrad klemmte. Es war mir schon vorher aufgefallen, aber ich hatte es auf die schlechten Straßen geschoben. Aber nein. Ich hatte tatsächlich eine leichte Acht im Rad.
Nach einer gewissen Zeit der Kontemplation, in der ich die Frage erörterte, ob ich mit der Reparatur bis Deutschland warten sollte, dachte ich mir, dass ich jetzt Unmengen an Zeit hatte. Der Witz war, dass ich tatsächlich an zwei Fahrradläden vorbeikam. Einer war modern und professionell, der andere eher Hinterhofwerkstatt mit einem alten Mechaniker, der auch der Besitzer war. Für diese entschied ich mich. Typisch.
Der Enkel des alten struppigen Besitzers teilte mir mit, dass ich das Rad eine halbe Stunde später vorbeibringen sollte. Es wäre dann um eins fertig.
Wie vereinbart stellte ich das Rad um 12 am Laden ab und bummelte dann eine Stunde in der Stadt herum. Es ist wirklich komisch, einfach viel Zeit verschwenden zu können. Aber ich hatte nichts zu tun. Patras kannte ich, ich musste also nichts erkunden, hatte Unmengen an Freizeit.
Gegen eins lief ich zum Laden zurück. Das Rad stand am gleichen Ort, wo ich es abgestellt hatte.
Natürlich war es nicht fertig, aber der Besitzer wies mich an, das Rad in den Laden zu schieben. Es war nicht so wichtig.
Dann folgte ein vorsichtiges Aufbocken. Eine moderne Werkstatt hätte dazu entsprechende Geräte und Gerüste, aber das hier lief noch wie in alten Tagen. Der sicher 70-jährige Grieche aber bewerkstelligte es anders. Vorsichtig also drehte er das Rad um. Ein Tern aber steht nicht gerade fest auf dem Lenker, weil dieser sehr kurz ist. Irgendwie aber schaffte er es, mit entsprechenden improvisierten Unterlagen, neue Pedalen in diesem Fall.
Dann setzte er sich vor das Rad und begann die Speichen zu spannen. Es war interessant. Seine kundigen Hände bewegten den einfachen Speichenspanner, er drehte das Rad ab und zu, testete, probierte. Langsam verschwand die Acht aus dem Rad.
Es dauerte vielleicht 20 Minuten. Kein Schleifen mehr.
Natürlich stellte er noch die Schaltung ein, ölte alles einmal durch und kontrollierte die Bremsen, bevor er noch den Reifendruck perfektionierte.
Am Ende verlangte er 13 Euro.
Ich glaube nicht, dass es einen anderen Ort in der EU gibt, an dem ich mit so wenig Geld einen fast vollständigen Service bekommen hätte. Ich gab ihm großzügig Trinkgeld. Er sprach übrigens kein Wort Englisch. Erst hatte der Enkel übersetzt, als es aber an die Arbeit ging, brauchte er keine weiteren Informationen. Was sollte ich ihm auch sagen? Das Gerät sprach deutliche Worte.
Ich fragte mich nur, wie ich an diese Acht gekommen war. Schlagloch? Möglich. Die Straßen hier sind furchtbar und ich bin sicher über mehr als eine Delle im Belag gefahren. Oder das Gepäck ist zu schwer, was bedenklich wäre. Ich weiß, dass das Rad nicht für eine Tour wie diese gemacht ist. Es ist ein Stadtrad. Letztlich aber müsste das Rad alles eigentlich aushalten, selbst mit Gepäck komme ich bei Weitem nicht auf die Höchstbelastung. Ich selbst wiege kaum mehr als 60 Kg, das Gepäck kommt auf vielleicht etwas mehr als 20. Je nach Beladung mit Lebensmitteln.
Vielleicht mache ich mir zu viele Gedanken. Die letzten Wochen der Reise wird es schon noch halten, vor allem jetzt, da es so weit repariert ist. Denke ich mir. Und wenn nicht, dann ist es Schicksal. Ausrüstung ist dazu da, benutzt und ausprobiert zu werden. Ich bin eigentlich positiver Dinge.

Das war im Grunde der Höhepunkt des Tages.
Ich hing danach ab, anders kann man es nicht bezeichnen. Zwei Stunden verbrachte ich in einem Café, eher einer Kette, Coffee Brands. Das McDonalds für Kaffee. Diese Einrichtungen gibt es zuhauf. Günstiger, wirklich guter Kaffee, immer mit perfekten Sitzgelegenheiten. Ich genoss es.
Natürlich ging ich nochmals einkaufen, erstand einen Handmixer für Espresso Freddo. Ich muss von Sinnen sein. Mein Rad bricht unter der Last meines Gepäcks zusammen und ich kaufe Mitbringsel.
Danach saß ich ein paar Stunden am Platz Georg I, bevor ich nochmals durch die Stadt lief. Ich kam am antiken Stadion vorbei, Mauerreste und Bögen lugen aus der Erde heraus. Wie ein halb freigelegtes Skelett. Drumherum befindet sich eine Art Party- oder Ausgehmeile. Die meisten Läden und Restaurants aber waren geschlossen. Es dämmerte mir, dass hier einfach Betriebsferien herrschen. Anderswo ist Hochsaison. Hier sind Ferien. Weil keine Touristen vorbeikommen. Kaum zu fassen, oder?
Irgendwie verging die Zeit langsam. Ich gönnte mir irgendwann noch eine Pita zum Abendessen. Dieses Mal ohne Pommes. Das letzte Stück Fleisch in diesem Jahr. Ich bin meistens Vegetarier.
Dann, gegen neun, holte ich meine Sachen aus dem Hotel, zog mir die Wanderschuhe an und packte alles sorgfältig. Die Fahrt zum Hafen dauerte nur eine Viertelstunde.
Und wieder Warten. Nirgends war ausgewiesen, dass man sich nochmals an den ANEK-Schalter anstellen muss, sodass ich, als es endlich gegen Mitternacht ans Einschiffen ging, von der Security nochmals zum Einchecken zurückgeschickt wurde. Ich habe drei Stunden an diesem vermaledeiten Hafen verbracht und lief jetzt Gefahr, die Fähre zu verpassen. Das geschah natürlich nicht. Letztlich war ich alles andere als der Letzte an Bord.
Am gleichen Ort wie vor vier Wochen schlug ich mein Nachtlager in einer Art Salon auf. Komisch, was für ein Gewohnheitstier ich bin. Es war schon fast Routine. Die Luftmatratze war schnell aufgeblasen, das Seideninlet darüber, Schlafsack und Kopfkissen. Es war wie im Zelt.
An Bord herrschte aber weiterhin eine Art Buzz. Unruhe. Leute suchten nach Möglichkeiten, ihre Nachtlager einzurichten. Es sah ungemütlich aus. Nicht bei mir. Leider habe ich mir natürlich wie auf Bestellung den Rücken gezerrt. Der Muskel, den ich so mühsam über die Wochen erfolgreich gedehnt hatte, blockierte, was das Tragen von Rucksäcken und Rädern ungemein erschwerte. Es passiert immer, wenn es darauf ankommt. Beim Liegen und Drehen merke ich es besonders.
Aber zu diesem Zeitpunkt war es auch schon egal. Erst gegen halb Zwei entschied ich mich dazu, endlich die Augen zu schließen. Trotz der vermeidlichen Tatenlosigkeit war es irgendwie auch betriebsam gewesen.

Ich befand mich also auf der Rückfahrt. Die Abfahrt habe ich mir übrigens nicht mehr angesehen. Ich war zu müde. So also verschwanden die kahlen Berggipfel des Peloponnes und die Lichter der größten Stadt von mir ungesehen. Jetzt, wenn ich darüber nachdenke, hätte ich es bewusster erleben sollen. Wahrscheinlich werden es tatsächlich die Berge sein, an die ich mich am meisten erinnern werde. Mehr noch als die Strände und das Meer. Natürlich die immense und intensive Hitze, von der es kein Entkommen gab.
Es war ein wirklich gelungener Aufenthalt an einem Ort, von dem ich seit 12 Jahren träume, an den ich so gerne zurückkehren wollte. Und nun habe ich es einfach getan.
Spontan und befriedigend.